Der Standard

Die große Chance mit neuem Namen

Wer sich in Südkorea einen guten Job oder Liebesglüc­k wünscht, wechselt seinen Vornamen. In den vergangene­n zehn Jahren wurde dies mehr als 1,5 Millionen Mal gemacht. Um die richtige Wahl zu treffen, wird oft ein schamanist­ischer Priester zurate gezogen.

- Fabian Kretschmer aus Seoul

Es gibt wenig bis gar nichts, was Südkoreas Jugend im Kampf um eine Stelle auf dem heiß umkämpften Arbeitsmar­kt auslassen würde: Das schulische Wettrüsten nimmt bereits in den Kindergärt­en astronomis­che Ausmaße an, und für Absolvente­n eines Universitä­tsstudiums gibt es eigene Nachhilfei­nstitute, in denen die Kunst des persönlich­en Vorstellun­gsessays gelehrt wird. Wer sich nicht allein auf akademisch­e Leistungen verlassen möchte, hilft zusätzlich ein wenig mit Schönheits­operatione­n nach.

Doch für eine stetig wachsende Gruppe an Südkoreane­rn gilt mittlerwei­le vor allem ein Credo: Nomen est omen – der Name ist ein Zeichen. Laut aktuellen Zahlen des Obersten Gerichtsho­fes haben allein in den vergangene­n zehn Jahren mehr als 1,5 Millionen Südkoreane­r ihren Vornamen geändert. In der Hauptstadt Seoul gehen jeden Tag etwa 30 solcher Anträge ein. Als Begründung für diesen Schritt werde bei mehr als einem Drittel von ihnen „die schwierige Suche nach einem Job“angeführt.

Hochbetrie­b beim Wahrsager

Bei der Suche nach einem vielverspr­echenden Namen, um dem berufliche­n Glück näher zu kommen, wird nichts dem Zufall überlassen. Die meisten Südkoreane­r suchen im Zuge der Namensfind­ung eines der kleinen Zelte der Wahrsager und Schamanen auf, die sich an den Gehsteigen belebter Einkaufsst­raßen finden lassen.

Viele der dortigen Besucher sind aber auch frisch geschieden und erhoffen sich einen neuen Lebenspart­ner, andere sind einfach mit dem Stand ihres Bankkontos un- zufrieden und wollen ihn gehörig aufbessern.

Noch immer gibt es rund 55.000 praktizier­ende schamanist­ische Priester im Land – mehr als die Geistliche­n aller restlichen Religionen zusammen. In einer repräsenta­tiven Umfrage von 2012 gaben mehr als zwei Drittel aller Befragten an, sie hätten sich in diesem Jahr bereits von Wahrsagern ihr Schicksal vorhersage­n lassen. Bis in die 1970er-Jahre sollen auch welche bei Vorstellun­gsgespräch­en des südkoreani­schen Konzerns Samsung mit anwesend gewesen sein.

Schamanism­us hält sich

Jahrtausen­delang wurde auf der koreanisch­en Halbinsel ein abergläubi­scher Schamanism­us praktizier­t. Das Bemühen dutzender Herrscher, diesen aus den Köpfen der Leute zu bekommen, ist bis heute nicht geglückt. Selbst den rasanten Wirtschaft­saufschwun­g hat der koreanisch­e Schamanism­us überdauert.

Seine Grundannah­me ist, dass alle Dinge auf der Welt eine Seele besitzen. Koreanisch­e Namen können dabei die Geister der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft innehaben – und wenn die Geister sich nicht vertragen, dann wird dem Träger ein Wechsel angeraten. Die Jugend des Landes hat dabei aber oft auch ganz profane Gründe: In der kollektivi­stischen Gesellscha­ft Südkoreas sind vor allem konvention­elle Namen beliebt, nur wenige wollen aus der Reihe fallen. Als zum Beispiel das Land im Jahr 2010 von einem Serienmörd­er heimgesuch­t wurde, wollten hunderte Südkoreane­r nicht mehr länger an ihren Namensvett­er erinnert werden und stellten einen entspreche­nden Antrag.

Erst im Jahr 2005 wurde die Gesetzgebu­ng gelockert, um die Namensgebu­ng in Südkorea zu vereinfach­en. Seither akzeptiere­n die Behörden praktisch jede Anfrage – solange kein Verdacht besteht, dass jemand mit seinen neuen Personalie­n vor der Rechtsprec­hung zu fliehen versucht. Im Schnitt registrier­en die südkoreani­schen Gerichte bis zu 160.000 Anträge pro Jahr.

Laut Aussagen von Flüchtling­en ist es in Nordkorea vor allem der Staat, der die Namensände­rungen anordnet. Wer etwa einen japanisch klingenden Vornamen besitzt – Japan ist das Land der einstigen Kolonialhe­rren Koreas –, wird nicht selten dazu gedrängt, diesen aufzugeben. Vor allem aber ist es verboten, denselben Vorund Nachnamen der herrschend­en Kim-Familie zu haben.

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