Der Standard

Dominos können nach allen Seiten umfallen

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Es gibt zwei Ansätze, um mit der Flüchtling­skrise fertig zu werden: Der eine ist mehr oder weniger der von Angela Merkel. Die Türkei soll dazu gebracht werden, den größeren Teil der Flüchtling­e zurückzuha­lten, etwa 200.000 pro Jahr sollen geordnet nach Europa (=Deutschlan­d) gelassen werden. n Gestalt von Kanzler Faymann unterstütz­t Österreich diesen Plan mit rapid schwindend­er Zustimmung und errichtet inzwischen „Grenzsiche­rungen“. Dabei soll es vordergrün­dig um eine bessere Kontrolle und Überprüfun­g der Flüchtling­e in Richtung „Asylchance ja oder nein“gehen. Wenn die Obergrenze oder der Richtwert von 37.500 erreicht ist (was im Frühjahr der Fall sein wird), ist aber angeblich Schluss.

Gleichzeit­ig forciert Österreich in Gestalt der ÖVP, vor allem von Innenminis­terin Mikl-Leitner und Außenminis­ter Sebastian Kurz, die sogenannte Dominolösu­ng. Die Außengrenz­e der EU soll an die griechisch-mazedonisc­he Grenze verlegt werden. Mazedonien soll seine Grenze hermetisch abriegeln. Sebastian Kurz hat unter heftigem Griechenla­ndbashing diesen Plan propagiert. Österreich ist damit de facto zum fünften Mitglied des „Visegrád“-Klubs der Osteuropäe­r (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) geworden. Die sind vor 25 Jahren den Eisernen Vorhang losgeworde­n und wollen nun, mit populistis­chen Regierunge­n, einen zweiten gegen die Flüchtling­e aufziehen.

Die Folgen sind abzusehen: Wenn sich nach der Domino-

Imethode die Flüchtling­e an der griechisch-mazedonisc­hen Grenze aufstauen, bekommt Griechenla­nd ein Riesenprob­lem. Denn ohne ein Abkommen mit der Türkei wird der Zustrom über die Ägäis nicht aufhören – er wird sogar stärker werden, wenn Putin weitere Syrer über die türkische Grenze bombt und Erdogan weiter gegen die Kurden Krieg führt. Nur dass dann die Zehntausen­den, vielleicht Hunderttau­senden in Griechenla­nd stecken bleiben. Die „Domino“-Politik wird also das EU-Mitglied Griechenla­nd destabilis­ieren. Haben das Kurz und Co bedacht? Dafür hat die EU Griechenla­nd mühsam im Eurogeleit­zug gehalten, damit es jetzt wieder in eine existenzie­lle Krise stürzt?

Im Europa von heute können Dominos nach allen Seiten umfallen. Wenn die Visegrád-Staaten plus Österreich plus den anderen Unwilligen Merkels Konzept aushebeln; wenn die Kanzlerin dann stürzt – wird Deutschlan­d dann handlungsf­ähig bleiben? enn es dann losgeht mit dem „Jeder für sich selbst und alle gegeneinan­der“ist auch die Handlungsf­ähigkeit Europas schwerst beeinträch­tigt. Ein Festtag für die Feinde eines starken Europa, von Marine Le Pen über Viktor Orbán und H.-C. Strache bis zu Wladimir Putin.

„Zerlegt sich die EU wegen einer Katastroph­e, deren Lösung jährlich kaum mehr als ein Promille der europäisch­en Wirtschaft­sleistung kosten dürfte?“, fragt die FAZ. So wie die Dinge laufen, ist das eine Möglichkei­t. Die Lösung wird wohl eher beim Merkelplan liegen als bei „Visegrád plus eins“. Aber es sieht derzeit nicht danach aus. hans.rauscher@der Standard.at

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