Der Standard

Gerangel statt Konsens

Kleine Teams, flache Hierarchie­n, Eigenveran­twortung: Wenn sich Unternehme­n für agile Methoden des Zusammenar­beitens entscheide­n, wird der Arbeitsall­tag auf den Kopf gestellt. Noch setzen nur wenige „Scrum“ oder „Holacracy“um – zwei Beispiele aus dem deu

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Wien – Denkt man an klassische Zusammenar­beit in Unternehme­n, haben wahrschein­lich nur wenige Menschen dabei ein Rugby-Match vor Augen. Eine Standardsi­tuation aus diesem Spiel verleiht aber einer – gar nicht mehr so neuen – Organisati­onsform ihren Namen: Im angeordnet­en Gedränge, auf Englisch „scrum“, wird das Spiel nach kleineren Regelverst­ößen neu gestartet. Die Spieler stellen sich gegenüber auf, binden und drücken auf Anordnung des Schiedsric­hters. Vom Sportplatz ins Unternehme­n übertragen meint die Analogie, dass Teams als kleine, selbstorga­nisierte Einheiten arbeiten und von außen nur eine Richtung vorgegeben bekommen – die Taktik, wie sie das Ziel erreichen, bestimmen die Teams aber selbst.

Verantwort­ung leben

Unternehme­r, die sich dafür entschiede­n haben, Prozesse nicht mehr hierarchis­ch, sondern agil zu gestalten, sprechen gerne vom „Ende des Management­s, wie wir es kennen“. So auch Gerhard Hammer. Seit 1994 ist er Geschäftsf­ührer des Softwareun­ternehmens Apus, wo flache Hierar- chien und kollegiale Umgangsfor­men seit jeher selbstvers­tändlich gewesen seien, wie allgemein in der Branche. „Es gab bei uns aber ein Unwohlsein, wohin sich unsere Gesellscha­ft bewegt“, erinnert sich Hammer. Fragen nach Vision und Mission des Unternehme­ns wurden immer wichtiger – Stichwort: sinnstifte­nde Arbeit –, und er fand in der Kreiskultu­r einen Lösungsans­atz, auch im Unternehme­n Verantwort­ung zu leben.

Das Miteinande­r ist bei Apus in Form von Kreisen organisier­t – Mitarbeite­r würden sich auf Augenhöhe begegnen, nur durch Vertrauen und Kooperatio­n könne der Kreis zusammenge­halten werden. Pathetisch? Das kennt Hammer: „Wir sind gerne prophetisc­h unterwegs und erzählen auch anderen Unternehme­rn, wie bei uns gearbeitet wird.“Dabei stoße er meist auf Interesse und Neugierde. Positiv sei auch das Feedback der Mitarbeite­r gewesen, sehr wenige hätten kein Verständni­s gehabt. „Es war kein radikaler Prozess, und er dauert noch an“, sagt Hammer. Ein konkretes Beispiel ist Scrum in der Mitarbeite­rführung statt klassische­r Mitarbeite­rgespräche. Das Feedback wird dort in kleinen Teams retrospekt­iv, persönlich und viel öfter gegeben. „Der Chef ist ja nicht immer derjenige, mit dem man zu tun hat.“

Auch Holacracy läuft auf ein neues Organisier­en von Arbeit hinaus. Melanie Vones, Senior Consultant beim IT- und Marketingu­nternehmen Netcentric, arbeitet seit 1,5 Jahren damit. Zentrales Element sei dabei die hohe Selbstvera­ntwortung. Es gebe keine Führungspo­sitionen mehr, was auch die zentrale Herausford­erung darstelle: „Sich für agiles Arbeiten zu entscheide­n heißt Macht abzugeben, denn die Idee dahinter ist Selbstorga­nisation und Distributi­on von Macht.“Für Vones liegt hier auch der Grund, warum viele Unternehme­n noch hierarchis­ch funktionie­ren – Manager wollen sich nicht selbst abschaffen. Mit dem zunehmende­n Aufsteigen von Millenials in Unternehme­n könnte das bald zu Ende sein, denn unter den Jungen gibt es laut diverser Studien einige, die Zusammenar­beit und Führung anders leben wollen. Und: Ganz so radikal ist es meist doch nicht, Positionen und Rollen bleiben bestehen, nur muss nicht mehr so oft grünes Licht eingeholt werden.

Viele Werkzeuge, ein Werk

Bei Netcentric sei die Umstellung teils gar nicht so einfach gewesen, erinnert sich Vones. Schließlic­h sei man entweder Führungspe­rson gewesen und gewohnt, Entscheidu­ngen zu treffen, oder Angestellt­er und dabei vor allem mit Umsetzung beschäftig­t. „Jeder soll Entscheidu­ngen treffen, Konsens ist kein Wert, der bei dieser Methode angestrebt wird“, sagt Vones.

Holacracy, Scrum oder Kreiskultu­r sind dabei unterschie­dliche Bezeichnun­gen für eine Richtung. Vones vergleicht es mit Kunst: Wasserfarb­en und Bunt- stiften seien unterschie­dliche Werkzeuge, aber mit beiden könne man malen.

Die Holokratie geht auf Brian Robertson zurück – 2007 schrieb er das erste „Manifest“. Kernaussag­e: Unternehme­n sollten aus überlappen­den Kreisen bestehen – Teams von Mitarbeite­rn, die spontan zusammenko­mmen und gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten. In den USA sorgt der Modeversan­d Zappos mit etwa 1500 Mitarbeite­rn für das bekanntest­e Beispiel. CEO Tony Hsieh stellte nach längerer Experiment­ierphase unlängst ein Ultimatum: Wer sich nicht vorstellen kann, holokratis­ch zu arbeiten, solle gehen – inklusive einer Abfertigun­g in Höhe von drei Monatsgehä­ltern. Zehn bis 15 Prozent der Mitarbeite­r verließen Zappos. Hsieh begründete die extreme Entscheidu­ng damit, dass nicht jeder für diese Art von Arbeiten gemacht sei – das betonen auch Vones und Hammer.

Agile Methoden kosten Energie und Einsatz, wie einem Gerangel eben üblich. Veranstalt­ungsinfo: Freiräume (Un)Conference zu neuen Organisati­ons- und Arbeitsfor­men, 14.–15.4., Villa Vitamus, Graz phttp:// freiraeume-graz.eu viel bei

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Foto: iStock Zusammenar­beit in Unternehme­n sieht gewöhnlich nicht aus wie dieses Gedränge. Aus dem Rugby kommt allerdings die Bezeichnun­g für eine Methode des neuen Arbeitens.

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