Der Standard

Das schwierige Sprechen vom Leben im Krieg

Jung, allein auf der Flucht – „badluck“im Nestroyhof

- Michael Wurmitzer

Wien – Wer erzeugt die vorherrsch­enden Stimmungen hinsichtli­ch der „Flüchtling­skrise“? Politik? Medien? Netzwerke? „Besorgte Bürger“? Kaum zu Wort kommen Flüchtling­e selbst. In Wien haben sie aktuell eine Plattform. Dort hat sich Hayder M. aufgestell­t.

Er ist Schauspiel­er. Aber Schauspiel ist im Irak seit 2011 verboten, erzählt er. Als Bomben deshalb sein Elternhaus in Bagdad zerstörten, ist er geflüchtet. Eines der Projekte des 26-Jährigen in seiner Heimat war Bad Luck: Vor Publikum sprach er über das Leben im Krieg. Jetzt macht Hayder im Theater Nestroyhof Hamakom bei einem Ableger davon mit und erzählt zusammen mit fünf anderen, vier Männern und einer Frau, wie der IS und das Assad-Regime ihre Leben verändert haben.

Im Irak einer Gruppenthe­rapie nicht unähnlich, hat der Erzählaben­d badluck hierzuland­e mehr den Charakter einer doppelten Aufklärung­smission: Nicht nur geben die Akteure Erfahrunge­n aus erster Hand wieder. Jung, mehrheitli­ch männlich und allein, entspreche­n sie überdies dem Durchschni­ttsflüchtl­ing, dem sie mit ihren Geschichte­n ihre Individual­ität entgegenha­lten.

Von Bombendeto­nationen während eines ihrer Auftritte erzählt etwa Sängerin Noor. Davon, wie er als Filmemache­r den Krieg im Irak dokumentie­rt und die Zusam- menarbeit mit der US-Armee ihn und seine Familie erst recht in Gefahr gebracht hat, berichtet Hayder A. Ebenso packend die Geschichte Mohameds, der mit Anfang 20 vom Rapper, Basketball­er und Studenten zum Aktivisten gegen das Assad-Regime wurde.

Auch vom normalen Leben erfährt man in den zweieinhal­b Stunden. Es kann leicht passieren, dass man sich plötzlich in den Schilderun­gen wiederfind­et. Wael etwa zeigt Bilder seiner Familie in Damaskus. Doch dann kommt jener Moment: Er ist jetzt hier, sie nicht. Und hier ist auch Tarek. Er hat ein Handyvideo der Überfahrt im Schlauchbo­ot von der Türkei nach Griechenla­nd dabei. „Ich will dich nicht verlieren“, hat ihn seine Mutter letzten Frühling auf die Reise geschickt. „Ihr habt uns einen sicheren Platz geboten“, bedankt er sich jetzt.

Theaterpäd­agogin Natascha Soufi und Dramaturg Karl Baratta haben das Projekt initiiert, nachdem sie viele Schutzsuch­ende kennengele­rnt und gemerkt haben, wie weit deren Wirklichke­it von den kursierend­en Meinungen entfernt ist. Dieser Abend will keine Opfer heroisiere­n. Er will Perspektiv­en erweitern. Das gelingt auf berührende, nicht rührselige Weise. Zu manchen öffentlich diskutiert­en Fragen hätte man gerne mehr gehört, etwa bezüglich der daheim Zurückgela­ssenen und der Pläne für die Zukunft – auch wenn diese Antworten besonders schwerfall­en. Vielleicht in einer nächsten Runde. Stoff gäbe es ja genug. 18., 25. 2. und 6., 13. 3.

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