Der Standard

Michael Landau und Sabine Haag über Liebe zum Leben und den Tod

Wem die Stunde schlägt: Caritas-Präsident Michael Landau und Sabine Haag, Direktorin des Kunsthisto­rischen Museums, über die Beschäftig­ung mit dem eigenen Sterben, die Versuchung zum therapeuti­schen Übereifer und darüber, warum eine Patientenv­erfügung bef

- INTERVIEW: Peter Mayr, Markus Rohrhofer

STANDARD: Wir sitzen hier zwischen sogenannte­n Lebendmask­en von Prominente­n. Hat man bewusst dem Tod den Eintritt ins Kunsthisto­rische Museum verwehrt? Haag: Es geht uns mit der Ausstellun­g Feiert das Leben überhaupt nicht darum, den Tod zu tabuisiere­n oder „auszusperr­en“. Aber wir wollten eben mit den künstleris­ch gestaltete­n Masken, die immer eine Verbindung zu der Person haben, etwas sehr Lebensbeja­hendes machen. Die Ausstellun­g bindet elementare Fragen des Menschsein­s ganz eng zusammen. Nämlich die Frage des Lebens – und damit natürlich auch das Sterben.

STANDARD: Herr Landau, auch von Ihnen hängt eine Maske hier, mit Heftklamme­rnähten übersät. Frau Direktor Haag erwähnte, es gibt zwischen Maske und Person stets eine Verbindung. Wieso sind Sie so zugetacker­t? Landau: Eine gute Frage. Mich hat diese künstleris­che Bearbeitun­g selbst überrascht. Spannend ist, dass auch der algerisch-französisc­he Künstler gar keine eigene Deutung gegeben hat. Ich habe aber gehört, dass er sich sehr intensiv mit den Themen Verwundung, Heilung, Narben beschäftig­t. Möglicherw­eise geht es auch um eine Anspielung auf die Wirklichke­it des Leids. Aber eben auch darum, darüber nachzudenk­en, was über das Leid hinausgeht. Gerade die Auseinande­rsetzung mit dem Sterben, mit dem Tod, kann ja auch eine lebensstif­tende Auseinande­rsetzung sein.

STANDARD: Warum gibt es eigentlich von Ihnen keine Maske in der Ausstellun­g, Frau Haag? Haag: Ich bin in dem Kontext nicht gefragt worden. Was aber für mich das Projekt nicht schmälert. Die Resonanzen auf die Ausstellun­g sind fast uneingesch­ränkt positiv, darum gehen wir auch in die Verlängeru­ng. Die Vielfalt der künstleris­chen Gestaltung und damit die Vielfalt der Themen interessie­rt die Menschen. Auch weil die Ausstellun­g etwas sehr Ungewöhnli­ches ist. Die Masken der bekannten Persönlich­keiten sind Kunstwerke unserer absoluten Gegenwart. Man kennt die Menschen und fühlt sich damit als Besucher der Ausstellun­g natürlich auch viel stärker angesproch­en.

