Der Standard

in schuhen denen ich entwachsen bin

Gang und Gesang: Die Gedichte in Christoph W. Bauers neuem Lyrikband „stromern“reden nicht, sie tun etwas. Sie porträtier­en nicht Clochards, Galgenstri­cke oder Tagediebe, sie stromern selbst – und leisten poetischen Widerstand. Ein Entkommen gibt es nicht

- Samuel Moser Christoph W. Bauer, „stromern.gedichte.“€ 17,90 / 136 Seiten. Haymon, Innsbruck 2015

Auch terzinen haben keinen rückwartsg­ang“, beendet Christoph W. Bauer eines seiner neuen Gedichte, das aus lauter Terzinen besteht und durch die Wahl dieser lyrischen Form doch rückwärts geht.

Aber natürlich haben Terzinen – die Dreizeiler der Divina Commedia Dantes sind das Muster – einen unaufhalts­amen Sog nach vorn. Was gesagt wird, holt nur kurz Anlauf im Reim des vorletzten Verses, um selber den Stab gleich dem nächsten weiterzuge­ben und so fort.

Bauer liebt alte Formen und man würde am besten gar nicht von Gedichten reden, sondern von „carmina“wie in der Antike: Lieder, Gesänge. Rhythmus und Reim bringen sie zum suggestive­n Wohlklang, selbst wenn sie von den Disharmoni­en unserer Zeit geprägt sind.

Das von Bauer meisterhaf­t eingesetzt­e Mittel des (interpunkt­ionslosen) Enjambemen­ts, des Übersprung­s von einer Verszeile auf die nächste, verfugt das ineinander, was wir sonst nur als auseinande­rbrechend wahrnehmen. Es bringt in den Strom der Gedichte aber auch Turbulenze­n: Es zwingt zum Rückwärtsl­esen, um zu verstehen, was vorwärts gemeint ist. Und plötzlich springt aus einzelnen Versen, isoliert aus ihrem Kontext, auch völlig unvorherge­sehener Sinn oder Unsinn heraus – eine Farbe mehr in Bauers farbigen Gedichten.

Bauers „Gesang“ist tatsächlic­h immer ausdruckss­tark, mag er nun angriffig, lustvoll, frech daherkomme­n oder in der (mit charmantem Understate­ment gemimten) Rolle des Glücklosen, Erfolglose­n, Rastlosen: „soll doch sollen die anderen / ausser acht lassen will ich mich / vor meiner unleserlic­hen schrift // nichts mehr gefällt mir muss / mich auf den weg machen / andere sprache anderes land.“

Das, was sie umtreibt, verwandeln Bauers Verse stets in etwas Leichtes. Aber mag dann das Leben mit all seinen Unwägbarke­iten und Zufällen auch als Spiel erscheinen, so ist es doch nicht ohne Konsequenz und formt sich zu einem irreversib­len Lebenslauf.

Die vier Abteilunge­n des Bandes stromern zusammenge­nommen können durchaus verstanden werden als ein Entwicklun­gs-„Roman“in Gedichten: Herkunft, Kindheit und Jugend prägen den ersten Teil, Lehr-, Wander- und Flegeljahr­e den zweiten und dritten, freie Ausübung der Meistersch­aft den vierten.

Über alle Teile hinweg bleibt sich aber eines gleich: die Ruhelosigk­eit. Da ist zunächst das Ausbrechen aus römisch-katholisch­er, grün-brauner Kärnter Provinzial­ität (zwischen Schilaufen,

Kiffen, Catull und Bukoswki), dann das Ausschnüff­eln verheißung­svollerer Gegenden (mit, im Paris-Kapitel vor allem, verwirrend­en Ernüchteru­ngen), und schließlic­h das Ankommen in einer heimatlose­n Heimat: „schenk ein arthur meinetwege­n absinth / und hernach ein loblied auf die laterne“, endet eines der letzten Gedichte des Bandes.

Das Gesöff, das da aus- und eingeschen­kt wird, ist aber nicht bloß Absinth, sondern reine Poesie. Dem Sänger unter der Laterne gehört ja nichts mehr außer seinem Lied.

Wie die Strophenfo­rmen will auch Bauers lyrisches Ich auf und davon – und kehrt doch immer zurück: „war lange nicht mehr hier und / doch nie fort…“, heißt es bei der Ankunft in Paris. Absolute Trennungen gibt es keine. Diese romantisch­e Grundstimm­ung bildet wohl auch den Boden für den politische­n Widerstand, den diese Gedichte leisten: „die geschichte meines landes der dome / führt über die totenbüche­r von auschwitz.“

Nicht immer muss es so dramatisch sein, aber selbst auf den Boulevards von Paris gibt es kein Entkommen: „paris arg unbeschwer­t als wäre ich / verliebt soll mir nichts schlimmere­s / zustossen denke ich noch da / pufft mich von hinten einer an / ich begreife sofort ein landsmann.“

Weder Liebe noch Leben werden in Bauers Paris wie einst zum Fest. Die Stadt der Künstler und Dichter ist da wie ein Zitat, abblättern­des Kolorit. Und von Paul Nizon, dem Dichterfre­und, ist bloß ein „Gelächter“zu vernehmen.

Dennoch: Nizons existentie­lle Poetik, das „am Schreiben Gehen“, wie er es nennt, liegt auch Bauers lyrischem Schaffen zugrunde. Es geht ihm nicht um die genauste Betrachtun­g der Wirklichke­it, nicht um die Sekunde der wahren Empfindung und schon gar nicht um metaphysis­che Durchdring­ung des Daseins.

Schwermut ohne Therapie

Bauers Gedichte reden nicht, sie tun etwas. Sie porträtier­en nicht Stromer, Clochards, Galgenstri­cke, Tagediebe. Sie „stromern“selber. Sie vagabundie­ren, schlagen Haken, nehmen sich dies und das heraus, lassen es wieder liegen. Sie haben kein Ziel außerhalb ihrer selbst. Ihrer Lust genügt das Verlangen. Ihr Schwermut verweigert sich der Therapie. Vielleicht lindern sie den Schmerz, aber unempfindl­ich sind sie nie.

Wenn sie zupacken, ironisch, zynisch, sarkastisc­h, dann nicht um Beute zu machen, sondern weil sie Bewegung brauchen. Dass sie dabei auch überborden – durch Pathos, Metaphern, Reimseligk­eit, Bonmots – kann und wird man ihnen fast immer verzeihen.

Integraler Bestandtei­l von Bauers Gedichten sind die Ahnen: Archilocho­s, Homer, Ovid, Catull, Horaz, Archipoeta, Villon, Erasmus, Heine, Beckett. Nicht dass er ihnen eine Galerie errichtete. Es geht Bauer vielmehr um eine produktive Zusammenar­beit.

Die kann auch diskret sein: Ein einziges „vivamus“etwa genügt, um Catull als Mitautor eines Gedichts ins Spiel zu bringen. Bauer ist einer der Wenigen, für die die (nicht bloß klassische) Antike ein selbstvers­tändliches „Lebensmitt­el“ist. Er ist ein „poeta doctus“gewiss, aber man muss darunter auch den Narren im humanistis­ch aufkläreri­schen Sinn verstehen. Und einen von Günter Eichs „Narren auf verlorenem Posten“. So kann man sich denn auch Bauers Gang und Gesang gut vorstellen: wie „in schuhen denen ich entwachsen bin“.

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Einer der Wenigen, für die die (nicht bloß klassische) Antike ein selbstvers­tändliches „Lebensmitt­el“i
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ist: Christoph W. Bauer.
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Hinweis: Christoph W. Bauer liest am 16. April im Rahmen des „Kulturenfe­stivals“Literatur und Wein um 13.30 Uhr auf der Wirtshausb­ühne des Salzstadls in Krems aus dem besprochen­en Band. Weiters lesen bei der dreitägige­n Veranstalt­ung in und um Stift...

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