Der ewige Monarch an der Zeitenwende
Franz Joseph I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, regierte 68 Jahre ein Vielvölkerreich an einer Zeitenwende, die er nicht wirklich verstand. Sein Tod jährt sich heuer zum 100. Mal.
Es war einmal ein Kaiser. So begann Joseph Roth im Jahre 1920 ein Feuilleton über das Begräbnis von Franz Joseph I. Es gipfelte in dem Satz: Die kalte Sonne der Habsburger erlosch, aber es war eine Sonne gewesen.
Sehr viel genauer kann man das Wesen der Habsburger und vor allem das Wesen von Franz Joseph nicht beschreiben, als es Roth, der jüdische Literat aus dem Städtchen Brody in Ostgalizien, mit diesen Worten tat. Ein Zentralgestirn, das leuchtete, aber nicht wärmte. Später schuf Roth mit dem Radetzkymarsch eines der wichtigsten Werke der österreichischen Literatur. Das Feuilleton mit dem Titel Seine k. u. k. Apostolische Majestät ist schon eine
Vorahnung.
Franz Joseph I. ist vor 100 Jahren (genauer: am 21. November 1916) gestorben. Man weiß heute von ihm und seinem Reich viel mehr als noch vor zehn, zwanzig Jahren, die historische Forschung hat ihn gut eingeordnet, es kommen auch immer noch neue Dokumente ans Licht.
Wegscheide der Geschichte
Seine Bedeutung für uns heute liegt in seiner besonderen Stellung an einer Wegscheide der Geschichte: ein seit Ewigkeiten regierender Vertreter eines alten Systems, konfrontiert mit einer Zeitenwende zu unüberschaubaren, angsterzeugenden neuen Verhältnissen und Verlust alter Sicherheit – kommt bekannt vor.
Dabei bleibt dieser Monarch, der 68 Jahre lang ein riesiges europäisches Reich mit zuletzt 52 Millionen Einwohnern und einem Dutzend Sprachen regierte, immer noch rätselhaft.
Karl Kraus, ein anderer Großer der österreichischen Literatur und ebenfalls sein Zeitgenosse, hat 1920 in einem Gedicht die Frage nach dem Wesen dieses Kaisers gestellt:
Wie war er? War er dumm? War er gescheit?
Wie fühlt’ er? Hat es wirklich ihn gefreut?
Wollt’ er den Krieg? Wollt’ eigentlich er nur
Soldaten und von diesen die Montur,
von der den Knopf nur? Hatt’ er eine Spur
von Tod und Liebe und vom Menschenleid? Nie prägte mächtiger in ihre Zeit jemals ihr Bild die Unpersönlichkeit.
Unpersönlichkeit? Oder doch eine ambivalente Persönlichkeit?
Auf der einen Ebene war der Kaiser ein trockener Pedant mit einem eher überschaubaren Gefühlshaushalt. Kein politisches Genie. Wie es der ehemalige tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg, dessen Vorfahre Regierungschef und Mentor des jungen Kaisers war, ausdrückte: „Ein typischer österreichischer Beamter.“
Persönlich langweilig, eher kalt, in Adelskreisen hatte er den Spitznamen „Löschhütl“(ein Gerät, mit dem man Kerzen ausdämpfte). Allerdings konnte fast jeder mit einem Anliegen zu ihm in Audienz kommen und ging oft auch zufrieden weg.
Vor allem aber hatte Franz Joseph ein für heute geradezu atemberaubendes Selbstverständnis von seiner mystischen „Sendung“, von seiner Stellung in der irdischen und, ja, himmlischen Ordnung der Dinge. Er glaubte wirklich an sein „Gottesgnadentum“. Gott hatte ihn als Kaiser eingesetzt. Er regierte denn auch nach seiner Thronbesteigung und einer Revolution, die seine hochadeligen Ausführungsorgane brutal niedergeschlagen hatten, eine Zeitlang absolutistisch.
