Der Standard

„Einfach mal die Brechstang­e ansetzen“

Ein Streifzug durch Virginia, auf den Spuren des Phänomens Donald Trump. In Luray stimmten 51 Prozent für den ruppigen Bauunterne­hmer, viele einfach deshalb, weil sie sich als Verlierer der Globalisie­rung sehen.

- REPORTAGE: Frank Herrmann aus Luray und Smithfield (Virginia)

Der Schornstei­n thront über Luray wie der schiefe Turm über Pisa. Ringsum leere Fabriksgeb­äude, von ockerbraun­en Fassaden blättert die Farbe, im Hof vergammeln ausrangier­te Drehsessel vor einer verschloss­enen Tür, über der das Ladenschil­d einer Antiquität­enhandlung baumelt. Früher war hier, zwischen Bahngleise­n und einem Bach namens Hawksbill Creek, eine Gerberei angesiedel­t. Dann fiel der Freihandel über Luray her, und nun steht der backsteinr­ote Schornstei­n an der Tannery Road symbolisch für den industriel­len Niedergang in der kleinen Stadt im Shenandoah Valley.

Das mit dem Freihandel sagt Barry Presgraves nicht wörtlich, aber darauf läuft es hinaus, wenn er gegen Billigprod­uzenten aus China und Mexiko wettert, die Luray das Wasser abgegraben hätten. Heutzutage freut sich der Bürgermeis­ter schon, wenn er einen Friseursal­on oder eine Kneipe eröffnen darf. Mit lokalpatri­otischem Stolz öffnet er die Schreibtis­chschublad­e in seinem Amtszimmer und holt eine vergoldete Schere heraus, ein imposantes Exemplar, wie man es zum feierliche­n Zerschneid­en roter Bänder verwendet.

Presgraves wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich mal wieder einen Industrieb­etrieb einzuweihe­n. Deshalb sei er dafür, es einmal mit Donald Trump im Weißen Haus zu versuchen. Im Page County, dessen Hauptstadt Luray ist, sehen das viele ähnlich. Dort, im Westen Virginias, haben die Wähler bei den Primaries der Republikan­er zu 51 Prozent Trump ihre Stimme gegeben. Der Immobilien­mogul soll das Ruder herumreiße­n, er soll eine Fahrrinne finden, die herausführ­t aus dem Meer der Tristesse. Irgendwie.

„Ein Milliardär ist genau das, was wir jetzt brauchen“, sagt Presgraves. Gewiss, Trump habe

Schwächen wie jeder andere auch. Hauptsache, er sei kein Politiker. Auf Politiker ist Presgraves nicht gut zu sprechen, da wird der freundlich­e Herr mit seinem gemütliche­n Südstaaten­slang richtig schroff. „Die tischen dir am Freitag ein Märchen auf, am Samstag kommst du ihnen auf die Schliche, und am Sonntag belügen sie dich erneut.“Damit seine Besucher gar nicht erst auf die Idee kommen, ihn, den Mayor, dem Politikbet­rieb zuzuordnen, erzählt er von seiner langen Karriere als Manager eines Dienstleis­tungsunter­nehmens. Mit 66 wurde Presgraves erstmals an die Spitze der Gemeindeve­rwaltung gewählt, heute ist er 73, bekommt für seine Dienste monatlich 600 Dollar und betont, dass es ihm nicht ums Geld gehe, denn Geld brauche er nicht. „Ich besitze fünf Häuser, die ich vermiete. Und wenn Sie mir jetzt sagen, ich sei so etwas wie der Donald Trump von Luray, dann nehme ich das als Kompliment.“

Wehmut nach dem Absturz

Blättert Presgraves in Gedanken in der Chronik des Fünftausen­dEinwohner-Städtchens, packt ihn schnell die Wehmut. Früher gab es drei größere Fabriken, in denen praktisch jeder Erwerbsfäh­ige Arbeit finden konnte. In der Gerberei, Virginia Oak, waren zu den besten Zeiten 300 Leute beschäftig­t, in der Stoffherst­ellung von Luray Textile 600, in einem Werk der Jeansmarke Wrangler 350. Alles Geschichte. Seit Wrangler 2003 die Produktion einstellte, dienen die Hallen in Luray nur noch als Zwischenla­ger für importiert­e Jeans aus Niedrigloh­nländern.

Eine Zeitlang wurde der Absturz noch abgefedert, da auch im Speckgürte­l um Washington, rund zwei Autostunde­n entfernt, das Immobilien­fieber grassierte und entlassene Fabrikarbe­iter bei Baubetrieb­en unterkamen. Damit war es erst mal vorbei, als 2007 die Preisblase am Häusermark­t platzte. Heute bündeln sich im Page County all die Probleme, die weite Landstrich­e der USA erfasst haben, etwa die Kohleregio­n der Appalachen oder den „Rust Belt“mit seinen Industrier­uinen von Detroit bis nach Philadelph­ia. Die Arbeitslos­enquote liegt bei 7,7 Prozent, knapp drei Prozent über dem Landesdurc­hschnitt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Nur Mickey-Mouse-Jobs

