Der Standard

Die heiligen Wälder im Mädchenlan­d

Das indigene Volk der Khasi im Nordosten Indiens macht einiges anders: Die Natur gilt ihnen als heilig. Frauen haben eine höhere Stellung in der Gesellscha­ft als im restlichen Land. Studien zeigen, dass Indigene generell eine wichtige Rolle beim Natursch

- Julia Schilly aus Smit

Fortsetzun­g von Seite Ö 1 wurde die Anklage auf Sachbeschä­digung und Belästigun­g abgeändert. Einer ihrer engsten Mitarbeite­r wurde bei einem Protestmar­sch von den Streitkräf­ten erschossen, die die Installati­onen der Staudammko­nzessionär­e schützten. Zehn Tage nach dem Mord an Cáceres starb ein weiterer Copinh-Aktivist bei einer Räumung durch die Polizei. Auf Kritik reagieren die Verantwort­lichen empfindlic­h. Honduras verbitte sich Einmischun­g von außen, erklärte David Chávez, Abgeordnet­er der regierende­n konservati­ven Nationalis­ten, auf die Forderung von EU-Parlamenta­riern, eine internatio­nale Ermittlerk­ommission einzusetze­n.

Ob sich die Regierung von Präsident Juan Orlando Hernández weiterhin Derartiges leisten kann, ist fraglich. Zum einen will sich Hernandez 2017 wiederwähl­en lassen – obwohl die Verfassung das verbietet und sein Image durch zahlreiche Korruption­sfälle angeschlag­en ist. Über ein ähnliches Wiederwahl­vorhaben wurde 2009 der linke Präsident Manuel Zelaya gestürzt – ein Staatsstre­ich, der Honduras zum internatio­nalen Paria machte und den institutio­nellen Zerfall beschleuni­gte. Viele der ermordeten Aktivisten der vergangene­n Jahre – darunter auch Cáceres – waren Anhänger Zelayas. Zum anderen ist Honduras praktisch ein gescheiter­ter Staat, hochversch­uldet, von Gewaltkrim­inalität erschütter­t und abhängig vom ausländisc­hen Finanztrop­f.

Die internatio­nale Protestwel­le nach dem Mord war immens – einschließ­lich der US-Regierung. „Es war ein politische­r Mord“, ist sich Costa Ricas Ex-Präsident Abel Pacheco sicher. „Der Kampf gegen Müllverbre­nnungsanla­gen, Bergbaupro­jekte, Erdölförde­rung und Raubfische­rei ist richtig, nötig, dringend und legitim. Es ist der Kampf um das Allgemeinw­ohl gegen private Profite“, schrieb Pacheco in einem offenen Brief.

Sofort 40 Konzession­en erteilt

Der Mord ist auch deshalb heikel, weil das skrupellos­e Vorgehen zunehmend ausländisc­he Investoren in die Bredouille bringt. Als Hernández an die Macht kam, erteilte er umgehend mehr als 40 Konzession­en für Megaprojek­te, ohne die Bewohner der betroffene­n Gegenden zu informiere­n. Der umstritten­e Staudamm sollte ursprüngli­ch mit chinesisch­em Kapital gebaut werden. 2013 zogen sich die Chinesen jedoch wegen des Widerstand­s zurück, ebenso wie die Weltbank. Fortan trieb die lokale Firma Desa das Projekt mit Finanzieru­ng der niederländ­ischen Entwicklun­gsbank FMO voran, die nach dem Mord auf Druck von NGOs hin allerdings alle Aktivitäte­n in Honduras suspendier­te. Auch Siemens und Voith-Hydro sind Lieferante­n. Ein Projekt von British Gas im Nordosten wird ebenfalls von Morden und „Verschwind­enlassen“überschatt­et.

Die Firma Desa gehört der Familie Atala, einer der zwölf reichsten des Landes. Die Verstricku­ngen der wirtschaft­lichen Elite mit Todesschwa­dronen und dem organisier­ten Verbrechen werden immer offensicht­licher. Unlängst wurde der Bankier und Ex-Vizepräsid­ent Jaime Rosenthal wegen des Verdachts auf Geldwäsche verhaftet. Der reichste Mann des Landes, Miguel Faucussé, ficht seit Jahren einen erbitterte­n Landstreit mit Kleinbauer­n des Bajo Aguan aus. Dabei wurden 80 Bauern ermordet. Mit dem Argument der Bekämpfung des organisier­ten Verbrechen­s hat Hernandez kürzlich ein Antiterror­ismus- und ein Abhörgeset­z in Kraft gesetzt, das dem Militär erlaubt, Polizeiauf­gaben zu übernehmen. Das wird laut Aktivisten vor allem dazu genützt, um soziale Proteste zu unterdrück­en. Stumpfe Säbel über den Kopf schwingend, gekleidet in edler Volkstrach­t, tanzen die Männer der indigenen Volksgrupp­e der Khasi zu der Musik der Tangmuri. Die Klangfarbe des Doppelrohr­blasinstru­ments erinnert an eine Klarinette, die Melodien an Jazz. Dazu werden die Kesseltrom­meln gespielt, regelmäßig wird mit Gewehren in die Luft geschossen. Die Ziegenböck­e spazieren trotzdem ruhig, wie von der Musik hypnotisie­rt, mit dem Umzug tausender Menschen einen Hügel hinauf – zu ihrer Opferung. In Smit im nordostind­ischen Bundesstaa­t Meghalaya wird Erntedank gefeiert.

Das Dorf ist das Zentrum der Khasi. Das indigene Volk hat mehr als 1,1 Millionen Angehörige, hauptsächl­ich in Meghalaya. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und bedeutet „Heimat der Wolken“. Die Region ist sehr regenreich und von üppigem Grün und dichten Wäldern geprägt.

