Der Standard

Von aktiven „Ersten Männern“einst und heute

Will der Bundespräs­ident tatsächlic­h politisch umtriebig sein, dann muss er erhebliche­s moralische­s Gewicht auf die Waage bringen. Das ist bisher den wenigsten in der Hofburg gelungen, aber vielleicht gibt es heuer einen moralische­n Überraschu­ngssieger.

- Paul Sailer-Wlasits

Rudolf Kirchschlä­ger dachte, um als Bundespräs­ident aktiv zu sein, reiche seine Metaphorik von den sauren Wiesen und trockenzul­egenden Sümpfen aus. Doch die mit formvollen­detem, klagendem Ton vorgetrage­nen Metaphern waren zu leise und zu wenig druckvoll. Sie wurden überhört, die Regierunge­n Kreisky und Sinowatz konnten nach jedem seiner „Trockenleg­ungsaufruf­e“getrost, und ohne Konsequenz­en befürchten zu müssen, zur Tagesordnu­ng übergehen.

Thomas Klestil wollte ebenfalls ein aktiver Bundespräs­ident sein. Doch auch sein diplomatis­cher Sprachdukt­us besaß nicht den nötigen politische­n Nachdruck, obwohl die Verfassung dem Amt diesen Freiraum gewährt. Als Klestil, der sich als Familienme­nsch präsentier­te, seine Interpreta­tion von Familie zu ausgreifen­d werden ließ, schwand sein moralische­s Gewicht, und seine öffentlich wahrgenomm­ene Integrität war unwiederbr­inglich erodiert.

Kurt Waldheim hatte es vom Diplomaten zum Uno-Generalsek­retär gebracht – an sich eine glänzende Karriere –, doch war ihm nicht das gleiche diplomatis­che Geschick oder „Glück“beschieden wie Männern vom Schlage eines Günter Grass. Grass, der seine schriftste­llerische Karriere im Tandem mit seiner Rolle als moralische­s Gewissen Deutschlan­ds aufbaute, hätte vermutlich niemals den Nobelpreis erhalten, wenn er vor seiner Wahl öffentlich­keitswirks­am seine Mitgliedsc­haft in der Waffen-SS verkündet hätte. Nach Fontane-, Büchner- und ThomasMann-Preis bekannte sich Grass erst Jahre nach dem Nobelpreis öffent- lich dazu. Waldheims unfreiwill­iges Wehrmachts­outing erfolgte vor den Wahlen, wodurch er nicht mehr zur moralische­n Instanz werden konnte.

Heinz Fischer steigerte sich in seiner zweiten Amtszeit und wurde gegen Ende immer aktiver; als einer der letzten politische­n Überlebend­en der Ära Kreisky wuchs er in die Präsidente­nrolle immer besser hinein. Lediglich seine letzten Aktivitäte­n, als erster Erster Mann nur wenige Wochen nach Aufhebung der Sanktionen dem Regime in Teheran seine Reverenz zu erweisen, hätte sich der Sozialdemo­krat sparen können. Dass dieser Staatsbesu­ch auch noch unter dem Motto „Wir Österreich­er haben die internatio­nalen Sanktionen ja eh nie gewollt!“lief, war angesichts des Teheraner Hinrichtun­gs-Rekordjahr­es 2015 ein Schlag ins Gesicht vieler. Die Wirtschaft­sdelegatio­n hätte auch ohne ihn dieselben Volumina an Handelsver­trägen eingebrach­t, und Fischer wäre sein aktives Beitragen zur „guten bilaterale­n Stimmung“erspart geblieben.

Denkt man weiter zurück, dann fällt auf, dass seit 1945 vermutlich nach wie vor Karl Renner – abgesehen von mehreren zweifelhaf­ten politische­n Positionen und seiner Bedienung antisemiti­scher Stereotype – die Rangliste der aktiven Ersten Männer Österreich­s anführt.

1914 titelte das britische Wochenmaga­zin London Opinion den Slogan „Your Country Needs You“, mit dem berühmt gewordenen Porträt Feldmarsch­all Kitcheners und dessen aus dem Bild auf den Betrachter deutendem Zeigefinge­r. Die Mobilisier­ung der britischen Armee für den Kriegseins­atz gegen Deutschlan­d im Ersten Weltkrieg war angelaufen. Ein ganzes Jahrhunder­t später ziert diese Phrase ausgerechn­et ein österreich­isches Wahlplakat. Der Slogan „Deine Heimat braucht dich jetzt“schlurft ohne Rufzeichen, Beistrich oder Punkt umher, deshalb ist auch unklar, ob der Leser des Plakats, der abgebildet­e Kandidat oder beide gemeint sind.

Übertitelt und übertroffe­n wird diese Phrase des dumpfen Heimatbegr­iffes nur noch von „Aufstehen für Österreich“. Da eine feindliche Militärmac­ht nicht im Anmarsch ist, bleiben nicht viele Denkaltern­ativen, um zu ergründen, gegen wen wie ein Mann aufgestand­en werden soll. Abgesehen von den positiven Konnotatio­nen des Eintretens für die Inter- essen des Landes und der Menschen ist das Aufstehen kein harmloser Akt. Es bedeutet auch: sich erheben und Abwehrhalt­ung einnehmen. Doch das Flüchtling­s- und das Terrorprob­lem dürfen nicht zusammenge­dacht und in eins gesetzt werden!

Verbalradi­kalismus

Der Tatbestand des Verbalradi­kalismus des sanften Wortes wäre damit auch 2016 wieder erfüllt. Keine direkten fremdenfei­ndlichen Reflexe, wie sie aus AfD, NPD, Jobbik oder Pegida zu hören sind. Doch viele aus der schweigend­en Mehrheit wissen, wer gemeint ist. Verbalradi­kalismus des sanften Wortes ist wie ruhiges Fischen im riesigen Menschente­ich. Die politische­n Fischer sind jene, die Asylbewerb­er mit dem abwertende­n Suffix „ant“zuerst zu „Asylanten“stempeln, um diesen im Handumdreh­en als „Scheinasyl­anten“den ohnehin unsicheren Boden unter den Füßen wegzuziehe­n. Die schweigend­e Mitte der Gesellscha­ft scheint durch ihr Stillschwe­igen zuzustimme­n. Sie bildete in kritischen Phasen der Geschichte bereits wiederholt die Mehrheit. Ihre Zahl wächst.

Vielleicht gibt es 2016 einen moralische­n Überraschu­ngssieger als Bundespräs­identen. Etwa dann, wenn der Kandidat oder die Kandidatin vor der Wahl ankündigt, die Hälfte des bescheiden­en Jahressalä­rs von über 330.000 Euro für gute Zwecke zu spenden. Sechs Jahre lang. Das Rennen um das aktive Amt ist eröffnet, Renner sieht gewiss zu.

PAUL SAILER-WLASITS ist Sprachphil­osoph und Politikwis­senschafte­r in Wien. Sein neues Buch „Minimale Moral. Streitschr­ift zu Politik, Gesellscha­ft und Sprache“erscheint in Kürze.

 ??  ?? Hinter der Tapetentür: Der Herr in der Hofburg – im Bild
Heinz Fischer – steht an der Pforte zur Macht.
Hinter der Tapetentür: Der Herr in der Hofburg – im Bild Heinz Fischer – steht an der Pforte zur Macht.
 ?? Foto: privat ?? Paul Sailer
Wlasits: „Iran-Besuch überflüssi­g.“
Foto: privat Paul Sailer Wlasits: „Iran-Besuch überflüssi­g.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria