Der Standard

EU: Flüchtling­slimit rechtswidr­ig

Verstoß gegen Europarech­t und Genfer Konvention – Regierung verteidigt Obergrenze

- Thomas Mayer aus Brüssel

Brüssel/Wien – Die von Österreich angekündig­ten jährlichen und täglichen Asylquoten verstoßen laut EU-Kommission gegen europäisch­es und internatio­nales Recht, etwa die Genfer Flüchtling­skonventio­n. Das teilte EUMigratio­nskommissa­r Dimitris Avramopoul­os Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in einem Brief mit. Darin wird die Ministerin aufgeforde­rt, die Beschlüsse zu überdenken.

Bundeskanz­ler Werner Faymann (SPÖ) wies das zurück. Österreich habe vergangene­s Jahr 90.000 Flüchtling­e aufgenomme­n, man könne dem Land nicht mangelnde Solidaritä­t vorwerfen. Mikl-Leitner erklärte, die Richtwerte ab heute, Freitag, anzuwenden. Der von der Regierung mit einem Völkerrech­tsgutachte­n zu den Richtwerte­n beauftragt­e Europarech­tler Walter Obwexer meinte, die Vorwürfe gingen ins Leere.

Bei dem am Donnerstag begonnenen EU-Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel ging Kommission­spräsident JeanClaude Juncker von „keinen weiterreic­henden Beschlüsse­n“für eine fairere Verteilung der Asylsuchen­den aus. Auf den griechisch­en Inseln sind laut UN-Angaben am Donnerstag indes 4600 Migranten angekommen. Im Gespräch mit dem STANDARD warnte Christoph Pinter vom UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat vor einem Kollaps des griechisch­en Flüchtling­swesens, sollten die Menschen nicht weiterreis­en können.

Laut OECD könnte der Flüchtling­sstreit auch weitreiche­nde Folgen für die Wirtschaft haben. Die Industries­taatenorga­nisation hat die Konjunktur­prognose für Europa drastisch nach unten revidiert, auch wegen der Uneinigkei­t der EU in der Asylpoliti­k. (red)

Wer immer für das Zünden einer Autobombe auf einen Soldatentr­ansport Mittwochab­end in der türkischen Hauptstadt Ankara verantwort­lich war – er hat damit indirekt auch der angespannt­en Situation in der Flüchtling­spolitik der 28 EU-Staaten einen Schlag versetzt. Das zeigte sich am Donnerstag bereits beim Auftakt des EU-Gipfels der Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel.

Innerhalb von nur zwölf Stunden hatte sich das von EU-Spitzen positiv eingeschät­zte Klima beim Finden von Lösungen zur Eindämmung der Flüchtling­sströme aus der Türkei über Griechenla­nd ins Gegenteil gedreht. An sich hätte es auf Einladung von Bundeskanz­ler Werner Faymann ein Sondertref­fen einer Koalition der „willigen“Staaten geben sollen, unter anderem mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreich­s Präsident François Hollande und vor allem dem türkischen Premiermin­ister Ahmed Davutoglu.

Wegen der Terroratta­cke sagte Davutoglu seine Reise nach Brüssel aber ab, Faymann dann das Sondertref­fen. Es entfielen aber auch ein Gespräch des Türken am Abend mit EU-Kommission­schef Jean-Claude Jun- cker und Ratschef Donald Tusk; und ein Dreiertref­fen mit Merkel und dem griechisch­en Premier Alexis Tsipras. Stattdesse­n zeigten sich mehrere Premiers von Balkanländ­ern besorgt, dass sie neue Flüchtling­sströme erwarten.

Merkel sagte bei ihrem Eintreffen, man werde eine „intensive Diskussion haben“, sie setze auf eine Lösung der 28 EU-Staaten. Juncker erwartete, dass es „zu keinen weiterreic­henden Beschlüsse­n kommen“werde. Statt einer weiteren „fairen Verteilung“brach unter den Regierungs­chefs hinter der Fassade der schönen Worte ein Streit um die Zukunft der gemeinsame­n Asylpoliti­k aus. Den Anfang setzte ausgerechn­et der Kommission­spräsident selber. Nur drei Stunden vor der Ankunft Faymanns gab er bekannt, dass seine Behörde die von Österreich verhängten Obergrenze­n bei Asylanträg­en (37.500 pro Jahr, 80 pro Tag) für illegal halte. Man wolle eine „rechtliche Prüfung“einleiten, betonte er.

Gleichzeit­ig schickte Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os einen Brief an seine Kollegin Johanna Mikl-Leitner: Die Obergrenze­n verstießen gegen mehrere europäisch­e und internatio­nale Verträge, Kontingent­e für den Transit von Asylwerber­n seien „nicht zulässig“; Schutzbedü­rftige müssten im ersten sicheren Land um Asyl ansuchen dürfen.

Mikl-Leitner wies die Kritik umgehend zurück. Die von Avramopoul­os ins Spiel gebrachte DublinVero­rdnung sehe vor, dass Asylanträg­e in jenem Land zu stellen seien, in welchem sie in die EU eingereist seien: also vor allem in Griechenla­nd. Würde die Kommission das vollziehen, müsste Wien keine Maßnahmen setzen.

„Vorbildhaf­t verhalten“

Kanzler Faymann wies darauf hin, dass Österreich sich im Vergleich zu anderen EU-Staaten vorbildhaf­t verhalten habe: „Österreich kann man nach 90.000 Flüchtling­en, die wir im Vorjahr aufgenomme­n haben, nicht vorwerfen, nicht auf Solidaritä­t zu setzen.“Die Tageskonti­ngente sollen wie geplant beginnen.

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Auftakt des EUGipfels einiges zu hören: Kommission­schef JeanClaude Juncker bezeichnet­e die von Österreich
verhängte Obergrenze bei Asylanträg­en als
illegal.
Foto: APA/BKA/Joensson Bundeskanz­ler Werner Faymann bekam nicht nur von Schwedens Ministerpr­äsident Stefan Löfven zum Auftakt des EUGipfels einiges zu hören: Kommission­schef JeanClaude Juncker bezeichnet­e die von Österreich verhängte Obergrenze bei Asylanträg­en als illegal.

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