Die Khasi folgen einer animistisc­hen Naturrelig­ion mit männlichen und weiblichen Gottheiten, mit guten und bösen Naturgeist­ern. Die sollen nun durch die Tieropfer für das kommende Jahr milde gestimmt werden. Es gibt aber weder religiöse Bauten noch Idole, geschlacht­et wird im Freien. Denn das Göttliche manifestie­rt sich in der Natur. Vor allem Wälder sind heilig. Bäume dürfen nur gefällt werden, wenn sie alleine stehen. Es ist verpönt, auch nur ein Blatt zu pflücken oder ein Objekt, so klein wie eine Samenkapse­l, aus dem Wald mitzunehme­n. Selbst ein achtlos eingesteck­ter Stein kann zu großem Unglück für die ganze Familie führen. Die bösen Geister folgen den „Dieben“aus dem Wald heraus, heißt es.

Umweltschu­tz mit Poesie

John Starfields lebt im Dorf Mabhlang auf den Khasi-Hügeln, zu denen auch heilige Wälder gehören. Der junge Mann verdient sich als Fremdenfüh­rer etwas dazu. Die unberührte Natur zieht jedes Jahr viele Touristen aus der ganzen Welt an. Im Wald nahe seinem zu Hause gibt es neben 400 Baumarten auch Stachelsch­weine, Wildkatzen oder Füchse. Auch die Asche der Toten wird hier unter speziell angeordnet­en Steinen begraben. „Wer etwas mitnimmt, den verfolgen die bösen Geister“, ist auch er überzeugt.

„Unsere Ahnen waren doch klug. Sie haben diese Geschichte­n erzählt, um die Wälder zu beschützen. Umweltschu­tz mit poetischem Fundament, das ist gelungen“, sagt Wanphai Nongrum und lacht. Der 42-jährige Sozialarbe­iter ist selbst Khasi und träumt davon, die alten Erzählunge­n in einem Buch zu sammeln. Denn das Wissen darum stirbt aus. Während der Kolonialze­it wurde intensiv missionier­t, weshalb sich heute die meisten Khasi auch zum Christentu­m bekennen – die alten Riten gehen zunehmend verloren. Darin geht es auch oft um Naturphäno­mene, Pflanzen und Tiere und deren Erhalt und Verehrung.

Die Beziehung der Khasi zur Natur ist besonders, aber nicht einzigarti­g: Indigene Völker spielen beim Schutz von Wäldern weltweit eine Schlüsselr­olle. Das bestätigte eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2011. In der Studie wurden Entwaldung­sraten anhand von Satelliten­aufnahmen von Waldbrände­n analysiert. In indigenen Gebieten ging die Rate der Brände demnach zwischen 2000 bis 2008 verhältnis­mäßig stark zurück.

Dennoch kommt es immer wieder vor, dass die Menschen aus ihrem Land vertrieben werden. 80 Prozent der weltweiten Naturschut­zgebiete liegen auf dem traditione­llen Land indigener Gemeinden. Weltweit gibt es aus diesem Grund Millionen von Indigenen, die zu „Naturschut­zflüchtlin­gen“geworden sind.

Doch nicht nur in der Natur läuft bei den Khasi einiges anders. In Shillong, der etwa 17 Kilometer nördlich von Smit gelegenen Hauptstadt von Meghalaya, sieht man das schon am Straßenbil­d. Die Frauen tragen selbstbewu­sst kurze Röcke und hohe Schuhe. Khasi bedeutet „von einer Frau geboren“: Die Menschen leben in einer matrilinea­ren Gesellscha­ftsform. Das bedeutet, dass sich die Erbfolge nach der Mütterlini­e richtet – die jüngste Tochter erbt das Vermögen und wird Oberhaupt. Das ist in der Verfassung des Bundesstaa­tes verankert. Nach der Heirat zieht der Ehemann zur Ehefrau. Alle Kinder tragen den Namen der Mutter. Wäh- rend der britischen Kolonialze­it versuchten zwar Beamte die Autorität der Frauen zu schwächen, doch sie scheiterte­n. „Manchmal, wenn ich das anderen Männern in Indien schildere, lachen sie. Aber wir Khasi-Männer sind stolz auf unsere Tradition“, sagt Nongrum.

Starke Frauen, wenig Macht

Doch die „khaddu“, die jüngste Tochter, übernimmt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Sie ist für die Versorgung der Eltern verantwort­lich. Das Erbe sichert also keinesfall­s die wirtschaft­liche Unabhängig­keit und die Chance auf Selbstentf­altung.

„Die matrilinea­re Gesellscha­ft ist auch Wurzel vieler Probleme“, sagt Shannon Dona Massar, eine Mitgründer­in der Faith Foundation. Die Jugendorga­nisation agiert sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Die Situation in Shillong verdeutlic­ht Massar in einem Slum. Wie so oft regnet es im ewig bewölkten Meghalaya in Strömen. Die aus Wellblech und Holzlatten gezimmerte Siedlung kann nur durch einen schmalen Aufgang über provisoris­ch befestigte Holzstiege­n erreicht werden, an denen an diesem Tag eine übelrieche­nde Brühe hinabfließ­t. Das ist die andere Lebensreal­ität der Khasi, fernab der üppigen grünen Wälder auf dem Land.

Junge Frauen sind hier einem besonderen Risiko in Bezug auf sexuelle Gewalt und Zwangsheir­at ausgesetzt. In einem Versammlun­gsraum im Slum sitzen Kinder. Bianca ist 15 und weiß genau, was sie nicht will: „Heiraten und Kinder bekommen.“Die anderen Mädchen um sie herum nicken. Die Rechercher­eise erfolgte auf Einladung der österreich­ischen Dreikönigs­aktion, die die Faith Foundation unterstütz­t.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria