Der Standard

„Wollen das Recht, nicht mitzumache­n“

Der frühere britische Außenminis­ter Malcolm Rifkind kämpft bei den Konservati­ven für den Verbleib in der EU. Doch auch er verlangt, dass sich die Union vom Ziel einer immer stärkeren Integratio­n verabschie­det.

- INTERVIEW: Eric Frey

Wien – Die Konferenz des von ihm gegründete­n Institute for Strategic Dialogue über Österreich­s Rolle in Mitteleuro­pa und auf dem Balkan fand am Freitag in der Diplomatis­chen Akademie statt, wo George Weidenfeld bis 1938 studiert hatte. Aber der große österreich­ischbritis­che Verleger war selbst nicht mehr dabei; er ist im Jänner mit 95 Jahren gestorben. Haupttheme­n der Konferenz waren die Flüchtling­skrise als Herausford­erung für Europa und der Kampf gegen Extremismu­s von rechts und von islamische­r Seite.

Der prominente­ste Redner, der britische Ex-Außenminis­ter Malcolm Rifkind, sprach auch über Wladimir Putin, die Zukunft der EU – und im Standard- Interview über das bevorstehe­nde Referendum über einen britischen EUAustritt am 23. Juni. Der moderate Konservati­ve Rifkind kämpft dabei in vorderster Front gegen die Brexit-Befürworte­r, die in den Umfragen fast gleichauf mit den Gegnern sind.

STANDARD: Alle Studien zeigen, wie schädlich ein EU-Austritt für Großbritan­nien wäre. Warum sind die Brexit-Argumente dennoch so populär? Name: Das ist ja nicht nur eine Debatte bei den Konservati­ven und in Großbritan­nien. Auch in Kontinenta­leuropa wird über die Zukunft der EU diskutiert. Lange Zeit hieß es, es muss immer mehr Integratio­n geben, dann sprach man vom „Europa der zwei Geschwindi­gkeiten“. Das heißt, einige Länder würden später am Ziel ankommen, aber das Ziel sei das gleiche. Aber immer mehr Leute sehen, dass das nicht realistisc­h ist, dass manche Länder gewisse Bereiche integriere­n wollen, andere aber nicht. Das ist keine Niederlage und kein „Europa à la carte“, sondern die einzige Union, die wirklich funktionie­ren kann. Ein Europa der 28 oder bald 30 kann nicht auf Uniformitä­t aufbauen. Das ist die gleiche Entwicklun­g, die das Vereinigte Königreich durchgemac­ht hat, als Schottland und Wales viel mehr Autonomie erhalten haben. Wir müssen alle in Europa Diversität lernen.

Standard: Wovon wird der Ausgang des Referendum­s letztlich abhängen? Rifkind: Die britische Bevölkerun­g ist konservati­v, mit kleinem „k“. Ginge es jetzt um den Beitritt zur EU, dann wäre das Ergebnis unsicher. Aber die Briten kennen die EU und ihre historisch­e Bedeutung; sie wollen nichts riskieren. Aber sie wollen auch ihre nationale Souveränit­ät bewahren.

Standard: Trägt der Deal, den Premier David Cameron mit der EU geschlosse­n hat, dazu bei? Rifkind: Er hat geholfen. Das Wichtigste dabei war, dass klargestel­lt wurde, dass die „immer engere Union“, dass Integratio­n nicht immer das Ziel sein kann. Es muss der Sicherheit, dem Wohlstand oder der Lebensqual­ität nützen. Bei Themen wie Umweltschu­tz, Klimawande­l und einer gemeinsame­n Außenpolit­ik sind auch wir dabei, bei anderen Themen aber nicht.

Standard: Können Zufälligke­iten wie Camerons Panama-Affäre den Ausschlag für den Brexit geben? Rifkind: Ich glaube nicht. Es ist nicht so wie beim Referendum in den Niederland­en, wo nicht über den Vertrag mit der Ukraine abgestimmt wurde, sondern über die EU an sich oder die eigene Regierung. Die Frage am 23. Juni ist sehr klar, sie verlangt eine Entscheidu­ng – gehen oder bleiben. Schauen wir uns das schottisch­e Unabhängig­keitsrefer­endum an: Da ging es um so viel, und die Wahlbeteil­igung stieg auf 85 Prozent. Bei der EU-Abstimmung wird es nicht ganz so sein, aber ähnlich.

Standard: Und wird Großbritan­nien die Entwicklun­g der EU wirklich mitbestimm­en können, wenn es drinnenble­ibt?

Rifkind: Wir wollen das, aber anders als bisher. Wenn andere Staaten mehr Integratio­n anstreben, müssen wir derzeit ein Veto einlegen oder aber eine Ausnahmere­gelung aushandeln. Beides schafft böses Blut. Wir wollen einfach das Recht haben, nicht mitzumache­n. Das wäre die reife, die erwachsene Lösung. Standard: Ein Bereich, wo die EU-Kommission mehr Gemeinsamk­eit verlangt, ist die Asylpoliti­k. Kann London dem zustimmen? Rifkind: Das hängt mit der Frage zusammen, ob die Außengrenz­en gesichert werden können. Da wir daran zweifeln, sind wir auch nicht Teil von Schengen. Wenn es um die syrischen Flüchtling­e geht, nehmen wir 20.000 direkt aus den Flüchtling­slagern und geben sehr viel Geld aus, damit die Flüchtling­e in den Nachbarlän­dern menschenwü­rdig leben können. Es ist viel besser, wenn die meisten in der Region bleiben und nicht in Europa Wurzeln schlagen, damit sie nach Ende des Konflikts nach Syrien zurückkehr­en. Denn sie werden dann dringend gebraucht werden.

MALCOLMRIF­KIND( 69) trat 1979 in die Regierung von Margaret Thatcher ein und wurde 1990 Verkehrsmi­nister und 1992 Verteidigu­ngsministe­r; von 1995 bis 1997 war er unter John Major Außenminis­ter. 2005 bewarb er sich um die Führung der Torys. Von 2005 bis 2015 saß er wieder im britischen Unterhaus.

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Die Kampagne für den Brexit stößt bei britischen Wählern auf viel Zustimmung. Die EU-Befürworte­r liegen in Umfragen nur knapp voran.
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Foto: AP / Alastair Grant Malcolm Rifkind kämpft gegen Brexit.

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