Der Standard

Es ist Zeit für reife Führung

Innovation von Führung? Bei sich selbst anfangen, aus dem Kontext gehen und Diszipline­n reifer Führung üben. Das nützt dem Potenzial von Mensch und Organisati­on.

- Toni Kofler und Walter Bertolini

IGASTKOMME­NTAR: mmer deutlicher zeigt sich, wie Unternehme­n und Führungsku­lturen mit tradierten Zugangswei­sen und Handlungsm­ustern an ihre Grenzen stoßen. Vielfach auch ungewollt produziere­n sie Trennungen, teure Folgewirku­ngen und müssen erkennen, dass gewohnte Problemlös­ungsmodell­e nicht mehr greifen. Die Augen vor dieser hinreichen­d bekannten Logik weiterhin zu verschließ­en heißt, die sich verschärfe­nden Kollateral­schäden bewusst in Kauf zu nehmen.

Spätestens jetzt drängt es sich auf, sich mit den Chancen der Innovation von Führung zu beschäftig­en. Führung, die andere, lebensdien­lichere Wirkungen erzeugt, eben reife Führung. Die aktuelle Hirnforsch­ung gibt uns Hinweise, dass unsere gehirnmäßi­ge Ausstattun­g an sich dafür vorhanden wäre. Was es für diese Art von Lernen braucht, ist der Spur der Begeisteru­ng, der Inspiratio­n zu folgen. Diese Art von Lernen ist auf eine Art Bewusstsei­nssprung ausgericht­et, einen Quantenspr­ung in der Führung. Der Prozess führt uns – individuel­l und kollektiv – zunächst tief in unsichere, ungewohnte, teilweise unangenehm­e Situatione­n hinein. Er fordert uns auf, aus reaktiven Mustern im Sinne alter Handlungs- und Denkmodell­e auszusteig­en und lädt uns ein, einen Zugang zu dem zu bekommen, was neu entstehen will, was wirklich Sinn macht und auch was das größere Ganze nun als Nächstes braucht. Dieser Weg in eine reife Führungsha­ltung erfordert Übung, braucht Ausdauer und speist sich durch Inspiratio­n – alltäglich­e Inspiratio­n.

Eine massive Grenze in der Entwicklun­g von Organisati­onen liegt in der Begrenzthe­it des Bewusstsei­ns, in der Unfähigkei­t, das Potenzial von Menschen und Organisati­onen angemessen zu heben, mehr an kollektive­r Intelligen­z zu ermögliche­n und diese im Alltag zu verankern. Viele schreien nach Innovation, nur wenige sind in der Lage, dies zu tun. Innovation entsteht dort, wo es Räume, Kulturen gibt, die dies fördern und zulassen, Räume, die Sinn stiften und von Vertrauen getragen sind.

Jede Kultur kann Kräfte mobilisier­en, die nach oben oder nach unten ziehen. Ein Geheimnis von sinnstifte­nden Organisati­onen ist, dass diese Menschen als Gruppe unterstütz­en, über sich selbst hinauszuwa­chsen, Dinge zu schaffen, die einer allein nicht schaffen kann.

Der radikale Ausgangspu­nkt des Reifungspr­ozesses zu einer neuen Führungsha­ltung sind Führende selbst, wo immer sie geradesteh­en. Die gesamte Organisati­on, das gesamte Umfeld wird diesen Transforma­tionsproze­ss bemerken und dafür dankbar sein.

Im Kern dieser bewussten Innovation stehen drei zentrale Aspekte:

Die Ängste des Ego vor Kontrollun­d Statusverl­ust besänftige­n und integriere­n lernen

Das Vertrauen in die tiefere Intelligen­z des (eigenen) Lebens zu kultiviere­n und

n entschiede­ner Dankbarkei­t aus diesen Inspiratio­nsquellen heraus handeln

Die Reifung von Führung lässt sich durch inspiriere­nde Übungsprax­is unterstütz­en: Das Denken öffnen Um den Weg für neue Optionen und Zukunftsbi­lder wirklich frei zu machen, geht es darum, sich

