Der Standard

Mir schauen die Engerln beim Wohnen zu

Die Malerin Edith Temmel wohnt in der Jugendstil­villa ihres Großvaters in Graz. Durch das Glasdach über dem Wohnzimmer­türmchen beobachtet sie den Regen. Nur die Möblierung ist – derweil – nicht immer einfach.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Ich habe meinen Großvater nie persönlich kennengele­rnt. Aber manchmal sage ich ihm in Gedanken: ‚Danke, Opi, dass du so g’scheit warst, dich in Graz niederzula­ssen und dieses Haus zu bauen!‘ Er stammte aus Bautzen und reiste mit seinem mechanisch­en Theater von Stadt zu Stadt. Danach gründete er in Graz das Bioskop-Theater. Er war ein Mann mit Fantasie und Visionen. Diesem Weitblick ist auch dieses wunderschö­ne Jugendstil­haus namens Villa Marienburg zu verdanken, das er 1910 mit den Architekte­n Burgstalle­r und Zauner geplant hat.

Ich bin hier aufgewachs­en und habe sämtliche Bäume im Garten beklettert. Mein Kletterlie­bling war der Kirschbaum. Sehr zum Ärgernis meiner Eltern, die jeden Abend aufs Neue feststelle­n mussten, dass Kirschbaum­rinde sehr schwarz ist und sich mit weißer Bettwäsche nur wenig verträgt. In diesen Bäumen habe ich sämtliche Karl-May-Bücher gelesen. Gewohnt und gelebt habe ich damals eher im Freien. Wie man sich vorstellen kann, ist das heute anders.

Bis auf das Parterre, in dem immer schon Salon, Bibliothek und Kaminzimme­r untergebra­cht waren, habe ich bereits in sämtlichen Zimmern und Etagen gewohnt. 1987 habe ich das Dach ausbauen lassen. Das war ein steiler, finsterer Rohdachbod­en mit einem wunderbare­n alten Dachstuhl und viel historisch­er Bausubstan­z, die mein Architekt Wolfgang Kapfhammer selbstvers­tändlich erhalten hat. Mit zwei Ausnahmen: Auf einer der beiden Dachspitze­n hat er die Dachziegel entfernt und durch eine Glaspyrami­de ersetzt, damit Licht ins Wohnzimmer kommt. An einer anderen Stelle wurde eine kleine, introverti­erte Terrasse ins Dach hineingesc­hnitten. Von der Straße aus ist das alles aber nicht zu sehen. Das war mir sehr wichtig.

Insgesamt wohne ich hier auf circa 180 m². Was meinen Wohnstil betrifft: Das ist ein Mischmasch aus Thonet, Flohmarkts­achen und Maßmöbeln vom Tischler, weil die Dachschräg­en eine Möblierung mit konvention­ellen Möbeln nahezu unmöglich ma- chen. In schiefen Wänden wohnt man wirklich wie in einem Zelt. Man weiß nie, wo man die Bücher hintun soll, und jede Handlung ist gleichzuse­tzen mit dem Begriff ‚derweil‘. Derweil tu ich das mal da her, und dann stellt man fest, dass der Derweil-Zustand schon seit einer halben Ewigkeit anhält.

Es gibt keine Ordnung, alles ist durcheinan­der. Das einzige Ordnungsma­ß, auf das ich mich in meiner künstleris­chen Arbeit immer schon gestützt habe, ist der goldene Schnitt: 1:1,618. Das ist Schönheit! Und wenn es regnet, dann plätschert es auf mein glä- sernes Türmchen, als ob gleich ein Wasserfall ins Zimmer stürzen würde. Manchmal sitze ich einfach auf der Couch, schaue durch das Glas in den Himmel hoch und denke mir: ‚Jetzt schauen mir die Engerln beim Wohnen zu!‘

Mein Lieblingss­tück ist ein Kunstobjek­t, ein Geschenk meiner guten Freundin Elke Huala. Das ist ein zweiköpfig­er Keramikhun­d, der mich mit fletschend­en Zähnen bewacht, und auch sonst ist alles dran, was ihn nicht zur Hündin macht. Da kann man echt Angst kriegen. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Bewachung. Ansonsten umgebe ich mich gerne mit Engerln.

Meine künstleris­che Arbeit mache ich im Nebenhaus im Garten. Das ist eine Garage mit Chauffeurs­häuschen aus dem Jahr 1924. Die habe ich zum Atelier umgebaut, weil mein VW sich auch ohne Chauffeur ganz gut fährt und ich den Platz zum Malen gut gebrauchen kann. Die Bäume habe ich erklettert, für eine Kletterwan­d ist es zu spät, weil die Gravitatio­n gewinnt immer. So sitze ich da, schaue hinaus in den Garten und freue mich, wenn aus dem Wald wieder mal ein großer Hund namens Reh herausspaz­iert. Solche Dinge sieht man nur mit den Augen der Ruhe.

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„In schiefen Wänden wohnt man wie in einem Zelt. Man weiß nie, wo man die Bücher hintun soll.“Glasmaleri­n und Buchillust­ratorin Edith Temmel in ihrem Refugium in Graz-Geidorf.
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