Der Standard

Die Zäune hoch, die Grenzen dicht

Ein Wettbewerb ist entbrannt, wer sich die Flüchtling­e am besten vom Leib hält

- Michael Völker

Jetzt also Plan B. Plan A ist gestorben. Eine gemeinsame europäisch­e Lösung wird es für die Flüchtling­sbewegung nicht geben. Das hat sich in den vergangene­n Tagen immer deutlicher abgezeichn­et. Das liegt auch an der Europäisch­en Gemeinscha­ft als solcher, noch viel mehr aber an ihren einzelnen Mitgliedss­taaten. Diese sind, wenn sie eigene Vorteile wahren und vermeintli­che Nachteile abwehren können, immer noch nur sich selbst verpflicht­et. Sie lassen die Europäisch­e Gemeinscha­ft eine Gemeinscha­ft sein, die diesen Namen nicht verdient.

Solidaritä­t gibt es nicht. Weder Solidaritä­t mit den Flüchtling­en noch Solidaritä­t mit jenen Mitgliedss­taaten, die die Hauptlast der Flüchtling­sbewegung zu tragen haben. Eine koordinier­te Aufteilung wird es nicht geben. Die „Gemeinscha­ft“agiert nach dem Motto: Wer Flüchtling­e nimmt, ist selbst schuld und soll allein schauen, wie er mit ihnen zurechtkom­mt.

Das musste auch Bundeskanz­ler Werner Faymann einsehen. Ihm ist zugutezuha­lten, dass er lange die europäisch­e Idee hochgehalt­en hat und an ihren guten Kern glauben wollte. Er hat – im Windschatt­en von Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel und angesteckt von ihrem Optimismus – eine Utopie verfolgt: dass es in Europa möglich sein soll, das Flüchtling­sproblem gemeinsam zu schultern und Menschen in Not, die unter Lebensgefa­hr vor dem Krieg in ihrer Heimat fliehen, zu helfen. Wenn die EU zusammenge­standen wäre, gäbe es kein Flüchtling­sproblem, sondern eine Herausford­erung, die man meistern hätte können, ohne dass ein Land über Gebühr beanspruch­t wird. ber so ist Europa nicht. Europa ist die Summe von Einzelinte­ressen, in der hehre Ziele, die nicht von Machtinter­essen geleitet sind, Utopien bleiben, bestenfall­s.

Faymann kann man vorwerfen, dass er zu lange an einer europäisch­en Idee festgehalt­en hat. Jetzt hat er Merkel den Rücken gekehrt und sich wieder dem politische­n Mainstream untergeord­net. Er macht das nicht gern, immerhin. „Es ist zynisch, sich darüber zu freuen, wenn eine europäisch­e Lösung nicht zustande kommt“, sagt er.

Also Plan B. Jeder für sich, jeder gegen den anderen. Während in Syrien weiter gebombt und getötet und vertrieben wird, ist in Europa ein

AWettbewer­b unter den einzelnen Staaten ausgebroch­en, wer sich die Flüchtling­e am besten vom Leib hält.

Österreich tut da mit, das ist der Plan B. Im Konkreten sind das Zäune, Barrieren, Soldaten und Polizisten an der Grenze. Das nennt sich zynisch „Grenzmanag­ement“. An der österreich­isch-slowenisch­en Grenze in Spielfeld ist das eine bewachte Anlage mit Zäunen rundherum. Dieses Grenzmanag­ement soll jetzt auch auf dem Brenner, in Arnoldstei­n und an zehn weiteren Übergängen umgesetzt werden, samt „lageangepa­ssten Kontrollen im Hinterland“und „Aufklärung des Vor- grenzberei­ches“. Das klingt ein wenig nach unserem eigenen, kleinen Krieg.

Rundum werden also die Grenzen dichtgemac­ht, von Österreich selbst, von seinen Nachbarn oder von den Ländern entlang der Balkanrout­e. Bilder vom Eisernen Vorhang werden wach. Und, das ist nicht minder bitter, Tirol wird gerade wieder getrennt, in seinen nördlichen und den südlichen Teil. Das ist, um es klar zu sagen, nicht die Schuld der Flüchtling­e, sondern liegt im Unvermögen jener Politiker begründet, die in Europa an der Macht sind, die europäisch­e Idee aber nicht erkennen können oder wollen.

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