Ein ganz junger Mann, der einen Haufen Todesurteile (vor allem gegen aufständische Ungarn) unterschrieb und dessen Wille eine Zeitlang wirklich Gesetz war. Die bürgerlichen Grundrechte waren aufgehoben. Später musste er, meist nach verlorenen Kriegen, Abstriche machen, Kompromisse eingehen. „Wir werden zwar etwas parlamentarisches Leben bekommen, allein die Gewalt bleibt in meinen Händen“, schrieb er 1860 an seine dominante Mutter Sophie, nachdem die Schlacht bei Solferino in Oberitalien unter seinem nominellen Oberbefehl unter fürchterlichen Verlusten verlorengegangen war.
Verfassungstreuer Monarch
Immerhin, so Schwarzenberg: „Für einen Neoabsolutisten war er sehr verfassungstreu.“Er wandelte sich vom absoluten zum konstitutionellen Monarchen. Die Folklore hat aus ihm den „gütigen Monarchen“gemacht, den weißbärtigen Opa, der freundlich winkte und die immergleichen Worte huldvoll und leutselig an die Untertanen richtete. Das ist nicht ganz falsch. Aber zum Volk hatte er im Grunde keine echte Beziehung. Nicht weil er es verachtete oder ihm die Leute zu gewöhnlich waren, sondern weil für das Volk in seinem Prinzip des Gottesgnadentums nur eine Rolle als schemenhafter Loyalitätskörper vorgesehen war. Die Pflicht des Volkes war, treu zu sein. Die Pflicht des Herrschers war es, zu herrschen.
Am deutlichsten und am verhängnisvollsten tritt das bei der wichtigsten Entscheidung seines Lebens zutage. Franz Joseph hat letztendlich den Ersten Weltkrieg allein beschlossen.
Keine Volksvertretung debattierte einen so folgenschweren Schritt. Der Kaiser sah auch die Möglichkeit einer Katastrophe, aber wichtiger war die Ehre: „Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenigstens anständig zugrunde gehen“, sagte er.
Franz Joseph wurde im Biedermeier geboren, sechs Jahre nach der ersten Dampfeisenbahn in Österreich. Er starb, als bereits der Luftkrieg tobte. Der Nationalismus, der jetzt wieder Europa bedroht, erlebte in seinem Reich seine erste Blüte. Aber auch die Moderne in Kunst, Literatur, Phi- losophie, Wissenschaft. „Die lange Regierungszeit Franz Josephs brachte eine Reihe tiefgreifender Veränderungen: den Wandel Österreich-Ungarns zu einem Rechtsstaat, die durchgreifende Modernisierung des Staates und die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrechts“, schreibt Hans Petschar, der Kurator der Ausstellung
Der ewige Kaiser in der Nationalbibliothek. Aber: „Trotz all dieser positiven Ergebnisse gelang es während der franzisko-josephinischen Zeit jedoch nicht, die Grundprobleme der Friedensepoche vor 1914 einer Lösung zuzuführen.“
Karl Vocelka, der Kurator der Schönbrunn-Ausstellung Mensch
& Herrscher und Autor einer lesenswerten, 2015 bei C. H. Beck erschienenen Biografie, schreibt zum Franz-Joseph-Kult: „Eingebunden in die lange zurückreichende Tradition der Habsburger wurde der Kaiser schon zu seinen Lebzeiten stilisiert: in verschiedenen Uniformen, im Ornat des Ordens vom Goldenen Vlies, oder in Jagdkleidung.“
Imperialer Prunk
Diese Stilisierung wird nun in mehreren großen Ausstellungen nachvollzogen (siehe Wissen
links). Die Exponate reichen von persönlichen, recht banalen Gebrauchsgegenständen bis zu imperialem Repräsentationsprunk.
Dabei kommen Aspekte in den Vordergrund, die das Bild vom persönlich anspruchslosen, bescheidenen Kaiser relativieren. Franz Joseph führte selbst kein ausschweifendes Leben, aber was notwendig war, um das Bild imperialer Größe nach außen zu projizieren, das wurde bereitgestellt.
Das sieht man besonders in der Ausstellung in der Schönbrunner Wagenburg: Er selbst fuhr sozusagen werktags in einer bescheidenen Kutsche zwischen Schönbrunn und der Hofburg hin und her. Aber die sogenannte Fronleichnamskarosse für die Ausfahrt an diesem katholischen Hochfest hatte ein vergoldetes Geschirr für die acht Gespannpferde, das Unsummen kostete. Überhaupt die Pferde: Der Kaiser war ein ausgezeichneter Reiter, bis ins hohe