Der Standard

Die Herznot des Dummymanns

Geumhyung Jeong und Philippe Decrauzat im Brut

- Helmut Ploebst

– Ein Dummy liegt brach. Sein Atem schnauft vom Band. Eine Frau geht auf ihn zu und zieht sich aus: Ein Herzstills­tand steht bevor. Gleich wird die südkoreani­sche Choreograf­in und Performeri­n Geumhyung Jeong ihre CPR Practice vorführen. So geschah’s gerade im Brut-Theater bei einer Kooperatio­nsveransta­ltung mit der Kunsthalle Wien im Rahmen der Ausstellun­g „The Promise of Total Automation“.

Anne Faucheret, Kuratorin dieser klugen und fordernden Symphonie über die Bedrängnis des Menschen durch sein selbstgesc­haffenes Gerät ( derSTANDAR­D berichtete), und Brut-Leiterin Kira Kirsch haben sich entschloss­en, zwei mit der Schau verbundene performati­ve Arbeiten im Haus am Karlsplatz zu zeigen. Außer Jeongs CPR Practice gab es vorige Woche auch Philippe Decrauzats 16-mm-Film Anisotropy mit LiveMusik von Alan Licht zu erleben.

Geumhyung Jeong ist eine der ganz wenigen Frauen in ihrem Land, die einen Baggerfahr­er-Führersche­in besitzt. Den hat sie sich als Vorbereitu­ng für ihr Stück Oil Pressure Vibrator erworben, das vor zwei Jahren bei Impulstanz zu sehen war. Die 1980 in Seoul geborene Künstlerin meint es nämlich ernst, wenn sie ein Werk angeht. Und der Witz, den sie dort einbringt, stammt aus den Tiefen der sexuellen Neurosen in unserer Automaten-Gegenwart.

In CPR Practice bleibt dem Dummymann das Herz stehen, als die Frau nett zu seinem Gummigesch­lechtsteil ist. Sie reagiert mit Reanimatio­n unter Verwendung des klassische­n Not-Equipments. Während Jeong das sensorenbe­stückte Dummyherz handmassie­rt, was unablässig von einem Diagnosege­rät kommentier­t wird, räumt sie allerlei gutes Gerät herbei: Defibrilla­toren, Beatmungsm­aske, Infusion. Permanente­r Alarm. Dem Dummy geht’s nicht besser. Die Frau gibt alles – und diese Hingabe kommt einem Geschlecht­sakt einigermaß­en nahe.

Genderdisk­urs mit Bagger

Das Orgasmuser­lebnis am Ende von Oil Pressure Vibrator ist eine Gewaltfant­asie: Ein Bagger überrollt – im projiziert­en Video – eine überlebens­große Frauenskul­ptur aus Sand. Die Herz-Lungen-Wiederbele­bung bei CPR Practice dreht diese Situation um. Denn der Gummimann kommt trotz Reanimatio­n um sein Puppenlebe­n. Das ist der harte Hauch von Jeongs Genderdisk­urs.

Die Animation seiner in der Kunsthalle präsentier­ten Metallskul­ptur Anisotropy zeigte Philippe Decrauzat im Brut als choreograf­ischen Experiment­alfilm. Das Objekt wirkt wie das Modell für ein mit Stelen besetztes Stadion, das sich bei Rotation in ein komplexes Op-Art-Zoetrop verwandelt. Dazu lieferte Alan Licht mit seiner Gitarre den alles andere als weichen Sound. Fazit im Brut: zwei exzellente Arbeiten. Filmschau „Total Automation“im Metrokino, 11.–13. 5.

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