Von Massenzustrom will Mikl-Leitner nichts wissen
Laut einem Gutachten sind die Möglichkeiten, Flüchtlingen die Mindestsicherung zu kürzen, beschränkt. Der ÖVP-Klubobmann würde sich gerne auf die Massenzustrom-Richtlinie der EU berufen, blitzt damit aber bei der eigenen Innenministerin ab.
Wien – ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka steigt auch nach Vorliegen eines Rechtsgutachtens nicht von seiner Forderung herunter: Bei Flüchtlingen müsse die Mindestsicherung gekürzt werden, bekräftigte er am Freitag. Ein Gutachten des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien kam freilich zu dem Schluss, dass das nicht so einfach ist. Denn anerkannte Flüchtlinge sind weitgehend mit Staatsbürgern gleichgestellt. Sozialleistungen könnten nur dann gesenkt werden, wenn zuvor auf EU-Ebene formal ein „Massenzustrom“ausgerufen wird.
„Genau bei dem Punkt sind wir“, deponierte Lopatka im Ö1“Morgenjournal“. Und verweist darauf, dass im Vorjahr 90.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen seien und heuer mit 30.000 neuen Mindestsicherungsbeziehern zu rechnen sei.
Wie aber kann die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert werden? Es bräuchte einen Beschluss des Europäischen Rats, also der Staats- und Regierungschefs. Zuvor müsste die EU-Kommission einen Vorschlag machen. Dazu könnte sie von jedem Mitgliedsstaat aufgefordert werden, also auch von Österreich.
Bis jetzt gibt es allerdings keine Hinweise, dass die Kommission in diese Richtung denkt. Auch von Österreich wird es keine Aufforderung geben, den Massenzustrom auszurufen. Im Büro von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) erklärte man dem STANDARD, das sei derzeit „kein Thema“.
Aber auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Lopatkas Parteifreundin, plant keine derartigen Aktivitäten. „Das werden wir bis auf Weiteres nicht machen“, heißt es in ihrem Büro. Die formelle Erklärung eines Massenzustroms bringe nämlich „weitreichende kritische Aspekte mit sich“. Die Erteilung des Aufenthaltsrechts werde „massiv beschleunigt. Das wiederum ist ein Magnet. Ein PullFaktor. Also das Gegenteil dessen, was wir wollen“, so ein Sprecher Mikl-Leitners.
Sofortiger Schutz
Was damit gemeint ist: Die Massenzustrom-Richtlinie sieht vor, dass Flüchtlingen ein sofortiger vorübergehender Schutz zuerkannt wird. Die Dauer beträgt zunächst ein Jahr und kann auf zwei Jahre verlängert werden.
Was das Ganze realpolitisch verkompliziert. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten sich auf einen Verteilungsschlüssel einigen. Die Aufteilung von Flüchtlingen auf ganz Europa hat allerdings bisher schon nicht funktioniert. Im Gutachten wird zudem betont, dass – sollte der jüngste Kompromiss zwischen der EU und der Türkei zu einer deutlichen Reduktion der Flüchtlingszahl führen – gar keine Grundlage mehr für die Massenzustrom-Richtlinie bestehe.
Vor diesem Hintergrund dürfte eine generelle Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge nur schwer machbar sein. Einen gewissen Spielraum räumt das Gutachten wie berichtet aber bei subsidiär Schutzberechtigten ein (kein Asylstatus, dürfen aber auch nicht abgeschoben werden) ein. Lopatka ist freilich der Meinung, dass gar kein Beschluss zum Massenzustrom nötig sei.