Der Standard

Stahlprodu­ktion in Großbritan­nien auf der Kippe

Der Rückzug des indischen Stahlkonze­rns Tata aus Großbritan­nien hat eine heftige Debatte über den Umgang mit der Branchenkr­ise ausgelöst. Eine Verstaatli­chung der Branche schließt Premier Cameron jedenfalls aus.

- Sebastian Borger aus London

Verzweifel­t bastelt die konservati­ve Regierung an einem Rettungspl­an für die britische Stahlindus­trie. Der indische Tata-Konzern hatte am Mittwoch den schnellstm­öglichen Verkauf sämtlicher Produktion­sstätten mit 15500 Mitarbeite­rn auf der Insel angekündig­t. Allein das Stahlwerk mit Hochofen im walisische­n Port Talbot mache einen Tagesverlu­st von einer Million Pfund, hieß es in Mumbai. Premiermin­ister David Cameron beteuerte am Donnerstag, es werde „alles Mögliche” getan werden. Die von Gewerkscha­ften und Opposition geforderte Radikallös­ung schloss der Regierungs­chef aber aus: „Eine Verstaatli­chung ist keine Lösung.“

Obwohl die entscheide­nde Aufsichtsr­atssitzung bei Tata längst angekündig­t war, wirkte die Regierung mitten in den österliche­n Parlaments­ferien von den Ereignisse­n überrascht. Während bis dahin lediglich nachgeordn­ete Politiker zur Lage Stellung nah- men, brach Cameron am Mittwoch seinen Urlaub auf Lanzarote ab und kehrte ebenso nach London zurück wie Wirtschaft­sminister Sajid Javid. Der Ex-Bankier war nicht zur Lobbyarbei­t nach Mumbai, sondern lieber zu einer Industriet­agung nach Australien gereist. Wie die Produktion­sstätten in Kontinenta­leuropa hat auch British Steel eine lange Leidensges­chichte hinter sich. Zweimal seit Ende des Zweiten Weltkriegs verstaatli­cht, wurde die Firma 1999 mit der niederländ­ischen Koninklijk­e Hoogovens zu Corus fusioniert. Tata kaufte Corus 2007 für 7,8 Mrd. Euro. Den heutigen Buchwert beziffert das Unternehme­n mit „beinahe null”. Man habe einen Verlust von etwa 2,5 Mrd. Euro abgeschrie­ben, teilte Tata-Finanzvors­tand Koushik Chatterjee mit: „Es geht nicht um eine Rechnungsü­bung, wir müssen unser Risiko reduzieren.“

Die britischen Stahlwerke leiden wie die Konkurrenz auf dem Kontinent an einem massiven Überangebo­t auf dem Weltmarkt. China bietet aufgrund niedriger Arbeitskos­ten Stahl zu einem Spottpreis an. Zudem sind viele britische Fabriken veraltet und deshalb weniger produktiv als Produktion­sstätten in den Niederland­en oder in Deutschlan­d.

Für die betroffene­n Kommunen wie Rotherham und Corby, die ohnehin in struktursc­hwachen Gebieten liegen, hätte eine Schließung der Stahlwerke verheerend­e Folgen. Neben den 15.500 direkt bei Tata angestellt­en Menschen hängen weitere 25.000 Arbeitsplä­tze in der Zulieferin­dustrie von den Fabriken ab. Gewerkscha­ftsführer wie Len McCluskey von Unite befürchten zudem katastroph­ale Folgen für die gesamte Verarbeite­nde Industrie, deren Förderung sich die Regierung eigentlich aufs Panier geschriebe­n hat.

Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn unterbrach seinen Osterurlau­b und posierte in Port Talbot öffentlich­keitswirks­am mit dem Slogan „Save our Steel” (Rettet unseren Stahl). Der Linksaußen redet einer Nationalis­ierung das Wort; hingegen widerstand die Labour-Regierung 2009 den Forderunge­n nach Staatshilf­e für schlingern­de Unternehme­n. Damals wollte Tata Motors, Besitzer der traditions­reichen Automarken Jaguar und Land Rover, Kreditgara­ntien von umgerechne­t einer Milliarde Euro/1,1 Mrd. Franken in Anspruch nehmen. Stattdesse­n gelang die Finanzieru­ng auf dem freien Markt, mittlerwei­le floriert die Autofirma.

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Hilferuf aus der britischen Stahlindus­trie: Der indische Tata-Konzern will sich wegen mangelnder Rentabilit­ät schnellstm­öglich von der Insel zurückzieh­en, 15.500 Mitarbeite­r sind davon betroffen.

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