„Mehr arbeiten und weniger verdienen, nein danke“
Massenproteste gegen das neue Arbeitsgesetz der Linksregierung in Frankreich
Wenn es noch eines Symbols bedurfte, um den Erfolg des Aktionstags zu unterstreichen, lieferte ihn der Eiffelturm: Das Pariser Wahrzeichen blieb am Donnerstag wegen Streiks geschlossen. In den Ausstand traten auch Lehrer, Beamten, Piloten und Zugführer. In zahlreichen Städten von Marseille bis Lille wurden mehrere hunderttausend Demonstranten gezählt – und was wichtig war: Es waren mehr als bei den drei ersten Protesttagen im März. Zu dem Kampftag aufgerufen hatten die Gewerkschaften CGT und FO, während die gemäßigtere, den regierenden Sozialisten nahestehende CFDT auf Distanz blieb.
„Wir wollen nicht hundert Jahre zurückfallen“, erklärte ein Kundgebungsteilnehmer. „Mehr arbeiten und weniger verdienen – nein danke.“CGT-Chef Philippe Martinez erneuerte seine Forderung nach einem kompletten Zu- rückziehen des Gesetzes. Die Regierung hatte nach den ersten Protesten bereits einige Konzessionen gemacht, beharrt aber auf der Kernbestimmung des Gesetzes, der Lockerung des Kündigungsrechts.
In Paris und anderen Städten schlossen sich den Umzügen auch Mittelschüler und Studenten an. Sie kritisieren die Aufstockung der Arbeitszeit für Lehrlinge und schlechtere Bedingungen für Berufseinsteiger. 250 Mittelschulen (von 2500 in ganz Frankreich) waren gesperrt – meist durch die Schüler, zum Teil aber auch durch die Direktionen, die Vandalenakte verhindern wollten. In Paris, Nantes oder Rennes kam es dafür am Rande der Umzüge zu Zusammenstößen vermummter Jugendlicher mit der Polizei.
Der Sprecher der Linksregierung, Stéphane Le Foll, erließ einen „Aufruf zur Ruhe“. Er erklärte, das neue Gesetz habe gerade zum Ziel, jungen Franzosen den Sprung ins Arbeitsleben zu erleichtern. Insbesondere solle es die Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Bei der anstehenden Parlamentsdebatte dürfte das Gesetz allerdings weiter entschärft werden. An sich wollte Präsident François Hollande auch das Mitspracherecht der Gewerkschaften bei der innerbetrieblichen Organisation der 35-Stunden-Woche beschneiden. Der linke Flügel seiner Partei will dies aber durch Zusatzanträge in der Nationalversammlung verhindern. Die CGT plant weitere Protesttage. Der Unternehmerverband Medef verlangt im Gegenteil, dass das Gesetz in seiner ursprünglichen Form in Kraft trete.
In Frankreich kam es infolge des generalstreikähnlichen Ausstands zu starken Verkehrsbehinderungen. Viele Züge der Eisen-, Vorstadt- und U-Bahn verkehrten nicht. Um Paris bildeten sich am Morgen 400 Kilometer Autokolonnen, doppelt so viel wie an normalen Tagen. An einzelnen Flughäfen wie Paris-Orly fielen bis zu 30 Prozent der Flüge aus.