Stahlproduktion in Großbritannien auf der Kippe
Der Rückzug des indischen Stahlkonzerns Tata aus Großbritannien hat eine heftige Debatte über den Umgang mit der Branchenkrise ausgelöst. Eine Verstaatlichung der Branche schließt Premier Cameron jedenfalls aus.
Verzweifelt bastelt die konservative Regierung an einem Rettungsplan für die britische Stahlindustrie. Der indische Tata-Konzern hatte am Mittwoch den schnellstmöglichen Verkauf sämtlicher Produktionsstätten mit 15500 Mitarbeitern auf der Insel angekündigt. Allein das Stahlwerk mit Hochofen im walisischen Port Talbot mache einen Tagesverlust von einer Million Pfund, hieß es in Mumbai. Premierminister David Cameron beteuerte am Donnerstag, es werde „alles Mögliche” getan werden. Die von Gewerkschaften und Opposition geforderte Radikallösung schloss der Regierungschef aber aus: „Eine Verstaatlichung ist keine Lösung.“
Obwohl die entscheidende Aufsichtsratssitzung bei Tata längst angekündigt war, wirkte die Regierung mitten in den österlichen Parlamentsferien von den Ereignissen überrascht. Während bis dahin lediglich nachgeordnete Politiker zur Lage Stellung nah- men, brach Cameron am Mittwoch seinen Urlaub auf Lanzarote ab und kehrte ebenso nach London zurück wie Wirtschaftsminister Sajid Javid. Der Ex-Bankier war nicht zur Lobbyarbeit nach Mumbai, sondern lieber zu einer Industrietagung nach Australien gereist. Wie die Produktionsstätten in Kontinentaleuropa hat auch British Steel eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Zweimal seit Ende des Zweiten Weltkriegs verstaatlicht, wurde die Firma 1999 mit der niederländischen Koninklijke Hoogovens zu Corus fusioniert. Tata kaufte Corus 2007 für 7,8 Mrd. Euro. Den heutigen Buchwert beziffert das Unternehmen mit „beinahe null”. Man habe einen Verlust von etwa 2,5 Mrd. Euro abgeschrieben, teilte Tata-Finanzvorstand Koushik Chatterjee mit: „Es geht nicht um eine Rechnungsübung, wir müssen unser Risiko reduzieren.“
Die britischen Stahlwerke leiden wie die Konkurrenz auf dem Kontinent an einem massiven Überangebot auf dem Weltmarkt. China bietet aufgrund niedriger Arbeitskosten Stahl zu einem Spottpreis an. Zudem sind viele britische Fabriken veraltet und deshalb weniger produktiv als Produktionsstätten in den Niederlanden oder in Deutschland.
Für die betroffenen Kommunen wie Rotherham und Corby, die ohnehin in strukturschwachen Gebieten liegen, hätte eine Schließung der Stahlwerke verheerende Folgen. Neben den 15.500 direkt bei Tata angestellten Menschen hängen weitere 25.000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie von den Fabriken ab. Gewerkschaftsführer wie Len McCluskey von Unite befürchten zudem katastrophale Folgen für die gesamte Verarbeitende Industrie, deren Förderung sich die Regierung eigentlich aufs Panier geschrieben hat.
Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn unterbrach seinen Osterurlaub und posierte in Port Talbot öffentlichkeitswirksam mit dem Slogan „Save our Steel” (Rettet unseren Stahl). Der Linksaußen redet einer Nationalisierung das Wort; hingegen widerstand die Labour-Regierung 2009 den Forderungen nach Staatshilfe für schlingernde Unternehmen. Damals wollte Tata Motors, Besitzer der traditionsreichen Automarken Jaguar und Land Rover, Kreditgarantien von umgerechnet einer Milliarde Euro/1,1 Mrd. Franken in Anspruch nehmen. Stattdessen gelang die Finanzierung auf dem freien Markt, mittlerweile floriert die Autofirma.