Macht der Supermärkte steigt
Wifo: Zielpunkt-Pleite erhöht Konzentration
Wien – Die Pleite von Zielpunkt hat auf die Qualität der Lebensmittelversorgung und die Angebotsvielfalt kaum Auswirkungen. Der Zuwachs der Marktkonzentration ist in Österreich jedoch beträchtlich. Diese Bilanz zieht eine neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts, die dem STANDARD vorliegt.
Zielpunkt hatte mit knapp drei Prozent zwar nur wenig Gewicht im Lebensmittelhandel. Der Effekt auf die Marktmacht der verbliebenen Anbieter ist aus Sicht der Wifo-Experten dennoch groß.
Denn ihre Zahl war schon vor der Insolvenz klein und die damit verbundene Wettbewerbsintensität gering. Ob nun alle ZielpunktStandorte aufgelassen oder einzelne vom Mitbewerber weitergeführt werden, sei für die weitere Marktkonzentration nicht relevant. Abgesehen davon, dass sie diese sicher nicht mildere: Dafür hätten mehr Filialen an Händler abgetreten werden müssen, die bisher nur schwach vertreten sind.
Rewe, Spar, Hofer und Lidl besetzen 70 Prozent des österreichischen Lebensmittelhandels. Eine stärkere Marktkonzentration weisen in Europa nur skandinavische Länder und Belgien auf. Die Zahl an Filialen sank in den vergangenen zehn Jahren um knapp 15 Prozent. Der Umsatz nahm zugleich jedoch um fast 30 Prozent zu, errechnete Marktforscher Nielsen.
Sensibles Thema, das die Konsumentenschützer regelmäßig auf den Plan ruft: Lebensmittel sind – Alkohol ausgenommen – hierzulande spürbar teurer als in Italien oder Deutschland. Das Wifo führt dies auf höhere Steuern und Arbeitskosten zurück. Dazu komme die in Österreich hohe Dichte an kleinen Filialen: Eine Million Einwohner teilen sich 441 Märkte, die Deutschen müssen vergleichsweise mit 337 ihr Auslangen finden.
Einfluss auf die Preise habe zudem der niedrige Anteil an Eigenmarken: 29 Prozent der Lebensmittel laufen hierzulande unter Labels des Handels, 35 Prozent in Deutschland. Für bemerkenswert halten die Forscher aber vor allem die Bereitschaft der Österreicher, mehr zu zahlen, wenn dafür mehr Biologisches, Regionales, Frisches oder unter tiergerechter Haltung Produziertes geboten wird.
„Vollständig versagt“
Dass die vielen Filialen in Hand weniger großer Konzerne sind, besorgt: Derart enge Oligopolmärkte, die auch den Handel mit Drogeriewaren, Sportartikeln und Möbeln prägen, förderten laut Wifo Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen. Österreich habe hier präventiv „vollständig versagt“. Es seien wettbewerbspolitische Versäumnisse der Vergangenheit, die eine derartig hohe Marktkonzentration überhaupt erst ermöglichten. Das Kartellgesetz sei zudem zu spät an die EU-Standards angepasst worden. (vk)
Auf dem Papier ist die Aufgabe von Kartellwächtern klar: Sie müssen den Wettbewerb sichern und deshalb Transaktionen, die die Marktmacht Einzelner vermehren, untersagen. In der Realität ist es komplizierter: Viele Übernahmen bewahren bedrohte Arbeitsplätze oder stärken Unternehmen im internationalen Geschäft. Wird eine Fusion beantragt oder sollen einzelne Standorte eines insolventen Unternehmens weiterbetrieben werden, dann fällt den Behörden ein kategorisches Nein meist schwer.
Das war etwa der Fall nach der Zielpunkt-Insolvenz, als die Branchenriesen Rewe, Spar und Hofer zwar nicht alle, aber doch die meisten Filialen übernehmen durften. Das rettete Jobs von Handelsangestellten, verstärkte aber auch die ohnehin zu hohe Konzentration im Einzelhandel.
Wohin das führen kann, zeigt der Economist in seiner jüngsten Ausgabe: In den USA ist in zwei Dritteln aller Branchen die Marktkonzentration seit 1997 gestiegen. Das erhöht die Unternehmensgewinne, aber auch die Preise für Verbraucher. Die langfristigen Folgen sind weniger Wachstum, steigende Ungleichheit und eine weitere Polarisierung der Gesellschaft.
Auch in Österreich gibt es, wie etwa das Wifo immer wieder zeigt, zu viele Branchen mit fehlendem Wettbewerb – und nicht nur im Lebensmittelhandel. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hätte die Mittel zum Gegensteuern in der Hand. Anders als in Deutschland kann die Regierung ihr Veto gegen eine Fusion nicht aufheben. Aber der BWB fehlt es an Personal, und ihr Chef Theodor Thanner will es sich mit niemandem verscherzen. So werden die meisten Anträge mit geringen Auflagen durchgewinkt.
Aus langfristiger Perspektive hätten Rewe und Spar gar keine Zielpunkt-Filialen übernehmen dürfen. Doch für eine Wettbewerbspolitik mit Biss braucht es noch schärfere Gesetze – und eine BWB mit mehr Mut.