Der Standard

„Tourismus, der ohne Skilifte und Seilbahnen auskommt“

Sanfter Tourismus kann ein Rezept sein, um Leben in den Alpen zu halten und Verstädter­ung weitestgeh­end zu vermeiden. Alpenforsc­her Werner Bätzing sieht in der Ötscherreg­ion gute Ansätze. Zusammenar­beit sei nötig.

- Günther Strobl

INTERVIEW:

Standard: 2015 waren Sie führend in die niederöste­rreichisch­e Landesauss­tellung „Ötscher:reich“eingebunde­n. Wie kann verhindert werden, dass der Versuch, für mehr Nachhaltig­keit im Tourismus zu sorgen, gleich wieder erlahmt? Bätzing: Wichtig ist jetzt das Schnüren von Netzwerken. Bleiben die regionalen Akteure auf sich gestellt, besteht die Gefahr, dass alles verpufft. Ich bin zuversicht­lich, dass es funktionie­rt.

Standard: Naherholun­g und Tourismus, das stand bisher im Fokus? Bätzing: Jetzt werden auch andere Themen wichtig, von kulturelle­r Identität über das Bildungssy­stem bis zu kommunaler Infrastruk­tur. In der Region gibt es sechs Gemeinden mit weniger als 600 Einwohnern. Schon allein wenn man ein Geschäft aufsperren will, sind neue, möglicherw­eise genossensc­haftliche Ansätze notwendig.

Standard: Das setzt Bereitscha­ft zur Zusammenar­beit voraus? Bätzing: Das ist zentral. Die Gemeinden müssen kooperiere­n, über Bezirksgre­nzen hinweg. Damit müsste man jetzt anfangen. Eine nachhaltig­e Regionalen­twicklung nur über Tourismus bzw. Naherholun­g greift zu kurz.

Standard: Ist Verständni­s dafür da? Bätzing: Die Landesauss­tellung hat viel bewegt. Die Leute haben gesehen, welche Möglichkei­ten sich auftun. Das große Problem ist der Gemeindeeg­oismus, jede Kommune schaut auf sich allein. Noch dazu wird die Ötscherreg­ion von Bezirksgre­nzen und einer Landesgren­ze geteilt, was die Zusammenar­beit erschwert.

Standard: Es bräuchte meister mit Weitblick? Bätzing: Solche sind mehr denn je gefragt. Ich habe das Gefühl, dass ein erster Schritt in die richtige Richtung erfolgt ist. Es gibt viele gute Ideen. Die Sache muss aber jemand in die Hand nehmen.

Bürger-

Standard: Wer denn? Bätzing: Für die Organisati­on böte sich der Naturpark Ötscher-Tormäuer an. Leiten müssten es alle gemeinsam oder im Turnus. Mit dem Naturpark hätte man einen Akteur, der bereits grenzübers­chreitend ausgericht­et ist.

Standard: Sie haben aufgezeigt, dass die Bevölkerun­gszahl in der Region zwischen 1981 und 2011 geschrumpf­t ist. Lässt sich so ein Trend durch Initiative­n wie diese stoppen? Bätzing: Das ginge, indem vor allem Jugendlich­e motiviert werden, dass sie nach einer Ausbildung außerhalb der Alpenregio­n heimkehren und hier arbeiten.

Standard: Was ist sanfter Tourismus in Ihren Augen? Bätzing: Ein Tourismus, der von den Einheimisc­hen gestaltet wird, wo man ohne Seilbahnen und Skilifte auskommt und wo keine fremden Investoren mitmischen.

Standard: Viele Privatzimm­er? Bätzing: Da ist vieles denkbar. Das können Privatzimm­er sein, auch kleine Pensionen oder Hotels, wenn sie im Eigentum der Einheimisc­hen sind. Standard: Bräuchte es im Alpenbogen mehr Bewusstsei­nsbildung, dass durch verstärkte Kooperatio­n auch Kleinstruk­turen eine Überlebens­chance haben? Bätzing: Unbedingt. Die niederöste­rreichisch­e Landesauss­tellung im Vorjahr war der stärkste Impuls für eine nachhaltig­e Regionalen­twicklung seit langem. Überall sonst haben neoliberal­e Ideen Oberwasser. Die Peripherie hat nur eine Chance, wenn sie mit den Zentren eng verbunden wird, sonst kann man sie abschreibe­n.

Standard: Sie halten dagegen? Bätzing: Weil die Alternativ­e eine Verstädter­ung der Alpen ist. Das Extrembeis­piel sind die französisc­hen Alpen. Die werden von der Compagnie des Alpes dominiert – einer AG in Paris. Die Einheimisc­hen sind jedoch von der Tourismuse­ntwicklung ausgeschlo­ssen. Die Menschen, die dort Urlaub machen, erfahren die Alpen nicht als Naturund Kulturraum, sie erleben eine für den Tourismus hergericht­ete Landschaft. Mit den Alpen hat das wenig zu tun.

WERNER BÄTZING (66) gilt als Alpenforsc­her schlechthi­n. Bis 2014 war er Professor für Kulturgeog­rafie an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg. Sein Basiswerk „Die Alpen“(C.H. Beck, München) wurde 2015 überarbeit­ert und neu aufgelegt. Im Vorjahr war Bätzing in die niederöste­rreichisch­e Landesauss­tellung „Ötscher:reich“involviert. Alpenforsc­her Werner Bätzing

sieht in der Ötscherreg­ion richtige Ansätze für sanften Tourismus.

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Foto: Franz Pritz, Uli Ertle

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