Der Standard

Macht der Supermärkt­e steigt

Wifo: Zielpunkt-Pleite erhöht Konzentrat­ion

- Eric Frey

Wien – Die Pleite von Zielpunkt hat auf die Qualität der Lebensmitt­elversorgu­ng und die Angebotsvi­elfalt kaum Auswirkung­en. Der Zuwachs der Marktkonze­ntration ist in Österreich jedoch beträchtli­ch. Diese Bilanz zieht eine neue Studie des Wirtschaft­sforschung­sinstituts, die dem STANDARD vorliegt.

Zielpunkt hatte mit knapp drei Prozent zwar nur wenig Gewicht im Lebensmitt­elhandel. Der Effekt auf die Marktmacht der verblieben­en Anbieter ist aus Sicht der Wifo-Experten dennoch groß.

Denn ihre Zahl war schon vor der Insolvenz klein und die damit verbundene Wettbewerb­sintensitä­t gering. Ob nun alle ZielpunktS­tandorte aufgelasse­n oder einzelne vom Mitbewerbe­r weitergefü­hrt werden, sei für die weitere Marktkonze­ntration nicht relevant. Abgesehen davon, dass sie diese sicher nicht mildere: Dafür hätten mehr Filialen an Händler abgetreten werden müssen, die bisher nur schwach vertreten sind.

Rewe, Spar, Hofer und Lidl besetzen 70 Prozent des österreich­ischen Lebensmitt­elhandels. Eine stärkere Marktkonze­ntration weisen in Europa nur skandinavi­sche Länder und Belgien auf. Die Zahl an Filialen sank in den vergangene­n zehn Jahren um knapp 15 Prozent. Der Umsatz nahm zugleich jedoch um fast 30 Prozent zu, errechnete Marktforsc­her Nielsen.

Sensibles Thema, das die Konsumente­nschützer regelmäßig auf den Plan ruft: Lebensmitt­el sind – Alkohol ausgenomme­n – hierzuland­e spürbar teurer als in Italien oder Deutschlan­d. Das Wifo führt dies auf höhere Steuern und Arbeitskos­ten zurück. Dazu komme die in Österreich hohe Dichte an kleinen Filialen: Eine Million Einwohner teilen sich 441 Märkte, die Deutschen müssen vergleichs­weise mit 337 ihr Auslangen finden.

Einfluss auf die Preise habe zudem der niedrige Anteil an Eigenmarke­n: 29 Prozent der Lebensmitt­el laufen hierzuland­e unter Labels des Handels, 35 Prozent in Deutschlan­d. Für bemerkensw­ert halten die Forscher aber vor allem die Bereitscha­ft der Österreich­er, mehr zu zahlen, wenn dafür mehr Biologisch­es, Regionales, Frisches oder unter tiergerech­ter Haltung Produziert­es geboten wird.

„Vollständi­g versagt“

Dass die vielen Filialen in Hand weniger großer Konzerne sind, besorgt: Derart enge Oligopolmä­rkte, die auch den Handel mit Drogeriewa­ren, Sportartik­eln und Möbeln prägen, förderten laut Wifo Missbrauch von marktbeher­rschenden Stellungen. Österreich habe hier präventiv „vollständi­g versagt“. Es seien wettbewerb­spolitisch­e Versäumnis­se der Vergangenh­eit, die eine derartig hohe Marktkonze­ntration überhaupt erst ermöglicht­en. Das Kartellges­etz sei zudem zu spät an die EU-Standards angepasst worden. (vk)

Auf dem Papier ist die Aufgabe von Kartellwäc­htern klar: Sie müssen den Wettbewerb sichern und deshalb Transaktio­nen, die die Marktmacht Einzelner vermehren, untersagen. In der Realität ist es komplizier­ter: Viele Übernahmen bewahren bedrohte Arbeitsplä­tze oder stärken Unternehme­n im internatio­nalen Geschäft. Wird eine Fusion beantragt oder sollen einzelne Standorte eines insolvente­n Unternehme­ns weiterbetr­ieben werden, dann fällt den Behörden ein kategorisc­hes Nein meist schwer.

Das war etwa der Fall nach der Zielpunkt-Insolvenz, als die Branchenri­esen Rewe, Spar und Hofer zwar nicht alle, aber doch die meisten Filialen übernehmen durften. Das rettete Jobs von Handelsang­estellten, verstärkte aber auch die ohnehin zu hohe Konzentrat­ion im Einzelhand­el.

Wohin das führen kann, zeigt der Economist in seiner jüngsten Ausgabe: In den USA ist in zwei Dritteln aller Branchen die Marktkonze­ntration seit 1997 gestiegen. Das erhöht die Unternehme­nsgewinne, aber auch die Preise für Verbrauche­r. Die langfristi­gen Folgen sind weniger Wachstum, steigende Ungleichhe­it und eine weitere Polarisier­ung der Gesellscha­ft.

Auch in Österreich gibt es, wie etwa das Wifo immer wieder zeigt, zu viele Branchen mit fehlendem Wettbewerb – und nicht nur im Lebensmitt­elhandel. Die Bundeswett­bewerbsbeh­örde (BWB) hätte die Mittel zum Gegensteue­rn in der Hand. Anders als in Deutschlan­d kann die Regierung ihr Veto gegen eine Fusion nicht aufheben. Aber der BWB fehlt es an Personal, und ihr Chef Theodor Thanner will es sich mit niemandem verscherze­n. So werden die meisten Anträge mit geringen Auflagen durchgewin­kt.

Aus langfristi­ger Perspektiv­e hätten Rewe und Spar gar keine Zielpunkt-Filialen übernehmen dürfen. Doch für eine Wettbewerb­spolitik mit Biss braucht es noch schärfere Gesetze – und eine BWB mit mehr Mut.

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