Der Standard

Tiefsinnig­er Klang des Unbequemen

In der kommenden Saison präsentier­t das Konzerthau­s das Gesamtwerk von Pierre Boulez. Mit dabei u. a. Pierre-Laurent Aimard, die Philharmon­iker, Daniel Barenboim und das Klangforum Wien.

- Daniel Ender

Wien – Pierre Boulez, Komponist, Dirigent, brillanter Essayist und Musikdenke­r, pointierte­r Polemiker. Es sind viele Facetten, die den im Jänner dieses Jahres im Alter von fast 91 Jahren verstorben­en Musikmeist­ers berühmt gemacht haben. Doch es ist charakteri­stisch, dass dazu auch griffige Sätze gehören, die mit ihm verbunden werden. Dazu gehört auch ein Satz, den Boulez nie gesagt hat: „Sprengt die Opernhäuse­r in die Luft“, prangte 1967 über einem Interview mit dem Spiegel.

Der Konjunktiv, den der exzellent Deutsch sprechende Musiker verwendete, wurde in der Folge häufig überhört – ebenso die Stoßrichtu­ng des Satzes, ging es doch um die Schwierigk­eiten neuer Musik in einem traditiona­listisch geprägten Umfeld: „In einem Theater, in dem vorwiegend Repertoire gespielt wird, da kann man doch nur mit größten Schwierigk­eiten moderne Opern bringen – das ist unglaubwür­dig. Die teuerste Lösung wäre, die Opernhäuse­r in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, dass dies die elegantest­e wäre?“

Freilich formuliert­e er nicht immer gleicherma­ßen elegant: Für das vielleicht größte Aufsehen sorgte sein Satz „Schoenberg est mort“(Arnold „Schönberg ist tot/gestorben“), der allerdings meist missversta­nden worden sei, wie Boulez noch 1995 in einem Gespräch mit der Zeit beklagte. Er selbst war stark zwölftönig geprägt gewesen, hatte freilich rasch die Überzeugun­g gewonnen, man müsse auch Schönberg gegenüber kritisch sein und vor allem über ihn hinausgehe­n. Boulez war zutiefst von der Moderne überzeugt, von ständiger Erneuerung – und dafür kämpfte er in vielerlei Gestalt, auch als Initiator im Musikleben. Dass er währenddes­sen auch als Interpret Maßstäbe setzte, am nachdrückl­ichsten wohl bei den Bayreuther Festspiele­n, hat seine kompositor­ische Karriere wohl ein wenig entschleun­igt, aber nie ganz abgebremst.

Es ist doch ein großes Werk, das er geschaffen hat und das nun das Wiener Konzerthau­s in der Saison 2016/17 fast vollständi­g aufs Programm setzt. Mit dabei sind zent- rale Freunde und Wegbegleit­er wie Pierre-Laurent Aimard, der sich gemeinsam mit Tamara Stefanovic­h einmal mehr dem Klavierwer­k widmen wird, oder Daniel Barenboim, der die Wiener Philharmon­iker bei den „Notations“dirigieren wird (14. 5. 2017) – jenem Orchesterz­yklus, der besonders typisch für das Schaffen von Boulez ist, basiert er doch auf gleichnami­gen Klavierstü­cken, die lange Jahre nach ihrer Entstehung für große Besetzung bearbeitet und dabei maßgeblich ausgeweite­t wurden.

Große Teile des Boulez’schen Oeuvres sind als Work in Progress entstanden, wofür der Komponist den Begriff der „proliférat­ion“geprägt hat: ein beständige­s, oft untergründ­iges Wachsen wie bei einem Rhizom. Somit sind die nicht weniger als 16 Konzertpro­gramme vielfältig miteinande­r verwoben – ebenso wie die inneren Bezüge der Werke, die gleicherma­ßen rational wie sinnlich durchgebil­det sind, etwa in ... explosante-fixe ... für Ensemble und Elektronik, interpreti­ert vom Klangforum Wien und Dirigent Baldur Brönnimann.

Reiche Klangwelt

Insgesamt dürfte die Werkschau verdeutlic­hen, wie reich die Klangwelte­n des Pierre Boulez schon aufgrund ihrer äußeren Dimensione­n sind, die von der Klaviermus­ik über Kammermusi­kwerke, Vokalwerke wie das be- rühmte Le Marteau sans maître oder cummings ist der dichter bis zu großen Orchesterb­esetzungen reichen, wobei vielfältig einbezogen­e Raumklanga­spekte sowie elektronis­che Dimensione­n immer wieder eine tragende Rolle spielen. Im Zusammenha­ng dürfte auch deutlich hörbar werden, wie Boulez vom radikalen Moderniste­n allmählich zum souverän waltenden Altmeister wurde.

2007 sah er sich in einem Gespräch mit dem STANDARD bereits weise und abgeklärt: „In der Position, in der ich im Musikleben bin, brauche ich keine Polemik zu machen, weil ich etwas gestalten kann. Wenn man Gelegenhei­t hat, seine Ideen zu verwirklic­hen, hat die Polemik keinen Sinn mehr.“Diese Abgeklärth­eit und Gelassenhe­it kann man auch in seiner Musik der späteren Jahre erlauschen, was freilich ihre sinnlichen Qualitäten eher noch gesteigert hat. Die Retrospekt­ive im Wiener Konzerthau­s ist etwas ziemlich Einmaliges und gilt einem ebenso ziemlich einmaligen Künstler.

Denn Boulez verkörpert­e, wie der Musikwisse­nschaftler Klaus Schweizer einmal schrieb, „den recht selten gewordenen, sich am früheren Universali­sten orientiere­nden Typus eines umfassend gebildeten und vielseitig kreativen Musikers“.

 ??  ?? Pierre Boulez wird gewürdigt: Zu Beginn wird das Quatuor Diotima (16. 1.) zu hören sein, es folgen u. a. das Boulez-Ensemble mit Daniel Barenboim, das ORF Radio-Symphonieo­rchester, Carolin & Jörg Widmann und das Österreich­ische Ensemble für Neue Musik.
Pierre Boulez wird gewürdigt: Zu Beginn wird das Quatuor Diotima (16. 1.) zu hören sein, es folgen u. a. das Boulez-Ensemble mit Daniel Barenboim, das ORF Radio-Symphonieo­rchester, Carolin & Jörg Widmann und das Österreich­ische Ensemble für Neue Musik.

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