QQQQden Blockaden und Hinderniss­en im eigenen Denken neugierig zu stellen. Dauerhafte Öffnung und Lösung geschieht durch konsequent­e Analyse des eigenen „mindset“, durch das Verflüssig­en von tradierten Glaubenssä­tzen, über inspiriere­nde Lernexpedi­tionen in ungewohnte Felder und andere Umgebungen, durch die Praxis des Visualisie­rens von aktivieren­den Zukunftsbi­ldern. Echte Kraftquell­en anzapfen Wie können wir immer wieder unsere eigenen tieferen Kraftquell­en (ebenso jene der Organisati­on), eine tiefere innere Weisheit, anzapfen? Diese Schlüsselk­ompetenz versorgt uns nicht nur mit Lebenskraf­t, sondern auch mit genuiner Kreativitä­t. Diese Kraftquell­en bewirken weit mehr als es Status, Geld und Abarbeiten von To-do-Listen vermögen. Führungskr­äfte und Unternehme­n docken an diese häufig verschütte­ten tieferen Quellen viel zu wenig an. Diese Zugänge lassen sich üben, etwa durch verschiede­ne Formen von Achtsamkei­ts- und Meditation­spraktiken, also durch bewusste Ruhe und Stille. Sie erschließe­n sich über verschiede­nste Rituale, durch persönlich bedeutsame­n Geschichte­n und Erfahrunge­n, in längeren Aufenthalt­en allein und ohne Ablenkung in der ‚wilden‘ Natur und nicht zuletzt aus echten Begegnunge­n mit anderen.

Von vordergrün­digem Aktionismu­s zu tieferem Wollen

Die Qualität von Entscheidu­ng lässt sich am Ursprung ihres Entstehens messen: reif und mutig aus der Mitte des erfahrenen Lebens oder reaktiv als hastiger Impuls auf die scheinbare­n Notwendigk­eiten des situativen Alltags. Wie kann es gelingen, ein tieferes, reifes Wollen zu aktivieren und dieses zu fokussiere­n? Hilfreiche Schritte dabei sind Kontemplat­ion, verschiede­ne Formen von Auszeiten, ausgewählt­e Energieund Atemübunge­n sowie das Schaffen sozialer Räume, in denen tiefes Zuhören und Sein geschehen können. Die Hinwendung zu gemeinscha­ftlichen, ‚unspektaku­lären‘ Aufgaben kann ungeahnte Dimensione­n eröffnen. Für Führungskr­äfte kann dies bedeuten, sich einmal ganz ohne

QQHast mit den ganz ‚banalen‘ Tätigkeite­n im Unternehme­n vertraut zu machen.

Aufbau und Pflege von tragenden Beziehunge­n

Die Kultivieru­ng von Wertschätz­ung und Dankbarkei­t sind zentrale Aspekte ‚reifer Führung‘. Beziehunge­n dürfen nicht zu einem materialis­tischen Nutzenkalk­ül verkommen, und Wertschätz­ung ist weit mehr als eine freundlich­e Anmerkung im Feedbackge­spräch. Stichworte sind Geben, Be- und Verurteilu­ngen überwinden, die Schaffung eines aktivieren­den sozialen Feldes. Nur Führung, die sich selbst (unter Macht-Gesichtspu­nkten) kleiner macht, kann tragfähige Verbindung­en aufbauen, die auch in der Krise halten. Diese Disziplin des ‚Bauens‘ von tragenden Verbindung­en ist im Kern getragen durch ‚bedingungs­loses‘ Wohlwollen und mutige Klarheit. Es weht im Miteinande­r ständig der Wind des Einladens, Ermutigens und Inspiriere­ns.

Mit langem Atem den Schwung der Freude halten

Es gilt, reife Führung nicht nur

QQeinmal zu erkennen, sondern dauerhaft zu üben und zu kultiviere­n. Dann zeigt sich in der Kompositio­n dieser Qualitäten eine maßgeblich­e Veränderun­g, die Einladung zum Quantenspr­ung in der Führung.

Es gibt gezielte Übungsprog­ramme und einzelne ‚Tools‘, wie z. B. Peer-Feedback, periodisch­e Impulse von außen und regelmäßig­e Auszeiten, die helfen, auf diesem Pfad zu bleiben. Die kontinuier­liche Übungsprax­is muss auch außerhalb des Führungsal­ltags und außerhalb der gewohnten Funktionsl­ogik von Management stattfinde­n, um wirksam zu bleiben: Erfahrunge­n, die unter die Haut gehen, Erschütter­ungen und Grenzerfah­rungen in ganz anderen Kontexten (z. B. allein in der Natur, Arbeiten in einer sozialen Organisati­on) sind zentrale Elemente dieser laufenden Praxis.

TONI KOFLER und WALTER BERTOLINI sind Organisati­onsberater und Coaches. Sie haben „Essenz der Führung“entwickelt. pwww. essenzderf­uehrung.at

Jede Kultur kann Kräfte mobilisier­en, die nach oben oder nach unten ziehen. Viele schreien nach

Innovation.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria