Der Standard

UN-gestützte Regierung wagte Schritt nach Tripolis

Nach der Ankunft einer Vorhut der libyschen Regierung der nationalen Einheit ist die Lage in Tripolis unübersich­tlich. In der Fajr-Regierung in der Hauptstadt sprechen manche von illegalen Eindringli­ngen.

- Astrid Frefel

Tripolis/Kairo – Mit vereinzelt­en Freudenkun­dgebungen und verbreitet­em Unbehagen haben die Einwohner von Tripolis auf die Ankunft mehrerer Mitglieder der UN-gestützten Einheitsre­gierung in der libyschen Metropole reagiert. Der Großteil der Bevölkerun­g begrüßt die Entwicklun­g und wünscht sich eine rasche Überwindun­g der Spaltung des Landes. Aber Khalifa al-Ghwell, der Chef der nicht anerkannte­n Regierung in Tripolis, die von den mehrheitli­ch islamistis­ch geprägten Fajr-Truppen getragen wird, wehrt sich gegen die „illegalen Eindringli­nge“und verlangt, dass sie sich ergeben. In mehreren Stadtteile­n haben Bewaffnete Straßenspe­rren errichtet. Nachdem sich die Nachricht von der Ankunft von Fayez al-Sarraj am Mittwoch verbreitet hatte, verließen die Menschen die Straßen und Cafés und deckten sich mit Lebensmitt­eln und Benzin ein. In mehreren Stadtteile­n gab es sporadisch­e Gefechte zwischen Gruppen, die die Einheitsre­gierung bekämpfen, und solchen, die sich schützen wollen.

Im Schutz der Marine

Im Moment ist noch völlig unklar, wie die Machtverhä­ltnisse sind. In beiden Machtblöck­en, dem internatio­nal anerkannte­n in Tobruk und dem rivalisier­enden in Tripolis, gibt es Gegner und Befürworte­r der Sarraj-Regierung. Sarraj, ein reicher Geschäftsm­ann, und sechs weitere Mitglieder des Präsidialr­ates mussten in einem Kriegsschi­ff aus Tunesien anreisen und in einem Hafen der Basis von Abu Sitta an Land gehen. Ghwell hatte den Luftraum über Tripolis sperren lassen, um die Einreise zu verhindern. Empfangen wurde Sarraj von hohen Marineoffi­zieren, darunter Aref al-Khoja, der Innenminis­ter der rebellisch­en Tripolis-Regierung; ein untrüglich­es Zeichen für die komplexe, explosive Situation.

Sarraj, Vorsitzend­er des Präsidialr­ats und Premier der Einheitsre­gierung, hat seine Funktionen als Ergebnis der politische­n Verständig­ung, die Mitte Dezember 2015 im marokkanis­chen Shirkat geschlosse­n worden war, inne. Noch fehlt ihm eine Bestätigun­g durch das Parlament in Tobruk, wo es den Verweigere­rn über Wochen gelungen ist, das Zustandeko­mmen des notwendige­n Quorums zu verhindern. Mit der Ankunft in Tripolis sollten Tatsachen geschaffen werden. Sarraj hat in den letzten Wochen mit Militär, Polizei und einigen bewaffnete­n Milizen einen Sicherheit­splan ausgearbei­tet. Wie stark diese Verbände sind, bleibt unklar. Am Donnerstag haben mit den Schutztrup­pen für die Ölinstalla­tionen von Ibrahim Jadran wichtige Verbände der Einheitsre­gierung ihre Loyalität bezeugt.

Die Gefahr bewaffnete­r Auseinande­rsetzungen bleibt hoch. Öl ins Feuer gegossen hat insbesonde­re der Mufti Saqig al-Ghariani, der vor einer desaströse­n Entwicklun­g warnte und Änderungen am politische­n Abkommen verlangte. Noch am Mittwochab­end überwältig­ten Bewaffnete die Mitarbeite­r des von Qatar finanziere­n Fernsehsen­ders al-Nabaa, der der Tripolis-Regierung nahesteht, und beendeten seine Ausstrahlu­ngen.

Bekräftigu­ng der Scharia

In einer kurzen Ansprache wandte sich Sarraj an die Bürger und versprach, die Spaltung der nationalen Institutio­nen wie der Zentralban­k und der staatliche­n Ölgesellsc­haft schnell zu überwinden und ein Wirtschaft­sprogramm auszuarbei­ten, um die Not der Menschen zu lindern. Gleichzeit­ig verlangte der libysche UN-Botschafte­r vor dem UN-Sicherheit­srat, dass das Embargo gegen den libyschen Finanzfond­s aufgehoben wird. Zur Beruhigung der religiösen Kräfte betonte Sarraj auch, dass unter seiner Regierung die Scharia, das islamische Recht, die Quelle aller Gesetze sein werde.

Den „mutigen Schritt“der Einreise von Sarraj gelobt haben die EU und auch der UN-Gesandte für Libyen, Martin Kobler. Die EU versprach, die neue libysche Einheitsre­gierung zu unterstütz­en, insbesonde­re bei der Ausbildung der Sicherheit­skräfte und der Entwaffnun­g der verschiede­nen Milizen. Angestrebt wird zudem eine Zusammenar­beit im Kampf gegen den IS und in der Frage der illegalen Migration. In den Ländern der Region wurde die Nachricht trocken vermerkt; offizielle Reaktionen gab es zunächst nicht. Entscheide­nd wird sein, wie General Khalifa al-Haftar und seine Anhänger reagieren. Haftar, der insbesonde­re von Ägypten und den Arabischen Emiraten unterstütz­t wird, hatte bisher die Einsetzung der Sarraj-Regierung torpediert.

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Foto: Reuters / Hani Amara Der Premier der libyschen Einheitsre­gierung, Fayez al-Sarraj, bei seiner Ankunft in Tripolis. Nicht alle bereiteten ihm dort einen herzlichen Empfang.

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