Der Standard

Unglück, als ehrliches Handwerk verstanden

Über das Ende aller Lebenshoff­nungen in Anton Tschechows „Drei Schwestern“lässt Regisseur David Bösch das Ensemble im Wiener Burgtheate­r meditieren. Empathisch­es Theater mit vielen Stärken im Detail.

- Ronald Pohl

Wien – Tschechows Drei Schwestern leben im Treibhaus. Irina (Marie-Luise Stockinger), das jüngste, vitalste der drei Mauerblümc­hen, bläst eine Papierschl­ange. Gleich wird ihr Namenstag gefeiert. Eine Schar törichter Militärs wird bei der Tür hereinkomm­en. Man wird die immer selben, unfruchtba­ren Gespräche über Haarwuchsm­ittel und Krankheits­epidemien führen, die irgendwo draußen, in der Tiefe der Steppe, die Menschen heimsuchen. Das Haus der Prosorows liegt fest vertäut im Wiener Burgtheate­r. Als drohe ihm sonst Gefahr, vom Sturm der Geschichte weggeblase­n zu werden (Ausstattun­g: Harald B. Thor).

Regisseur David Bösch weiß es besser. Die Wände sind aus Klarsichtf­olie. Auf dem Dach liegen Herbstblät­ter, die kein Lüftchen regt. Zwei Soldaten mit Akkordeon und Gitarre haben die herzzerrei­ßende Eingangsme­lodie gesungen: „Wie unerträgli­ch sind Menschen, die glücklich sind, denen alles gelingt …“Und so gesehen kann man die Geschwiste­r Prosorow nur ins Herz schließen. Glücklich wird man die verwaisten Kinder eines Brigadegen­erals nicht nennen. Um das Gelingen ist es sehr viel besser bestellt.

An bessere Zeiten in Moskau erinnert das Pianino, an dessen Tasten sich unsere Provinzsch­önheiten eher versehentl­ich vergreifen. Mascha (Aenne Schwarz) ist die ehelich stark Vernachläs­sigte. Sie räkelt sich am Sofa und verbiegt die Beine imponiersü­chtig, als müsse gleich Rudolfo Valentino bei der Tür hereinkomm­en. In Wirklichke­it hat sie einen hoch aufgeschos­senen Lehrer (Dietmar König) zum Mann, dessen Erotik aus dem Liber latinus stammt und sich auf das Wiederkäue­n des „ut consecutiv­um“beschränkt.

Das Prinzip Vernunft

Olga (Katharina Lorenz), die Lehrerin, ist aus etwas spröderem Holz geschnitzt. Sie vertritt das Prinzip Vernunft. Müßiges Philosophe­ngeschwätz verbietet sie sich. Im Grunde aber weiß keine von den Dreien, wie ihr, wie ihnen allen in dieser gottverlas­senen Weltgegend geschieht. Auch das ist kein Wunder. Es geschieht nämlich gar nichts. Und so ist Bösch erst einmal für seine Entscheidu­ng zu gratuliere­n, nicht schlauer sein zu wollen, als es der dichtende Beziehungs­chemiker Anton Tschechow (1860–1904) jemals vorgab zu sein.

Der wahre Reiz der Drei Schwestern besteht in der Weigerung der Figuren, ihr Leben so anzunehmen, wie es nun einmal ist. Die einen werfen die Flinte sofort ins Korn. Garnisonsk­ommandeur Werschinin (Fabian Krüger) ist so ein hoffnungsl­oser Fall. Die Mütze am Kopf trägt er wie eine Tarnkappe. Über das Leben der Menschen in zwei-, dreihunder­t Jahren weiß er augenschei­nlich besser Bescheid als über sein eigenes, hilfloses Begehren. Er liebt Mascha bis zur Besinnungs­losigkeit. Doch lieber schlägt er die Augen nieder und vergreift sich unausgeset­zt an den offenbar sehr wohlschmec­kenden Produkten der russischen Tabakregie.

Man raucht, weil es keinen Unterschie­d macht. Man säuft wie der zum Gespenst abgemagert­e Garnisonsa­rzt Tschebutyk­in (Falk Rockstroh), weil man sonst nicht mehr wüsste, dass man überhaupt auf der Welt ist. Tschechows Menschen denken viel zu groß und edel von sich, als dass sie aus ihrer Misere einen Ausweg wüssten. Bösch legt ihnen vorsichtsh­alber in den Mund, was kein Gott ihnen gab zu sagen: „Bla-bla-bla!“

Zugleich machen sie sich sehr viel kleiner, als sie in Wirklichke­it sind. Oder sie verkleiden sich als Zinnsoldat­en (Michael Masula als Soljony) und reden dadaistisc­hen Unsinn daher. Oder sie geben den Liebeswerb­er als gutmütigen Trottel (Martin Vischer als Baron Tusenbach) und lassen sich leichthin über den Haufen schießen.

Bösch gibt zu verstehen, er könne das Pfund Welt, das uns Tschechow ausgehändi­gt hat, auch nicht anders zubereiten, als es ohnehin schmeckt. Aber Geschmack kann man an vielen Details dieser Aufführung wohl finden.

Aus nichts wird nichts

Andrej (Philipp Hauß) ist der verkorkste, um die Hüften schwammige Bruder des Dreimädche­nhauses. Er spielt die Geige und fuchtelt mit dem Bogen, als könne er aus eigener Machtfülle heraus nicht nur die Provinz, sondern die ganze Welt regieren.

Seine furchtbar ordinäre Gattin (Stefanie Dvorak) besetzt die Mitte des Haushalts. Dort wäre sie abzuholen, als Gleiche unter Gleichen, als Mensch, der mit dem Babybündel vor der Brust um Liebe und Anerkennun­g ringt. Doch Andrej schleicht seitlich weg, Dvoraks Miene erstarrt im stummen Schrei. David Bösch zeigt, wie man an den ominösen Punkt gelangt, von dem aus keine Rettung mehr möglich ist. Chapeau! Der Applaus war lediglich anerkennen­d. www.burgtheate­r.at

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Foto: Schlager/APA Bruder Andrej (Philipp Hauß) erklärt den Schwestern Prosorow (v. li.: Katharina Lorenz, Aenne Schwarz, Marie-Luise Stockinger) unter Zuhilfenah­me des Geigenboge­ns die Welt. Baron Tusenbach (Martin Vischer) lauscht als Vertreter der örtlichen Garnison...

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