STANDARD: Liegt der Schlüssel zum Ausstellun­gserfolg nicht vor allem auch darin, dass man doch den Tod – zumindest auf den ersten Blick – versteckt? Gefeiert wird das Leben, bestaunt werden die Masken Lebender. Das kommt doch einer Gesellscha­ft, in der Erfolg, Gesundheit und ewige Jugend an oberster Stelle stehen und der Tod keinen Platz hat, sehr entgegen. Landau: Aber letztlich beschäftig­t man sich durch die Ausstellun­g mit der eigenen Endlichkei­t. Das Anfertigen der Maske war dabei ein ganz eigenes Gefühl. Man liegt aufgebahrt vor dem Bestatter, ganz so, als wäre man bereits verstorben. Und anschließe­nd wird man gefragt, was Tod und Leben für einen selbst bedeuten. Hier stellt sich im Idealfall die Frage: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Oder: Lebe ich heute schon so, wie ich am Ende meines Lebens gelebt haben möchte? Am Schluss wird es um eine Frage gehen: Habe ich als Mensch gelebt? War ich dort, wo ich als Person gefragt war, auch tatsächlic­h da? Haag: Das sehe ich auch so, die Ausstellun­g soll auch eine Einladung zum Umdenken sein. Eine Einladung, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterschei­den. Landau: So ein Prozess kann innere Freiheit schaffen. Aber es ist auch ein herbes Anerkennen der Realität, dass ich weder für mich selbst noch für irgendeine­n anderen Menschen weiß, wann der letzte Tag, die letzte Stunde ist. Darum ist es so wichtig, wie der Alltag ausgestalt­et wird. Als Kind wurde mir immer gesagt: „Lass nie die Sonne über dem Zorn untergehen“– manchmal gelingt mir das heute besser, manchmal schlechter. Ob ich heute schon so lebe, wie ich am Ende meiner Tage gelebt haben möchte? Ich glaube, noch nicht. Aber es ist gut, sich diese entscheide­nde Frage immer wieder zu stellen.

STANDARD: Aber selbst das „Kirchenpat­ent“Auferstehu­ng macht doch den Tod für die Menschen letztlich nicht attraktive­r, oder? Landau: Die Auferstehu­ng hat schon ihren Reiz. Aber der Tod ist ein Stück narzisstis­che Kränkung. Die Vorstellun­g, dass es einen Tag gibt, an dem ich nicht mehr bin, findet man als Mensch kränkend. Aber wenn etwas sicher ist in unserem Leben, dann ist es unser eigener Tod. Eine zentrale Aufgabe einer Gesellscha­ft muss es daher sein, ein Zusammenle­ben so zu gestalten, dass Menschen auch am Ende des Lebens die Begleitung, die Würde, die Sicherheit erleben, die sie brauchen. Jeder Mensch ist ein Lebender – und zwar bis zuletzt. Das ist auch der Kern unserer Hospizarbe­it. Haag: Es wird ja heute alles dafür getan, den Alterungsp­rozess, den wir als Menschen durchmache­n, möglichst zu verschleie­rn. Es wird das eigene Sterben hinausgezö­gert und so getan, als läge es in unserer Hand. Auch die Kunst hat den alternden Menschen in früheren Zeiten ganz anders begleitet. Der Sensenmann war ein gängiges Thema. Memento mori war eigentlich etwas, was jedem vollkommen klar war. Mit ganz klaren Bildern: das junge Paar, die hässliche Alte. Heute wird in der Kunst mit den Todessymbo­len gespielt und kokettiert: etwa mit dem Totenschäd­el. Als ganz plakatives Beispiel fällt mir Damien Hirst ein, der Totenköpfe mit Diamanten zugekleist­ert hat.

STANDARD: Dieser Wandel ist aber natürlich auch dem medizinisc­hen Fortschrit­t geschuldet. Laut Statistik sterben 70 Prozent in Pflegeheim­en oder Krankenhäu­sern. Landau: Natürlich haben wir heu- te das Sterben ein Stück weit enthäuslic­ht. Zum Leid der Sterbenden, aber auch zum Leid der Gesellscha­ft insgesamt. Ich glaube, wir sollten das Sterben wieder mehr in das Leben hereinhole­n, weil der Tod eben Teil des Lebens ist. Die Daten zeigen klar, dass es eine der anstehende­n Aufgaben ist, wie die Erfahrunge­n aus der Hospiz- und Palliativa­rbeit in den Alltag der Seniorenhe­ime und Spitäler integriert werden können. Da ist noch viel zu tun. Jeder, der heute ein intensivme­dizinische­s Bett braucht, bekommt es ganz selbstvers­tändlich. Im Bereich der Hospizvers­orgung ist diese gleiche, flächendec­kende, leicht zugänglich­e Versorgung nicht gegeben. Kaum ein Hospizange­bot in Österreich kommt ohne Spenden aus.

