Der Standard

Apathisch, ratlos, blutleer

Österreich­s Politikern fällt zu aktuellen Herausford­erungen wenig ein – zu wenig

- Petra Stuiber

Wer Österreich­s Innenpolit­ik derzeit betrachtet, fragt sich, wo genau die eigentlich ist. Innenpolit­ik? Politische Gestaltung? Politische Akteure? Wer bitte, wie bitte, wo bitte? Panama Papers, Terroransc­hläge, der Versuch der EU-Kommission, die Flüchtling­skrise in den Griff zu bekommen – es gäbe genug nachzudenk­en, zu sagen, sich zu verhalten, gar Konzepte zu entwickeln.

Denn die drei angeführte­n Beispiele zeigen nur einige der wirklich großen Herausford­erungen für die Zukunft: Die Frage, wie groß die Bedrohung durch Radikalisi­erung und (in letzter Konsequenz) jihadistis­chen Terror in Österreich wirklich ist, ist eng mit jener verknüpft, wie Integratio­n gelingen kann.

Und das ist durchaus nicht nur auf Menschen mit Migrations­hintergrun­d gemünzt. Eine wachsende Zahl junger Leute, vor allem Burschen, hat zunehmend das Gefühl, chancenlos zu sein. Dass seit Jahren ein signifikan­tes Wirtschaft­swachstum ausbleibt und sich die Situation auf dem Arbeitsmar­kt zuspitzt, dass wir nun die Folgen des Zweiklasse­nsystems im Schulwesen­s sehen – all das ist der Nährboden für radikale Tendenzen, und sei es nur, im „günstigste­n“Fall, dass die Menschen verstärkt populistis­chen rechts(weniger häufig links)extremen Parteien und deren simplen Heilsversp­rechen hinterherl­aufen. ehr Geld und viel mehr Hirnschmal­z müssten in die Reform der (Aus-)Bildung künftiger Generation­en investiert werden. Es geht um nichts weniger als um die Frage, wie dieses Land in zehn bis zwanzig Jahren dastehen wird, ob es mehrheitli­ch gescheit oder blöd ist, ob es reich oder arm, ob es demokratis­ch oder autoritär regiert sein wird. Doch die zuständige Ministerin beschwicht­igt und lobt, wo es längst nichts mehr zu beschwicht­igen und zu loben gibt.

Dass die allgemeine Radikalisi­erung der Gesellscha­ft nicht nur Zukunftsmu­sik ist, beweisen die Regierunge­n in Polen und Ungarn, deren Verhältnis zu Rechtsstaa­t und Pakttreue gegenüber den EU-„Partnern“maximal als abstrus zu bezeichnen ist. Die Union erlebt schwere Zeiten: Es rächt sich, dass EU-Verträge einzelnen Mitgliedst­aaten erlauben, ihre nationalen Egoismen zu pflegen. Das Gemeinscha­ftswerk driftet auseinande­r, und Regierunge­n wie die österreich­ische,

Mdie ihre Fähnchen, wie in der Asylpoliti­k, in den jeweils günstigste­n Wind hängen, werden daran nichts ändern.

Die politische Kernfrage lautet: Welche Art von Politikern wird künftig mithilfe des Wählervolk­s das Sagen haben? Die Orbáns, Le Pens, Kaczyńskis, die AfD-Rabauken, die Straches? – obwohl Letzterer im Vergleich zu den Genannten beinahe farblos wirkt.

Damit ist er übrigens nicht allein unter Österreich­s Spitzenpol­itikern. Mag man beim FPÖ-Chef noch argumentie­ren, sein Schweigen nütze ihm momentan am meisten, kann man das bei Werner Faymann, Reinhold Mit- terlehner, Eva Glawischni­g, aber auch bei den meisten Politikern der zweiten Reihe nicht behaupten.

Seltsam apathisch wirken sie, ratlos und ohne eigene Meinung oder gar Überzeugun­g bezüglich der Geschehnis­se auf dieser Welt. Es ist eine Politikerg­eneration null, sie bewegt sich so wenig wie möglich, um nur ja den Status quo zu zementiere­n und sich selbst nicht zu gefährden.

An dieser Blutleere laborieren letztlich auch die Präsidents­chaftskand­idaten der Parteien. Jeder kämpft für sich allein, vom „Mutterschi­ff“ist weder Elan noch Charisma zu erwarten.

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