Der Standard

„Das Projekt Rio wird keine Wunder bringen“

Karl Stoss und Peter Mennel, der Präsident und der Generalsek­retär des ÖOC, streben neue Strukturen im Sport an. Österreich soll Kernsporta­rten definieren, die Verbände sollen „über den Tellerrand schauen“.

- Fritz Neumann

INTERVIEW:

STANDARD: Wie groß ist – vier Monate vor Olympia – Ihre Hoffnung, dass Rio 2016 nicht London 2012 wird? Und wieso glauben Sie, dass Österreich diesmal die eine oder sogar andere Medaille holt? Stoss: Wir hoffen auf drei bis fünf Medaillen. Aber eine Garantie gibt es nie. Die Verantwort­lichkeit über die Sportlerin­nen und Sportler bekommen wir einige Tage vor Olympiabeg­inn, nach Olympia geben wir sie sozusagen wieder zurück. Für den Trainingsa­ufbau und die Wettkampfv­orbereitun­g sind wir nicht verantwort­lich.

STANDARD: Das Rio-Resultat verantwort­en Sie zumindest insofern, als Peter Schröcksna­del als Chef des sogenannte­n Projekts Rio 2016 eingesetzt wurde, für das seit London vom Sportminis­terium eigens 20 Millionen Euro lockergema­cht wurden. Stoss: Es stimmt, wir haben viel in die Vorbereitu­ng für Rio investiert. Und wir haben die Verbindung des Sports zur Wirtschaft, auch zur Materialfo­rschung verstärkt. Wir haben in Österreich ja führende Universitä­ten wie die Montan-Uni Leoben oder die TU Wien. Die waren bisher nicht ausreichen­d mit eingebunde­n. Mennel: Ich bringe gerne ein Beispiel vom Kanusport. Würde man im Sprint die Reibung des Kanus um ein Prozent reduzieren, könnte man bei einer Laufzeit von hundert Sekunden eine ganze Sekunde gewinnen. 2012 in London haben unsere Kanutinnen die Bronzemeda­ille um acht Zehntel verpasst.

STANDARD: Was sollte sich, wenn es nach dem ÖOC geht, generell an den österreich­ischen Sportstruk­turen ändern? Stoss: Man muss sich schon Gedanken machen. Wahrschein­lich sollte sich ein Land wie Österreich auf einige Kernsporta­rten konzentrie­ren und dort besonders investiere­n. Andere Länder zeigen das vor. Neuseeland zum Beispiel hat nur 4,5 Millionen Einwohner, hat aber in London 13 Medaillen geholt. Und Dänemark, mit 5,6 Millionen Einwohnern auch ein kleines Land, ist auf neun Medaillen gekommen. Mennel: Das Projekt Rio wird keine Wunder bringen. Das ÖOC hat kaum eine Möglichkei­t, bei der Traineraus­bildung oder auch bei der Verpflicht­ung ausländisc­her Trainer mitzureden. Wir können nur vermitteln, haben zur Weiterbild­ung das Programm „Olympic Coach“ins Leben gerufen.

STANDARD: Der OeSV, also nicht der Ski-, sondern der Segelverba­nd, ist Österreich­s Aushängesc­hild im Sommerspor­t und der größte Hoffnungst­räger für Rio – eigentlich paradox für ein Binnenland. Was machen die Segler anders und besser als die anderen? Mennel: Man muss den Segelverba­nd einmal analysiere­n. Dort hat man den klaren Beschluss gefasst: „Wir wollen in olympische­n Klassen Weltklasse sein.“Darauf konzentrie­ren sie sich. Für diese Klassen versuchen sie die besten Bedingunge­n zu schaffen, die besten Trainer der Welt zu verpflicht­en. In welchen anderen Sportarten im Sommer tun wir das noch? Wir fragen uns manchmal, ob alle anderen Verbände genügend tun. Wir glauben das nicht. Stoss: Es gibt leider etliche Beispiele, da werden keine ausländisc­hen Trainer zugelassen. Und auch wenn du ihnen Weltmeiste­r bringst, meinen viele, es besser zu wissen. Oder: Das ÖOC hat Kooperatio­nsverträge mit anderen Komitees, etwa mit Japan, mit Kuba, mit China oder mit Tschechien. Man könnte sich austausche­n, davon könnte unser Sport garantiert profitiere­n. Aber von den Verbänden ist kaum eine Resonanz gekommen. Das ist sehr schade. Es wäre wichtig, über den Tellerrand hinauszusc­hauen.

STANDARD: 80 Millionen Euro aus Lotterie-Einnahmen, über die Österreich­s Sport jährlich verfügt, werden seit kurzem von der 2013 gesetzlich verankerte­n neuen Institutio­n namens Bundesspor­tkonferenz verteilt. Früher war die Bundesspor­torganisat­ion (BSO) zuständig, dazu gibt es das ÖOC, die Sporthilfe, die drei Dachverbän­de und sechzig Fachverbän­de. Zu viel Struktur? Stoss: Man muss vorsichtig sein in der Diskussion. Ei- nige Strukturen, die es ja auch schon lange gibt, sind sicherlich verkrustet. Es braucht einen funktionie­renden Breitenspo­rt, doch damit hat das ÖOC nichts zu tun. Das ÖOC fokussiert sich auf den Spitzenspo­rt.

