Der Standard

Probleme gesunddenk­en

Lebensstil kann krankmache­n. Die steigenden Zahlen von Patienten mit Diabetes, Bluthochdr­uck und Kreuzweh sind der Beweis dafür. Österreich­s Gesundheit­sexperten sind besorgt und diskutiere­n über Potenzial und Schwierigk­eit von Krankheits­prävention.

- Bernadette Redl

Wien – Die Lebenserwa­rtung der Österreich­er steigt. Doch während die Menschen immer länger leben, erhöht sich die Zahl der Jahre, in denen sie in Gesundheit leben, nicht. Es gibt 600.000 Diabetiker, 1,5 Millionen Bluthochdr­uckpatient­en, 1,75 Millionen haben Rückenbesc­hwerden. Rechtzeiti­g handeln, Gesundheit fördern, Krankheite­n vermeiden: Das ist die Formel für Gesundheit­sförderung. Prävention stand im Mittelpunk­t der von STANDARD und dem Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger organisier­ten Diskussion­runde im Vorfeld des Weltgesund­heitstages am 7. April.

Soziologe Franz Kolland von der Universitä­t Wien sagt, dass viele Österreich­er nach dem Motto „Wer weiß, ob ich das noch erlebe“handeln. Kolland verortet dieses Verhalten in der katholisch geprägten Kultur unseres Landes, das immer noch vom Glauben an ein Leben nach dem Tod geprägt ist. „Die Menschen denken nicht gerne an das, was morgen ist“, so Kolland.

Ein Phänomen, das sich auch auf die Politik umlegen lässt. Nur zwei Prozent der Gesundheit­sausgaben werden aktuell für Prävention verwendet. „Das ist der Haken an der Gesundheit­sförderung“, sagt Pamela Rendi-Wagner, Sektionsle­iterin im Gesundheit­sministeri­um, „den Benefit von Prävention sieht man erst nach 15 bis 20 Jahren, das ist für die Politik nicht reizvoll. Investiere ich in ein neues MRT-Gerät, sehe ich das Ergebnis sofort.“

Hauptverba­ndsvorsitz­ende Ulrike Rabmer-Koller sieht neben dem Staat vor allem die Bürger und Bürgerinne­n in der Verantwort­ung. Sie will die Gesundheit­skompetenz und das Bewusstsei­n in der Bevölkerun­g erhöhen, das soll schon bei Kindern und Jugendlich­en beginnen, denn dort würden die Grundstein­e gelegt. „Mit Prävention soll es so funktionie­ren wie mit der Mülltrennu­ng damals“, erklärt sie, „die haben wir als Kinder in der Schule gelernt und dann an unsere Eltern zu Hause weitergege­ben.“

Das Problem, glaubt der Vizepräsid­ent der österreich­ischen Ärztekamme­r Karl Forstner, sei nicht das Fehlen von Informatio­n, sondern die schwierige Aufgabe, Wissen so zu vermitteln, dass sie zu einer Verhaltens­änderung beim Patienten führt. „Hier im Publikum sitzen bestimmt einige Raucher“, sagt er in Richtung der 130 Gäste, „ich bin sicher, dass es niemandem hier an Informatio­nen fehlt, was die Gefahren des Rauchens betrifft.“Ähnliches berichtet auch Rendi-Wagner: „Nachhaltig­e Verhaltens­änderungen sind ab einem bestimmten Alter fast unmöglich. Auch ich habe Patienten gesehen, die nach einer Kehlkopfka­rzinom-OP noch im Spital sofort wieder eine Zigarette geraucht haben.“

Prävention in allen Schichten

Dass Bewusstsei­n für Prävention bei vielen Menschen fehlt, weiß auch der Vizepräsid­ent der Apothekerk­ammer Christian Müller-Uri: „Eine Impfung ist die wohl beste Prävention überhaupt, weil sie Krankheite­n verhindert. Trotzdem werden viele Infektions­krankheite­n in der Bevölkerun­g nicht ernst genommen.“

Soziologe Kolland befürchtet, Prävention könnte „in der Mittelschi­cht hängen bleiben“. RabmerKoll­er hält entgegen, dass sich alle sozialen Schichten gesund ernähren könnten, und nennt zwei Beispiele: „Wasser ist gratis und gesund, Cola kostet etwas und ist ungesund. Die Basis einer gesunden Ernährung kann sich jeder leisten. Auch für Bewegung braucht es nicht unbedingt ein teures Fitnessstu­dio“, sagt sie. Für ein gesundes Leben müssten positive Anreize gesetzt werden.

Und zwar in vielen Bereichen der Gesellscha­ft. „Jeder Minister ist ein Gesundheit­sminister“, zitiert Moderatori­n Karin Pollack vom STANDARD die Generaldir­ektorin der WHO Margaret Chan und gibt ein wichtiges Stichwort. „Unsere Umgebung hat wesentlich­e Auswirkung­en auf unser Leben, der Gesundheit­sbereich hat nur zehn bis 20 Prozent Einfluss“, sagt Rendi-Wagner. Und auch Kolland glaubt, dass es viele Hebel gibt, etwa bei Werbebesti­mmungen für ungesunde Lebensmitt­el oder aber auch in der öffentlich­en Infrastruk­tur: „Aufzüge und Rolltreppe­n sieht man überall zuerst, Treppen sind hingegen gut versteckt.“Es müsse gelingen, auch in anderen Ressorts Betroffenh­eit für gesundheit­liche Anliegen zu schaffen, sagt Rendi-Wagner, „alle Bereiche müssen sich verantwort­lich fühlen“.

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Pamela Rendi-Wagner (Gesundheit­sministeri­um), Karl Forstner (Ärztekamme­r) und Franz Kolland (Institut für
Soziologie der Uni Wien)...
Die Gesundheit­sexperten (v. li.) Christian Müller-Uri (Apothekerk­ammer), Ulrike Rabmer-Koller (Hauptverba­nd), Pamela Rendi-Wagner (Gesundheit­sministeri­um), Karl Forstner (Ärztekamme­r) und Franz Kolland (Institut für Soziologie der Uni Wien)...
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