EU: Flüchtlingslimit rechtswidrig
Verstoß gegen Europarecht und Genfer Konvention – Regierung verteidigt Obergrenze
Brüssel/Wien – Die von Österreich angekündigten jährlichen und täglichen Asylquoten verstoßen laut EU-Kommission gegen europäisches und internationales Recht, etwa die Genfer Flüchtlingskonvention. Das teilte EUMigrationskommissar Dimitris Avramopoulos Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in einem Brief mit. Darin wird die Ministerin aufgefordert, die Beschlüsse zu überdenken.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) wies das zurück. Österreich habe vergangenes Jahr 90.000 Flüchtlinge aufgenommen, man könne dem Land nicht mangelnde Solidarität vorwerfen. Mikl-Leitner erklärte, die Richtwerte ab heute, Freitag, anzuwenden. Der von der Regierung mit einem Völkerrechtsgutachten zu den Richtwerten beauftragte Europarechtler Walter Obwexer meinte, die Vorwürfe gingen ins Leere.
Bei dem am Donnerstag begonnenen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel ging Kommissionspräsident JeanClaude Juncker von „keinen weiterreichenden Beschlüssen“für eine fairere Verteilung der Asylsuchenden aus. Auf den griechischen Inseln sind laut UN-Angaben am Donnerstag indes 4600 Migranten angekommen. Im Gespräch mit dem STANDARD warnte Christoph Pinter vom UN-Flüchtlingshochkommissariat vor einem Kollaps des griechischen Flüchtlingswesens, sollten die Menschen nicht weiterreisen können.
Laut OECD könnte der Flüchtlingsstreit auch weitreichende Folgen für die Wirtschaft haben. Die Industriestaatenorganisation hat die Konjunkturprognose für Europa drastisch nach unten revidiert, auch wegen der Uneinigkeit der EU in der Asylpolitik. (red)
Wer immer für das Zünden einer Autobombe auf einen Soldatentransport Mittwochabend in der türkischen Hauptstadt Ankara verantwortlich war – er hat damit indirekt auch der angespannten Situation in der Flüchtlingspolitik der 28 EU-Staaten einen Schlag versetzt. Das zeigte sich am Donnerstag bereits beim Auftakt des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel.
Innerhalb von nur zwölf Stunden hatte sich das von EU-Spitzen positiv eingeschätzte Klima beim Finden von Lösungen zur Eindämmung der Flüchtlingsströme aus der Türkei über Griechenland ins Gegenteil gedreht. An sich hätte es auf Einladung von Bundeskanzler Werner Faymann ein Sondertreffen einer Koalition der „willigen“Staaten geben sollen, unter anderem mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und vor allem dem türkischen Premierminister Ahmed Davutoglu.
Wegen der Terrorattacke sagte Davutoglu seine Reise nach Brüssel aber ab, Faymann dann das Sondertreffen. Es entfielen aber auch ein Gespräch des Türken am Abend mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Jun- cker und Ratschef Donald Tusk; und ein Dreiertreffen mit Merkel und dem griechischen Premier Alexis Tsipras. Stattdessen zeigten sich mehrere Premiers von Balkanländern besorgt, dass sie neue Flüchtlingsströme erwarten.
Merkel sagte bei ihrem Eintreffen, man werde eine „intensive Diskussion haben“, sie setze auf eine Lösung der 28 EU-Staaten. Juncker erwartete, dass es „zu keinen weiterreichenden Beschlüssen kommen“werde. Statt einer weiteren „fairen Verteilung“brach unter den Regierungschefs hinter der Fassade der schönen Worte ein Streit um die Zukunft der gemeinsamen Asylpolitik aus. Den Anfang setzte ausgerechnet der Kommissionspräsident selber. Nur drei Stunden vor der Ankunft Faymanns gab er bekannt, dass seine Behörde die von Österreich verhängten Obergrenzen bei Asylanträgen (37.500 pro Jahr, 80 pro Tag) für illegal halte. Man wolle eine „rechtliche Prüfung“einleiten, betonte er.
Gleichzeitig schickte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos einen Brief an seine Kollegin Johanna Mikl-Leitner: Die Obergrenzen verstießen gegen mehrere europäische und internationale Verträge, Kontingente für den Transit von Asylwerbern seien „nicht zulässig“; Schutzbedürftige müssten im ersten sicheren Land um Asyl ansuchen dürfen.
Mikl-Leitner wies die Kritik umgehend zurück. Die von Avramopoulos ins Spiel gebrachte DublinVerordnung sehe vor, dass Asylanträge in jenem Land zu stellen seien, in welchem sie in die EU eingereist seien: also vor allem in Griechenland. Würde die Kommission das vollziehen, müsste Wien keine Maßnahmen setzen.
„Vorbildhaft verhalten“
Kanzler Faymann wies darauf hin, dass Österreich sich im Vergleich zu anderen EU-Staaten vorbildhaft verhalten habe: „Österreich kann man nach 90.000 Flüchtlingen, die wir im Vorjahr aufgenommen haben, nicht vorwerfen, nicht auf Solidarität zu setzen.“Die Tageskontingente sollen wie geplant beginnen.