Fallstricke sinnlicher Schaulust
Unter den Gemälden Alter Meister treffen im Dorotheum aktuell (19. April) liebliche Marienbilder und dramatische Bibelszenen auf sinnlich-opulente Allegorien und Landschaften, hinter deren Idylle teils Gefahren lauern.
Wien – Eine Grazie bewundert sich im Spiegel, ein Äffchen studiert ein Gemälde, und ein Papagei lässt den Blick in die Ferne schweifen: In seiner Allegorie des Sehens bietet Frans Wouters allerlei Figuren auf, die sich in das Sichtbare versenken. Sie sind von Gemälden, Skulpturen, Ziergegenständen und wissenschaftlichen Instrumenten umgeben. Das Tafelbild des flämischen Barockmalers spielt auf Eitelkeit ebenso an wie auf die Schaulust generell.
Bereits Jan Brueghel d. J. schuf solche Sinnbilder, die auch die Blendung durch den schönen Schein kritisieren. Bei der kommenden Altmeisterauktion des Dorotheums gelangen gleich drei Allegorien zum Aufruf, die einst Brueghel zugeschrieben wurden, aber mittlerweile als eigenhändige Werke des Hofmalers Wouters identifiziert werden konnten.
Der Rubens-Schüler wurde von seinen Auftraggebern dafür geschätzt, dass er die großflächigen Kompositionen seines Lehrer- meisters auf handlichere Formate umzulegen verstand. In seiner mit Öl auf Holz gemalten Allegorie des Geschmacks wird Überfluss nicht nur anhand eines vollen Esstischs inszeniert, sondern auch durch Tier- und Früchtestillleben.
Nichts von dieser friedlichen Stimmung bleibt in Wouters’ Darstellung des Tastsinns: Die Berührung zeigt im Krieg ihr brutales Gesicht. Im Hintergrund tobt eine Schlacht und Flammen vernichten eine Stadt, während sich vorn zwei puttohafte Buben neben Rüstungen und Waffen balgen.
Eines der berühmtesten Sujets der altniederländischen Kunst stellt die Winterlandschaft mit Eisläufern dar. Zu den Höhepunkten des aktuellen Altmeisterangebots zählt eine Dorflandschaft im Winter mit Vogelfalle von Pieter Brueghel d. J., von der auch das Kunsthistorische Museum Wien eine Version besitzt. Was auf den ersten Blick wie ein heiteres Volkstreiben wirkt, offenbart bei näherer Ansicht eine gefährliche Note: So wie die arglos pickenden Vögel Gefahr laufen, von dem mit Stock abgestützten Brett erschlagen zu werden, könnte das Eis unter den unbekümmerten Schlittschuhläufern nachgeben.
Die Vogelfalle bereitete der Landschaftsmalerei als eigenständiger Gattung den Weg. Von dem beliebten Motiv – letztlich eine Allegorie auf die Unsicherheit des Daseins – zählte die Brueghel-Forschung nicht weniger als 127 Fassungen. Die Experten bestätigten davon aber bloß 45 als eigenhändige Werke Brueghels.
Der Vergleich ziert den Prado
Unter die prüfenden Röntgenstrahlen der Spezialisten wanderte das absolute Glanzstück der Auktion, das Altarbild Die Geburt Christi von Hans Memling Werkstatt. Der ab 1465 in Brügge wirkende Maler beschäftigte Schüler und Gehilfen. Die bei der Durchleuchtung unter den vielen Farbschichten sichtbar gewordenen Kreidezeichnungen lassen keinen Zweifel daran, dass das Ölbild von einem engen Mitarbeiter Memlings stammen muss. Als Vergleichsbild dient ein Flügelaltar, der sich im Prado befindet.
Das bestens erhaltene Sakralwerk, das sich seit Jahrhunderten im Besitz einer burgundischen Adelsfamilie befand und erst 1994 entdeckt wurde, besticht nicht zuletzt auch durch seine Detailliertheit. So wurden nicht nur die blonden Locken Mariens und der Faltenwurf ihres Kleides mit höchster Sorgfalt behandelt, sondern auch der Schatten eines Strohhalms oder das wurmstichige Holz der Kirchenruine, in der die Krippenszene situiert ist.
„Die Tafel zeichnet sich durch eine nuancierte Lichtführung aus“, heißt es auf der Homepage des Dorotheums, wo die deutsche Fassung der Expertentexte zu finden ist. Denn die Kataloge erscheinen aufgrund der internationalen Klienten seit vergangenem Jahr nur noch in Englisch.
Liebliche Marienbilder haben auch die italienischen Meister zu bieten. Der als Jacopo de Sellaio bekannte Florentiner Maler schuf um 1470 das Rundbild Die Heilige Familie mit dem Johannesknaben. Wie die Untersuchung ergeben hat, verwendete der Maler dafür blauen Azurit, das aus der Cochenillelaus gewonnene Karminrot und Grünspan, und mischte die Pigmente geschickt für gewünschte Farbtöne.
Zu den Entdeckungen der Auktion zählt das Ölbild Der kreuztragende Christus, ein Frühwerk auf Kupferplatte von Barockkünstler Guido Reni. Den großen Namen sehen die Experten neben kompositorischen Vergleichen auch in der Art bestätigt, wie Reni mit der Pinselspitze an der Verfeinerung der Zeichnung gefeilt hat.