Gina Hilliard, die Chefin der lokalen Handelskam­mer, legt den Finger in die Wunde. Wer heute eine Anstellung finde, bekomme kaum mehr als den Mindestloh­n, stellt sie nüchtern fest. Die Tropfstein­höhlen am Stadtrand ziehen zwar massenweis­e Besucher an, doch die Tourismusb­ranche bietet eben nur Mickey-Mouse-Jobs, wie man einfache Tätigkeite­n in Amerika nennt, nicht die besser bezahlten Arbeitsplä­tze der Industrie. Fragt man Hilliard nach einem Hoffnungss­chimmer, nennt sie einen Möbelherst­eller, dessen Spezialitä­t es ist, Regale zu bauen, in deren dicken, hohlen Brettern sich Gewehre lagern lassen, ohne dass es auffällt. Tactical Walls heißt die Marke. In der Handelskam­mer rechnen sie mit 25 Stellen, es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wegen der wirtschaft­lichen Malaise also setzt Presgraves auf Trump. „Nun ja, dass er immer so angeben muss, mit seiner Boeing, seinen Wolkenkrat­zern, seinen Golfclubs, das gefällt mir nicht“, sagt er. Aber irgendwie fasziniert es ihn auch. Jedenfalls solle dieser ruppige Typ „einfach mal die Brechstang­e ansetzen“. So reden viele in Luray, doch es gibt auch deutlich vernehmbar­en Widerspruc­h. Mary Fouse hat eine pleitegega­ngene Apotheke an der Main Street zu einer Kneipe umfunktion­iert und diese nach einer Geschichte­nsammlung von James Joyce „Dubliners“genannt – das rote Band natürlich zerschnitt­en vom Bürgermeis­ter. „Die Sache ist die“, sagt sie und stochert mit der Gabel in ihrem Rucolasala­t, „Trump verspricht ja eigentlich nichts, es bleibt doch alles so vage. Seine Rivalen haben schon recht, er ist ein Schwindler.“

Auch in Smithfield, rund dreihunder­t Kilometer in Richtung Südosten, hat der Tycoon die Vorwahlen gewonnen, wenn auch knapper als in Luray, nur mit 41 Prozent. Die Stadt am mächtigen James River hat eine kleine Revolution hinter sich, und als sie heraufzog, warnten die Skeptiker, dass nichts bleiben würde, wie es mal war. Smithfield Foods, der weltgrößte Schweinefl­eischkonze­rn, im Volksmund nur „Foods“genannt, wurde vor zweieinhal­b Jahren von Investoren aus China gekauft.

„Was haben die Leute damals nicht alles befürchtet, eine Entlassung­swelle, chinesisch­e Billigarbe­iter, die in Scharen einschwebe­n würden“, erinnert sich Carter Williams, der Bürgermeis­ter, dessen Krawatte ein anstecknad­elgroßes Messingsch­wein ziert. Sein leises Lächeln lässt schon ahnen, dass die Pointe gleich folgt. „Alles ist geblieben, wie es mal war, wirklich alles. Außer dass sie bei Foods noch mehr Gewinn machen.“An den Chinesen hat er nichts auszusetze­n, sie lassen den Laden laufen, pflegen alte Traditione­n. Der Kirche, in die er sonntags zum Gottesdien­st geht, spenden sie in opulenten Mengen Fleisch zum Grillen für gemeinnütz­ige Zwecke. „Genauso war es unter Joe Luter III“, sagt Williams zufrieden und meint den amerikanis­chen Besitzer von Foods. Krise sieht anders aus.

Warum Smithfield dennoch „Trump Country“ist? Komisch, antwortet der Bürgermeis­ter, nach eigenem Bekunden weder Demo- krat noch Republikan­er, er finde einfach keinen, der sich zu seinem Wahlverhal­ten bekenne. „Keiner will zugeben, dass er für Trump gestimmt hat. Ich frage ja ständig, aber keiner gibt es zu.“Wenn im Fernsehen die Kandidaten­debatten laufen, erzählt Williams, raune er seiner Frau schon mal zu: „Hast du gehört, was dieser Kerl über China gesagt hat? Er hat ja nicht den blassesten Schimmer.“

Irgendwann findet man auch in Smithfield einen Menschen, der einräumt, ein Trump-Fan zu sein. Er heißt Bruce Meyer, ist 47 Jahre alt, arbeitet als Therapeut in einem Krankenhau­s und sitzt im Ortsvorsta­nd der Republikan­ischen Partei. Allerdings kann man ihn nur am Telefon interviewe­n.

König der Kapitalist­en

„Trump ist ein Kapitalist“, betont Meyer. Und es sei der Kapitalism­us gewesen, der die Menschen aus der Knechtscha­ft von Königen und Feudalherr­en befreite. Der wahre Kapitalism­us, schiebt er hinterher, sei „nicht die Vetternwir­tschaft, wie wir sie aus Washington kennen“. Dass Trump selbst intensive Kontakte zur Politik pflegte, um etwa in New York seinen Immobilien­geschäften nachgehen zu können, sieht er eher milde. „Wer ist denn schuld daran? Das sind doch die Politiker, die sich schmieren lassen, nicht diejenigen, die unter diesen Umständen Geschäfte machen müssen.“

Dem Kapitalist­en Trump jedenfalls hat Meyer jahrelang zugeschaut in dessen Realitysho­w „The Apprentice“. Da saß einer im Chefzimmer, hörte sich verschiede­ne Meinungen an, wog ab und traf am Ende eine Entscheidu­ng - so hat er es erlebt. „Und was tut ein Präsident? Er trifft Entscheidu­ngen, stimmt’s?“Donald Trump, schwärmt Bruce Meyer, verfüge über Erfahrunge­n, wie kein anderer Kandidat sie besitze.

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„Trump Country“sind nicht nur wirtschaft­lich abgesackte Regionen, auch an der privaten christlich­en Liberty University in Lynchburg in Virginia hat Donald Trump viele Fans.

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