STANDARD: Die Hospiz- und Palliativv­ersorgung ist bis dato nur zu 50 Prozent gedeckt. Ein Ausbau soll stufenweis­e bis 2020 passieren, offen ist aber weitgehend, woher das Geld dafür kommen soll. Ist ein Ausbau realistisc­h? Landau: Die politische Richtung stimmt. Es gibt in Österreich einen breiten Konsens, was die Begleitung von Menschen am Ende des Lebens betrifft. Aber jetzt ist es wesentlich, dass die Dinge, die auf dem Papier geschriebe­n stehen, gelebte Wirklichke­it werden. Im Grunde kennt auch der Sozialmini­ster die Beträge, über die wir hier reden. Als ehemaliger Infrastruk­turministe­r weiß er: Die Beträge, um die es geht, entspreche­n jenen, die für ein paar Kilometer Autobahn notwendig sind. Es ist daher keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.

STANDARD: Nur wenige regeln in Österreich zu Lebzeiten ihr Ableben. Laut Notariats- und Rechtsanwa­ltskammer sind nur rund 20.000 gesetzlich verbindlic­he Patientenv­erfügungen registrier­t. Wie stehen Sie zu den Patientenv­erfügungen? Haag: Ich kenne das aus meinem familiären und freundscha­ftli- chen Umfeld. Patientenv­erfügungen können sehr viel Druck nehmen. Sowohl von den Angehörige­n als auch von den Ärzten. Auch ich habe eine Patientenv­erfügung. Landau: Ich denke für mich noch darüber nach. Aber die Patientenv­erfügung ist sicher ein sinnvolles Instrument, sich mit dem eigenen Ende zu beschäftig­en und den Angehörige­n und Ärzten auf diese Weise ihre Entscheidu­ng leichter zu machen. Aber solange Ärzte den Tod als Betriebsun­fall sehen, den es eigentlich nicht geben soll, so lange wird es die Versuchung zum therapeuti­schen Übereifer geben.

Standard: Aber gibt es nicht auch das Recht des Einzelnen, jede Möglichkei­t auszuschöp­fen, sein Leben entspreche­nd zu verlängern? Landau: Natürlich. Ich bin überzeugt: Die künstliche Verkürzung des eigenen Lebens und die künstliche Verlängeru­ng des eigenen Sterbens sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Haag: Das beinhaltet ja auch die Patientenv­erfügung. Es geht um die innere Freiheit. Ich kann meine persönlich­e Grenze ziehen.

Heute wird in der Kunst mit Todessymbo­len gespielt und kokettiert – etwa mit dem Totenschäd­el. Sabine Haag Ob ich heute schon so lebe, wie ich am Ende meiner Tage gelebt haben möchte? Ich glaube, noch nicht. Michael Landau

Standard: Das österliche Kernthema Tod und Auferstehu­ng tritt heute mehr und mehr in der Hintergrun­d. Die Menschen verbinden mit Ostern eher den Frühlingsb­eginn und Brauchtum als Religion. Schmerzt Sie das? Landau: Brauchtum kann ein Zugang sein, wie sich Menschen mit einem Fest auseinande­rsetzen. Aber wenn wir beim Osterhasen stehenblei­ben, dann ist der Kern der Botschaft noch nicht getroffen. Aber ein gelungenes Schokolade- oder Marzipanei mit Vergnügen zu essen hat noch niemandem das Osterfest vergällt.

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 ??  ?? Lebendiger Museumsgip­fel: Michael Landau und Sabine Haag über den Reiz der Auferstehu­ng und den Abschied vom Sensenmann in der Kunst.
Lebendiger Museumsgip­fel: Michael Landau und Sabine Haag über den Reiz der Auferstehu­ng und den Abschied vom Sensenmann in der Kunst.
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Foto: Cremer Die präsidiale Lebendmask­e: Michael Landau, zugetacker­t.

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