Polnisches Gedenken mit Misstönen
Seit März erinnert ein berührendes Museum an jene Polen, die sich unter den Nazis schützend vor jüdische Mitbürger stellten. Die nationalkonservative Staatsführung vereinnahmt es für ihre geschichtspolitische Offensive.
Ein paar Dorfbewohner stehen scheu am Straßenrand, als die Limousinen vorfahren. Hoher Besuch hat sich angesagt in der 4000-Seelen-Gemeinde Markowa im polnischen Vorkarpatenland. Staatspräsident Andrzej Duda wird hier am Abend ein Museum eröffnen: das „Museum der Polen, die Juden retteten“.
Auf der Dorfstraße drängen sich hunderte geladene Gäste – Vertreter von Regierung und Parlament, jüdische und katholische Würdenträger, Abgesandte der Armee. In den Gesichtern der Anrainer spiegelt sich Skepsis, aber auch eine gute Portion Stolz auf ihr Markowa, das zum Symbol von Mut und Menschlichkeit in den Jahren der nationalsozialistischen Besatzung wurde. Mut und Menschlichkeit, die viele mit dem Leben bezahlten.
Im März 1944 ermordeten hier deutsche Feldgendarmen und Angehörige der Blauen Polizei, einer von den Deutschen aufgestellten polnischen Einheit, acht Juden, die im Haus der Familie Ulma Unterschlupf gefunden hatten. Danach erschossen sie den Bauern Józef Ulma, seine Frau Wiktoria und die sechs Kinder des Paares. Dasselbe Schicksal wie die Ulmas erlitten auch rund tausend andere Polen, die ihre jüdischen Mitbürger nicht der Mordmaschinerie der Nazis überlassen wollten.
Markowa liegt im südöstlichen Zipfel Polens. Nach Westen sind es 170 Kilometer bis Krakau, nach Osten nur 120 ins heute ukrainische Lwiw (Lemberg). Am Tag der Museumseröffnung Mitte März aber rückt Markowa ganz ins Zentrum. Das Dorf ist jetzt ein Ort des Gedenkens an die Nazigräuel in Osteuropa – und an jene Polen, die sich ihnen trotz Todesdrohung widersetzten. ihr Eigentum an sich gerissen, sie danach auf die Straße gesetzt und schließlich verraten. An den Erschießungen in Markowa war er als Angehöriger der Blauen Polizei sogar persönlich beteiligt.
So etwas nicht zu verheimlichen, gehört zur historischen Hygiene einer Gesellschaft. Das Museum versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden; die politische Begleitmusik unter dem Taktstock von Polens nationalkonservativer Führung aber klingt anders.
Präsident Duda, der aus den Reihen der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kommt, erklärte bei seiner Eröffnungsrede die Würdigung polnischer Retter zum Gebot der „historischen Fairness“. Auch PiSChef Jarosław Kaczyński ist Akteur der aktuellen geschichtspolitischen Offensive, in der Imagepflege wichtiger erscheint als differenzierte Auseinandersetzung: Polen müsse sich gegen finstere Lügen verteidigen, die in „verschiedenen Ländern“und „manchen Kreisen“häufig zu hören seien, zitierte ihn am Tag nach der Eröffnung die Tageszeitung Gazeta Wyborcza.
Festhalten am Ideal
Wer am Idealbild der Historie kratzt, gerät schnell in die Defensive. Der polnisch-amerikanische Historiker Jan Tomasz Gross, der seine Heimat im Zuge antisemitischer Säuberungen im Jahr 1969 verlassen musste und in seinen Büchern auch polnischen Antisemitismus zur Sprache bringt, wird massiv angefeindet. Präsident Duda richtete im Februar ein Ersuchen an das Außenministerium, die Möglichkeit der Aberkennung seines staatlichen Verdienstordens zu prüfen.
Dieselbe Haltung kam zuletzt im Konflikt um den Oscar-Film Ida zum Ausdruck. Der polnische Streifen handelt von einer katholischen Novizin, die entdeckt, dass ihre Eltern Juden waren und von Polen ermordet wurden. Das Staatsfernsehen strahlte den Film im Februar mit einem zwölfminütigen Vorspann aus, der sich unter anderem gegen eine „Beleidigung der Nation“verwehrte.
Die Europäische Filmakademie (EFA) protestierte heftig: Der Vorspann unterstelle, dass der Film deshalb einen Oscar erhielt, weil er die Geschichte aus einer „projüdischen Perspektive“erzähle. Die Reise erfolgte mit Unterstützung des polnischen Außenministeriums.