Der Standard

Giftmüllen­tsorgung spaltet ein sächsische­s Dorf

Eine Firma, die Dreck vergoldet. Politiker, Journalist­en und Anwohner, die daran glauben. Ein Gericht, das die Anklage auf die lange Bank schiebt: Einer der größten Giftmüllsk­andale Deutschlan­ds ist weitgehend unbekannt.

- Jan Rübel aus Pohritzsch

Die Buchstaben auf dem Schild am Metalltor mit der Warnung vor dem Hund sind knochenble­ich, links und rechts wuchern Büsche entlang des Zauns. Dahinter liegen sandfarben­e Hallen und minzgrüne Türme. Seit drei Jahren verwaist die Anlage, am Gelände lagern aber immer noch ein paar Hundert Tonnen Giftmüll.

Die Geschichte der S.D.R. Biotec Verfahrens­technik GmbH in Pohritzsch in Sachsen ist eine von gebrochene­n Verspreche­n. Bis heute spaltet die Firma ein ganzes Dorf – auch weil es seit Jahren trotz einer Anklage durch die Staatsanwa­ltschaft nicht zu einer juristisch­en Aufarbeitu­ng gekommen ist.

Zwölf Jahre lang arbeitete die Firma mit zumeist hochgiftig­em Müll, insgesamt über eine Million Tonnen wanderten hier durch. Dieser, so die Chemiker und Ingenieure, werde zu harmlosem Abfall verarbeite­t. Die Formel: Durch chemische Reaktionen sollte das Gift „immobilisi­ert“werden. Hochproble­mmüll verwandle sich mittels Chemikalie­n und Beimengen wie Braunkohle­nasche und Wasser in einen ungefährli­chen Baustoff, hieß es.

Das Geschäft lief gut. Denn Biotec verlangte für die Entsorgung weniger als in der Branche üblich. Die Firma kümmerte sich um Reststoffe aus der Metallurgi­e und den Filtern von Müllverbre­nnungsanla­gen. Eine Tonne in einem Salzstock kostet 100 Euro aufwärts. Biotec nahm dafür 50 bis 60 Euro und lagerte diese dann für fünf bis 25 Euro auf Deponien.

Die Betreiber der Müllberge nahmen den Baustoff gern für ihre Halden. Die Politiker freuten sich über die Aufträge für die oft übergroßen und defizitäre­n Deponien in Staatshand. Manch Arbeitslos­er in der Region fand endlich einen Job und die Kommune mit der Firma einen großen Steuer- zahler. Und die Industrie sträubte sich nicht gegen geringere Entgelte für die Abnahme ihres Mülls. Alle schienen daran zu gewinnen.

Roland Wiesener steht in seinem Wohnzimmer, er lugt über die Silberrand­brille durchs Fenster in den Garten. Alles hat seinen Platz dort, keine zehn Autominute­n von Pohritzsch entfernt. Nur dieser Störenfrie­d in seinen Beinen und Händen, der ist nicht bestellt. Ein Kribbeln und Jucken und Stechen. Der 56-Jährige nimmt dreimal am Tag Schmerzmit­tel. Der Frühpensio­nist ist schwerbehi­ndert. Eine Polyneurop­athie greift seine Nerven an, sein Blut hat hohe Bleiwerte. 2012 machte der Delitzsche­r bei Biotec als einer der letzten Mitarbeite­r das Licht aus.

Warnhinwei­se überpinsel­t

Wiesener zeigt ein Foto aus dem Jahr 2004, daneben mehrere Unterschri­ften. „Das haben wir Arbeiter dokumentie­rt. Hier haben wir auf den Tonnen die Totenköpfe überpinsel­t und die Abfälle als ‚stabilisie­rt‘ unbehandel­t zur Zentraldep­onie in Gröbern bringen lassen“, sagt er. Bis zu vier Touren solcher Art habe es pro Tag gegeben. „Anfangs haben wir noch Kalk dazugegebe­n, aber das kostete ja. Das sollten wir später nicht mehr machen“, sagt er. Mit den Chefs habe man darüber nicht reden können, so Wiesener: „Die sagten dann: ‚ Ihr habt Schweigepf­licht.‘“

Anwohner klagten in dieser Zeit zum Beispiel über Ammoniakge­ruch. Der Betrieb werde regelmäßig überwacht, schrieb jedoch ein Referatsle­iter aus dem sächsische­n Umweltmini­sterium 2007 einer Anwohnerin. Und der damalige sächsische Umweltmini­ster Roland Wöller (CDU) sagte 2008, seit 1999 sei es „zu keinen Abweichung­en vom bestimmung­sgemäßen Betrieb der Anlagen“gekommen. Was der Minister und die Briefe von damals nicht erwähnten: Nach Angaben der Umwelt- und Verbrauche­rschutzorg­anisation „Deutsche Umwelthilf­e“(DUH) hatten mehrere Deponien Chargen der Biotec zurückgewi­esen. Cröbern erließ Anfang Februar 2008 einen Lieferstop­p, Spröda lehnte im Juni 2006 alle untersucht­en Mengen wegen zu hoher Metallwert­e ab und die Deponie „Weißer Weg“in Chemnitz stellte Ende 2008 die Annahme wegen der Bleiwerte ein. Studien des TÜV Nord und der Uni Leipzig zweifelten an der Methode, Giftmüll zu immobilisi­eren.

Blei in der Luft

Die DUH nahm schließlic­h selbst Bodenprobe­n, Medien wurden aufmerksam. Im September 2008 veranlasst das Sächsische Landesamt für Umwelt schließlic­h dreimonati­ge Emissionsp­roben nahe der Firma, wegen der ersten hohen Ergebnisse dann für ein ganzes Jahr. Danach weiß man: In Pohritzsch, einem Ort umringt von Kirschbaum­plantagen, liegen zu viel Blei, Cadmium, Arsen, Thalium und Nickel in der Luft.

2009 kam die Wende: Die Behörden kontrollie­rten die Firma und stießen auf bereits behandelte­n Müll, der jedoch zu viele Schwermeta­lle enthielt. Eine defekte Reifenwasc­hanlage fiel auf. Viermal forderte man die Betreiber auf, den Langzeitna­chweis für die Sicherheit des behandelte­n Mülls zu erbringen; vor der Betriebser­laubnis hatten sie 1999 versproche­n, dies im Laufe der Jahre einzureich­en. Die Manager von Biotec reagierten mit viel Papier und überzeugte­n dennoch nicht. Es hagelt Auflagen. Auch die Staatsanwa­ltschaft ermittelt und die GmbH wird geschlosse­n.

Für viele im Dorf war das ein Schlag. Bis heute ist man sich uneins in Pohritzsch, schaut unschlüssi­g auf die verfallend­en Hallen am Ortsrand. Im September 2012 hat die Staatsanwa­ltschaft Anklage erhoben. Bis maximal 2020 hätte man noch Zeit, bis die Vorwürfe verjähren. Die Deponie Spröda (Foto oben) ist eine Altdeponie, die

vom massiv aufsteigen­den Grundwasse­r durchström­t wird. Sie liegt direkt neben landwirtsc­haftlich genutzten

Feldern.

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