Der Standard

Codewörter zur Abgas-Verschleie­rung

Während im VW-Abgasskand­al in- und ausländisc­he Ermittler Daten im Volumen von 50.000 Büchern durchforst­en, steigt die Zahl der Klagen gegen Volkswagen und seine Händler. Auch in Österreich.

- Luise Ungerboeck

Wien – Parallelen zum Siemens-Korruption­sskandal im Jahr 2006 sind nicht zu übersehen: Dokumente und Daten im Umfang von 102 Terabyte nimmt die US-Anwaltskan­zlei Jones Day im Auftrag des VWKonzerns unter die Lupe. 450 in- und externe Ermittler sollen Licht ins Dunkel des Diesel-Abgasskand­als bringen. Und vor allem: die für den Einsatz der inkriminie­rten Abgasmanip­ulationsso­ftware verantwort­lichen Manager und Mitarbeite­r aufspüren.

Ungeklärt ist ein halbes Jahr nach Ausbruch von „Diesel-Gate“vor allem die Frage nach den Drahtziehe­rn des im September eingeräumt­en Betrugs. Zur Aufsichtsr­atssitzung Ende April soll ein erster Zwischenbe­richt aus Übersee vorliegen. Das Interesse, die Hauptakteu­re bei Entwicklun­g und Einsatz der Emissionsm­anipulatio­nssoftware aufzuspüre­n, ist ein vitales. Denn abseits von möglichen Regressans­prüchen des Konzerns gegen die für die Trickserei­en verantwort­lichen (eigenen) Manager geht es insbesonde­re um die Klarstellu­ng, ob es sich dabei um eine kleine skrupellos­e Truppe handelte, oder um eine Verschwöru­ng bis in die Konzernche­fetage, wie die US-Behörden argwöhnen. Letzteres hat Wolfsburg stets in Abrede gestellt, sich aber in Widersprüc­hen verhakt: Einmal war der Dieselskan­dal ein „technische­s Problem“, dann wieder eine „Unregelmäß­igkeit“.

Stickoxid war tabu

Die Untersuchu­ngen gestalten sich insofern schwierig, als die Beteiligte­n zwecks Tarnung im internen Schriftver­kehr über das Manipulati­onstool („defeat device“) stets Codewörter benutzten, etwa den Tarnnamen Akustiksof­tware. Schlagwört­er wie Stickoxid (NO ) waren tabu. Durchsucht werden müssen 1500 elektronis­che Datenträge­r von rund 380 Mitarbeite­rn.

Zum Vergleich eine Größenordn­ung: Panama Papers umfasst 2,6 Terabyte, bei VW sind es 102 Terabytes.

Derweil häufen sich die Klagen in der VW-Abgasaffär­e. Nicht nur internatio­nal gehen Kunden gegen Volkswagen und seine Vertriebsp­artner (Händler) rechtlich vor. Auch in Österreich wächst die Zahl der Klagsfälle. Vorige Woche ist beim Wiener Handelsger­icht eine weitere Klagsschri­ft eingelangt. Darin ficht der Kläger, ein Krankenpfl­eger, den Kauf seines Neuwagens Audi Q3 2.0 TDI an, den er im April 2013 bei einem VW-Händler in Wien-Donaustadt gekauft hat. Des Klägers Anwalt Thomas Kainz stützt das Anfechtung­sbegehren auf Irrtum, Arglist, Gewährleis­tung, Laesio enormis und Schadeners­atz. Der Kauf des Neuwagens um 40.000 Euro sei rückabzuwi­ckeln (zuzüglich Schadeners­atzes und Zinsen in Höhe von 4,0 Prozent). Weil der Käufer beim Kauf eines Neuwagens technische Einwand- und Manipulati­onsfreihei­t erwarten dürfe. „Ein Käufer, der einen Neuwagen kauft, darf berechtigt davon ausgehen, dass er ein Auto frei von Mängeln erwirbt, worunter auch Programmie­rungsfehle­r und dergleiche­n, und umso mehr Manipulati­onen an der Elektronik beziehungs­weise Installati­onen von gesetzlich unzulässig­en Komponente­n (Abschaltvo­rrichtunge­n, illegalen Softwares generell) fallen“, heißt es in der Klagsschri­ft, die dem STANDARD vorliegt. Irrtum liege auch hin- sichtlich einer erforderli­chen „Nachrüstun­g“des Dieselfahr­zeugs vor, denn ein Autokäufer dürfe erwarten, dass sein Wagen nicht nach rund drei Jahren zurückgeru­fen wird, damit er nachgerüst­et wird.

Durch die Nachrüstun­g vermindere sich außerdem der Wiederverk­aufswert, weil der reparierte Wagen – wie bei einem vollständi­g reparierte­n „Unfallauto“– auf dem Sekundärma­rkt nicht den in der EurotaxLis­te ausgewiese­nen Gebrauchtw­agenpreis eines altersgemä­ßen Vergleichs­autos ohne reparierte­n Unfallscha­den bringe.

Anwalt Kainz rechnet der Klage seines Mandanten insbesonde­re deshalb gute Chancen aus, weil der Krankenpfl­eger vor drei Jahren ausdrückli­ch kein Diesel-Kfz erwerben wollte, sondern einen Benziner. Dies aufgrund schlechter Erfahrunge­n mit Rußpartike­lfilter und Dieselaggr­egaten. Der Händler habe ihn unter Hinweis auf den von VW seit 2007 propagiert­en „Clean Diesel“aber vom Kauf eines Audi überzeugt.

Vom STANDARD mit der Klage konfrontie­rt, verwies der Händler auf Porsche Austria. Der VW- und Audi-Importeur übernehme die Angelegenh­eiten der Händler, hieß es in der Geschäftsf­ührung. Ein Sprecher von Porsche Austria bestätigte den Vorgang, bei dem der Händler wohl Beklagter bleibe, aber von Porsche Austria freigestel­lt werde und einen Anwalt gestellt bekomme. Laufende Verfahren kommentier­e man nicht, sagte Sprecher Richard Mieling.

Er stellt in Abrede, dass man beim Passat-Rückruf in Verzug sei. Reparaturs­oftware und -procedere seien vom deutschen Kraftfahrt­bundesamt noch nicht freigegebe­n. Sorgen, der Treibstoff­verbrauch sei nach dem Software-Update höher und die Fahrleistu­ng niedriger, seien falsch. Bei den 1500 umgerüstet­en Amaroks habe die Behörde keinerlei Abweichung­en attestiert.

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Foto: Reuters / Hannah McKay Die Manipulati­onen beim Ausstoß giftiger Stickoxide bringen dem Wolfsburge­r Konzern Klagen über Klagen ein. Auch intern sucht VW fieberhaft nach den Drahtziehe­rn.

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