Eine Gegenwart voller unbestimmbarer Zeichen
Mit seinen klaren, schnörkellosen Filmen um komplizierte Lebensläufe hat sich Christian Petzold als eine der wichtigsten Stimmen seiner Generation etabliert. Das Österreichische Filmmuseum zeigt sein Werk, ergänzt um Filme, die es mitbeeinflusst haben.
Wien – Der zentrale Verdächtige baut die Welt im Kleinen nach. Eine Modelleisenbahn, eine „Routine Pleasure“, wie das ein anderer Regisseur einmal nannte. In Kreise, dem Polizeiruf, den Christian Petzold 2015 drehte, ist das Hobby allerdings mit Melancholie behaftet. Das Modell wirkt wie ein Double der Wirklichkeit, aus beiden sind die Gefühle ausgezogen. Eine kalte Welt, da wie dort, in der Menschen wie Figuren so in der Landschaft stehen, als hätte sie dort jemand aufgestellt.
Kreise ist der jüngste Film des deutschen Regisseurs, eine Genrearbeit fürs Fernsehen und dennoch ein vollwertiger Petzoldfilm, an dem auch seine langjährigen Mitarbeiter, der Kameramann Hans Fromm, der Ausstatter K. D. Gruber und die Cutterin Bettina Böhler beteiligt waren.
Das merkt man auch gleich. Der erzählerische Rhythmus ist anders, untypisch fürs Fernsehen, die Bilder erhalten mehr Zeit, um sich zu entfalten. Der Wald, in der die Tote gefunden wird, ist nicht nur Schauplatz, ein Tatort; er enthält noch etwas anderes, Unbestimmbares, Zeichenhaftes.
Das ist eine Eigenschaft, die man für alle Arbeiten des deutschen Filmemachers gelten lassen möchte. Schon sein erster Kinofilm, Die innere Sicherheit (2000), ist gleichzeitig in der Welt und von ihr entrückt. Das liegt nicht nur am Sujet, an den Figuren, die in keiner Umgebung fest verankert sind. Die Familie mit linksradikaler Vergangenheit kehrt aus dem Exil nach Deutschland zurück, was sich auch subtil in der Optik des Films niederschlägt. Land und Objekte sind real und künstlich zugleich; das Teenagerdrama um die Tochter und der immer nur angedeutete Agentenfilm der Eltern laufen wie zwei Linien nebeneinander her.
Kino als Nährboden
Rückbezüge auf Genrefilme sind in Petzolds Filmen beständig da, deswegen aber nicht leichter lesbar. Sie drängen sich nicht auf wie im Zitatekino. Filme sind der gedankliche Nährboden, auf dem die eigenen Filme gedeihen. Mit Harun Farocki, seinem vormaligen Lehrer an der Filmhochschule, hat Petzold bis zu dessen Tod 2014 an seinen raffinierten Erzählweisen gearbeitet.
In Yella (2007) wird die oft formulierte gespenstische Qualität der Filme besonders ausdrücklich. Entlang der Ausgangssituation von Herk Harveys B-Horrorfilm Carnivals of Souls (1962), der Geschichte einer Toten, entwirft auch Yella das Drama einer Verunglückten (Nina Hoss). Allerdings als Bühne für gegenwärtige Arbeitsbedingungen: immateriell, austauschbar, mit virtuellem Kapital hantierend.
Die Retrospektive im Filmmuseum öffnet sich gegenüber diesen cinephilen Vorlieben Petzolds und ergänzt sein Werk um 21 weitere Filme, die er sich aussuchen durfte. Wenig verwunderlich spielen viele davon im kriminellen Milieu oder tragen das Attribut „noir“in andere Zusammenhänge hinein. Don Siegels Charley Varrick (1973) etwa, ein Gangsterdrama, in dem ein fulminanter Walter Matthau die falsche Bank ausraubt und dann die Ma- fia an den Fersen hat. Der rotzige, komisch zugespitzte Thriller wirkt erstaunlich welthaltig, weil er einer ganzen Reihe verlotterter, übrig gebliebener Gestalten Auftritte gewährt. Etliche der ausgewählten Filme spiegeln auch Petzolds Vorliebe für physische, sinnlich erfahrbare Räume wider – sei es Kathryn Bigelows NeoNoir-Bikerdüsternis in Near Dark (1987) oder Peter Bogdanovichs Singapur-Rotlichtdokumentarismus in Saint Jack (1979).
Einen Verweis auf seinen bisher letzten Kinofilm, das großartige Kriegsheimkehrer-Drama Phoenix, bietet überraschenderweise István Szabós Bizalom (1980), der ein vergleichbares Szenario von verkörperten Gefühlen zur Aufführung bringt. Liebe als Spiel unter falschen Voraussetzungen, im dem das Wahre allmählich von selbst an die Oberfläche steigt – aus solchen ergreifenden Widersprüchen ist Petzolds Kino gemacht. Bis 4. Mai