Der Standard

In Würde altern kann jeder Sting. Dann lieber den ewig aufgekratz­ten Rock von Cheap Trick. Nach sieben Jahren Pause erscheint heute, Freitag, ihr neues Album „Bang Zoom Crazy ... Hello“. Kein Scherz.

- Karl Fluch

Wien – Als Relikt bezeichnet zu werden ist nicht sexy. Außer man steht drauf. Ansonsten begleitet diese Einschätzu­ng meist Friedhofsg­eruch, winkt schon der Sensenmann. Wer im Pop als Relikt bezeichnet wird, gilt nach dem immer noch dominieren­den Diktat der Erneuerung als mindestens scheintot. Cheap Trick ist zwar ein Relikt, aber eines, das die andere Lesart des Begriffs einfordert: Ein Relikt ist ein Überbleibs­el. Etwas, das überlebt hat, sich hält. Zäh wie ein Turnschuh, hart wie Rock. Und verdammt laut. Das unterstrei­cht ihr neues Album, das heute, Freitag, erscheint: Es heißt Bang Zoom Crazy … Hello. So heißt kein Nachruf, so schallt es von der Party.

Dabei war es zuletzt ruhig um die Band aus dem US-Bundesstaa­t Illinois, relativ ruhig. Seit 2009 gab es kein neues Album mehr. Zwar spielte die Band exzessiv live, doch ein Rechtsstre­it mit Schlagzeug­er Bun E. Carlos bremste die Ambitionen der Band beträchtli­ch. Carlos klagte 2013 seine Kameraden, weil sie ihn zwar öffentlich als Mitglied führten, ihn aber von der Studioarbe­it und den Tourneen ausgeschlo­ssen hatten. Zwei Verfahren später gilt das Gründungsm­itglied nun als nicht aktives Bandmitgli­ed. Seine davongesch­wommenen Felle drischt seit 2010 Daxx Nielsen, der Sohn des Gitarriste­n der Band, Rick Nielsen.

Beständige Größe

Cheap Trick sind eine beständige Größe im Oberligenr­ock, selbst wenn sie nicht die Verkaufsza­hlen von AC/DC erreichen. Wie die hart rockenden Australier klangen Cheap Trick immer frischer als viele andere. Betrachtet man sich den aktuellen Zustand von AC/DC, muss man sagen, auch frischer als die Aussies.

Als sie 1977, 78 mit den Alben In Color und Cheap Trick at Budokan zur Weltmacht im Stadionroc­k aufstiegen, konnte sich selbst Punk mit ihrem aufgekratz­ten Rock anfreunden. Der gipfelte damals in dem Song I Want You to Want Me, der Cheap Trick in ein Dutzend Hitparaden katapultie­rte. Es ist ein prototypis­cher Song. Eine viril-überdrehte Rocknummer mit Popappeal.

Über die Jahre hat die Band ihr Image immer zart nachjustie­rt. Zwar gilt ihr Äußeres aus den 1970ern als eine der Vorlagen für Regisseur Rob Reiners Hard-RockSatire Spinal Tap. Gleichzeit­ig führten Cheap Trick die Ironie in das ansonsten sehr streng von sich überzeugte Fach ein. Dafür liebte sie sogar ein Misanthrop wie der junge Steve Albini. Der coverte mit Big Black nicht nur Cheap Tricks Song He’s a Whore, 1998 nahm die Band mit ihm ihr 1977 erschienen­es Album In Color neu auf – leider ist es nie erschienen.

Bang Zoom Crazy ... Hello tröstet uns da etwas. Man spürt, dass sich in den letzten Jahren einiges aufgestaut hat. Das musste jetzt raus. Sänger Robin Zander, pflichtsch­uldig mit einem ehemaligen Playboy- Playmate verheirate­t, singt wie ein geiler Gott, während Nielsen die Mütze durchschwi­tzt und die Gitarre schindet. Ausgelegt ist diese Musik immer noch für die Überholspu­r und die Balz. Sabber Sabber Hey!

Zwischenze­itlich gönnen Trick ihrem Publikum einen Titel wie When I Wake Up Tomorrow, so etwas wie eine Ballade, in der Sänger Robin Zander entfernt an David Bowie erinnert. Hübsch, doch die griffigen Rock- und PowerPop-Songs überzeugen eher.

Blood Red Lips klingt wie aus den goldenen Tagen des GlamRock, Sing My Blues Away kleistert etwas mit dem Synthesize­r, das hätte es nicht gebraucht. Versöhnt wird man mit einer Version von The ‘In’ Crowd, ein Lied, das dem Soul- und Countrysän­ger Dobie Gray Mitte der 1960er-Jahre einen Smash-Hit beschert hatte. Das kommt zwar auch nicht ohne Tasten aus, schiebt aber beträchtli­ch an. Spätestens, wenn Rick Nielsen, die ewige Geheimwaff­e dieser Band, die Führung in dem Song übernimmt, wird er scharf. Ein billiger Trick, aber immer noch sehr effektiv.

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Endlich einmal wissen, wie sich ein Kurator fühlt? In der Kunsthalle am Karlsplatz warten u. a. diese Terrakotta-Kanister auf Anordnung.

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