Die große Chance mit neuem Namen
Wer sich in Südkorea einen guten Job oder Liebesglück wünscht, wechselt seinen Vornamen. In den vergangenen zehn Jahren wurde dies mehr als 1,5 Millionen Mal gemacht. Um die richtige Wahl zu treffen, wird oft ein schamanistischer Priester zurate gezogen.
Es gibt wenig bis gar nichts, was Südkoreas Jugend im Kampf um eine Stelle auf dem heiß umkämpften Arbeitsmarkt auslassen würde: Das schulische Wettrüsten nimmt bereits in den Kindergärten astronomische Ausmaße an, und für Absolventen eines Universitätsstudiums gibt es eigene Nachhilfeinstitute, in denen die Kunst des persönlichen Vorstellungsessays gelehrt wird. Wer sich nicht allein auf akademische Leistungen verlassen möchte, hilft zusätzlich ein wenig mit Schönheitsoperationen nach.
Doch für eine stetig wachsende Gruppe an Südkoreanern gilt mittlerweile vor allem ein Credo: Nomen est omen – der Name ist ein Zeichen. Laut aktuellen Zahlen des Obersten Gerichtshofes haben allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1,5 Millionen Südkoreaner ihren Vornamen geändert. In der Hauptstadt Seoul gehen jeden Tag etwa 30 solcher Anträge ein. Als Begründung für diesen Schritt werde bei mehr als einem Drittel von ihnen „die schwierige Suche nach einem Job“angeführt.
Hochbetrieb beim Wahrsager
Bei der Suche nach einem vielversprechenden Namen, um dem beruflichen Glück näher zu kommen, wird nichts dem Zufall überlassen. Die meisten Südkoreaner suchen im Zuge der Namensfindung eines der kleinen Zelte der Wahrsager und Schamanen auf, die sich an den Gehsteigen belebter Einkaufsstraßen finden lassen.
Viele der dortigen Besucher sind aber auch frisch geschieden und erhoffen sich einen neuen Lebenspartner, andere sind einfach mit dem Stand ihres Bankkontos un- zufrieden und wollen ihn gehörig aufbessern.
Noch immer gibt es rund 55.000 praktizierende schamanistische Priester im Land – mehr als die Geistlichen aller restlichen Religionen zusammen. In einer repräsentativen Umfrage von 2012 gaben mehr als zwei Drittel aller Befragten an, sie hätten sich in diesem Jahr bereits von Wahrsagern ihr Schicksal vorhersagen lassen. Bis in die 1970er-Jahre sollen auch welche bei Vorstellungsgesprächen des südkoreanischen Konzerns Samsung mit anwesend gewesen sein.
Schamanismus hält sich
Jahrtausendelang wurde auf der koreanischen Halbinsel ein abergläubischer Schamanismus praktiziert. Das Bemühen dutzender Herrscher, diesen aus den Köpfen der Leute zu bekommen, ist bis heute nicht geglückt. Selbst den rasanten Wirtschaftsaufschwung hat der koreanische Schamanismus überdauert.
Seine Grundannahme ist, dass alle Dinge auf der Welt eine Seele besitzen. Koreanische Namen können dabei die Geister der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft innehaben – und wenn die Geister sich nicht vertragen, dann wird dem Träger ein Wechsel angeraten. Die Jugend des Landes hat dabei aber oft auch ganz profane Gründe: In der kollektivistischen Gesellschaft Südkoreas sind vor allem konventionelle Namen beliebt, nur wenige wollen aus der Reihe fallen. Als zum Beispiel das Land im Jahr 2010 von einem Serienmörder heimgesucht wurde, wollten hunderte Südkoreaner nicht mehr länger an ihren Namensvetter erinnert werden und stellten einen entsprechenden Antrag.
Erst im Jahr 2005 wurde die Gesetzgebung gelockert, um die Namensgebung in Südkorea zu vereinfachen. Seither akzeptieren die Behörden praktisch jede Anfrage – solange kein Verdacht besteht, dass jemand mit seinen neuen Personalien vor der Rechtsprechung zu fliehen versucht. Im Schnitt registrieren die südkoreanischen Gerichte bis zu 160.000 Anträge pro Jahr.
Laut Aussagen von Flüchtlingen ist es in Nordkorea vor allem der Staat, der die Namensänderungen anordnet. Wer etwa einen japanisch klingenden Vornamen besitzt – Japan ist das Land der einstigen Kolonialherren Koreas –, wird nicht selten dazu gedrängt, diesen aufzugeben. Vor allem aber ist es verboten, denselben Vorund Nachnamen der herrschenden Kim-Familie zu haben.