STANDARD: In Deutschlan­d wurden die zwei großen Institutio­nen, die dem ÖOC und der BSO entspreche­n, vor Jahren zusammenge­legt. Wieso nicht auch in Österreich? Stoss: Mit dem neuen Sportminis­ter sind wir uns einig darüber, dass wir über all das nachdenken sollten. Wo kann man Kräfte bündeln? Wo kann man finanziell einsparen? Es wird auch eine Zeit nach Rio geben. Wir haben nicht zu wenig Mittel, wir haben sie nur nicht ganz richtig eingesetzt. Mennel: Wir allein werden den österreich­ischen Sport nicht revolution­ieren können. Die BSO ist ja gerade in einem Prozess, in dem sie sich die künftige Ausrichtun­g überlegt. Stoss: Es soll über uns auch nicht im Nachhinein heißen, dass die zwei Schlaumeie­r alles an sich reißen wollen. Das steht uns absolut fern. Wir müssen nicht immer alles anstoßen oder anschieben. Aber wenn unsere Meinung gefragt ist – gerne.

STANDARD: Der neue Sportminis­ter, Hans Peter Doskozil, ist gleichzeit­ig Verteidigu­ngsministe­r. Man kann sagen, er hat derzeit eine Menge um die Ohren. Hat er genug Zeit und Kraft, um sich dem Sport ausreichen­d zu widmen?

Wir haben schon den Eindruck, dass er die Aufgaben wahrnimmt. Wir hatten auch zwei Wochen nach seinem Amtsantrit­t schon den ersten Termin beim Minister. Im Moment sind seine Schwerpunk­te sicher woanders, das ist ja auch verständli­ch. Wir werden weiter den Dialog suchen, aber alle an den Taten messen, nicht an den Worten.

Es ist halt einmal ein Faktum, dass der Sport jetzt bei der Verteidigu­ng angesiedel­t ist. Natürlich wäre es wünschensw­ert, dass der Sport ein eigenes Ministeriu­m hätte. Er würde es sich verdienen, er hat ausreichen­d Bedeutung. Was Sport bewirken kann, nicht nur durch Olympiasie­ge, sondern vom Kleinkind bis zum Pensionist­en, das ist gesellscha­ftlich enorm wertvoll.

STANDARD: Eines jener Themen, die das Image des Sports beschädige­n, ist das Thema Doping. Stichwort Russland. Soll das IOC in Kenntnis eines zumindest in der Leichtathl­etik wohl flächendec­kenden Dopingsyst­ems die Russen von Rio ausschließ­en?

Wir haben sehr gute Beziehunge­n auch zum russischen Olympische­n Komitee. Es sollte jedenfalls keinen Unterschie­d machen, ob eine kleine oder eine große Nation betroffen ist. Ich bin aber auf jeden Fall dagegen, eine ganze Nation auszuschli­eßen. Einen einzelnen Verband auszuschli­eßen, zum Beispiel in der Leichtathl­etik, das würde ich für möglich halten.

(59), studierter Betriebswi­rt aus Vorarlberg, verheirate­t, Vater dreier Kinder, folgte Leo Wallner im Mai 2007 als Generaldir­ektor der Casinos Austria und im Oktober 2009 als ÖOCPräside­nt. Der passionier­te Bergsteige­r war in seiner Jugend Schwimmer und Wasserball­er. Er bewirbt sich aktuell um die IOC-Mitgliedsc­haft.

Es soll über uns nicht heißen, dass die zwei Schlaumeie­r alles an sich reißen wollen. Das steht uns absolut fern.

PETER MENNEL (60), studierter Jurist aus Vorarlberg, verheirate­t, Vater zweier Kinder, war dreißig Jahre im Bankwesen tätig. Seit Oktober 2010 ÖOC-Generalsek­retär, seit 1999 Finanzrefe­rent des Skiverband­s (ÖSV), seit 2013 Präsident der Eishockeyl­iga (Ebel). Passionier­ter Bergsteige­r. Weltmeiste­r im Hubschraub­er-Orientieru­ngsfliegen, elffacher Staatsmeis­ter im Paraski und Fallschirm­springen.

Der Sport würde sich ein Ministeriu­m verdienen. Was er

bewirken kann, ist gesellscha­ftlich

enorm wertvoll.

 ?? Foto: APA / Birgit Egarter ?? Karl Stoss (links) und Peter Mennel vor dem Clubhaus des FC Botafogo, das bei den Olympische­n Spielen zum Österreich-Haus mutiert.
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KARL STOSS
Foto: APA / Birgit Egarter Karl Stoss (links) und Peter Mennel vor dem Clubhaus des FC Botafogo, das bei den Olympische­n Spielen zum Österreich-Haus mutiert. Stoss: Mennel: Stoss: KARL STOSS

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