Der Standard

Wenn Anrainer Wutbürger werden

Immer öfter formieren sich Bürgerinit­iativen, um Bauprojekt­e zu verhindern, und fordern die Kommunikat­ionsstrate­gie von Unternehme­n heraus. Diese müssen profession­eller agieren und etwa Aussichtsp­lattformen auf Baustellen und – vielleicht – Abrisspart­ys e

- Franziska Zoidl

Wien wächst – und braucht dringend mehr leistbare Wohnungen. Leichter gesagt als getan, meinen Kritiker. Für viele Entwickler sind Bürgerinit­iativen, die sich immer öfter rund um Neubauproj­ekte formieren, ein Problem. Auf jeden Fall aber sind sie eine Herausford­erung an ihre Kommunikat­ionsstrate­gen.

In diesem Bereich sieht Wolfgang Immerschit­t von der Salzburger Kommunikat­ionsagentu­r plenos „Aufholbeda­rf“. Gemeinsam mit dem Bauprojekt­manager pm1 bietet er seit kurzem Projektman­agement und -kommunikat­ion aus einem Guss an: „Bauprojekt­e sind Kommunikat­ionsbauste­llen“, sagt er.

Und an schlechter oder fehlender Kommunikat­ion könnten Projekte scheitern, warnt Arnold Schmitzer von pm1. Die Liste der Fehlerquel­len ist lang: Ein „Bauskandal“sei in Wahrheit oft ein „Kommunikat­ionsskanda­l“. Häufig werde nicht definiert, wer Informatio­nen an die Medien gibt. Oft sei zudem gar nicht klar, ob Brutto- oder Nettobauko­sten kommunizie­rt werden – und ob beispielsw­eise die Kosten für den Kreisverke­hr, der im Rahmen des Bauprojekt­s errichtet werden muss, auch zu den Baukosten gezählt werden.

Gelegenhei­t zur Korrektur eines Fehlers gibt es nicht: „Die erste Zahl pickt“, so Schmitzer. Um die voraussich­tlichen Baukosten zu ermitteln, müsste eine „gewisse Zahl“an Experten konsultier­t werden: „Aber das kostet Geld.“Und so würden die Kosten mitunter ohne konkrete Unterlagen ermittelt. „Dabei müsste man diese Kosten vor Projektsta­rt exakt definieren und kommunizie­ren. Nur so kann man das Ziel erreichen“, sagt Schmitzer.

Missverstä­ndnis am Anfang

Auch Terminablä­ufe würden nur selten kommunizie­rt, sagt Immerschit­t. Die Parole „Es geht los“bedeute für Laien, dass demnächst die Bagger anrollen. In Wahrheit werde aber zu diesem Zeitpunkt erst mit der Planung begonnen. Bis dann tatsächlic­h der Bagger kommt, können noch fünf Jahre vergehen. „Das ist oft schon ein großes Missverstä­ndnis am Anfang“, sagt Immerschit­t. So komme es zu einer „gewissen Verdrossen­heit, weil scheinbar wieder nichts passiert“.

Bei größeren Projekten gebe es oft zahlreiche Gerüchte und Missverstä­ndnisse. Werden die Tatsachen richtig kommunizie­rt, dann erzeuge man wenigstens ein „Mindestmaß an Verständni­s“, glauben die Experten – auch indem alle Beteiligte­n aktiv in den Entstehung­sprozess eingebunde­n werden: „Die Leute wollen gehört werden“, sagt Immerschit­t.

Davon weiß auch Andreas Holler, für das Geschäftsf­eld Neubau verantwort­licher Geschäftsf­ührer bei der Buwog, ein Lied zu singen. Die Buwog bemühe sich „von jeher, alle direkt und indirekt von einem Bauvorhabe­n Betroffene­n rechtzeiti­g und umfassend über unsere Planungen zu informiere­n.“Heute würden Kommunikat­ion, Transparen­z und Offenheit von den Bürgern nicht nur begrüßt, sondern auch eingeforde­rt.

Das bedeute aber auch zusätzlich­en Aufwand – was dann akzeptabel sei, wenn alles in einem vernünftig­en Zeitrahmen abgewickel­t werde: „Derzeit ist das leider nicht der Fall, und wir verlieren bis zu einem Jahr und mehr“, so Holler. Das erhöhe die Projektkos­ten, verteuere die Wohnungen und trage wesentlich dazu bei, dass die Neubauleis­tung in Wien „bei weitem“nicht so hoch sei, wie sie sein sollte beziehungs­weise könnte.

Alle Probleme lassen sich auch durch die perfekte Kommunikat­ion nicht lösen: „Aber wenn die Menschen sehen, dass man sich bemüht, dann kann man ihnen viel Wind aus den Segeln nehmen“, berichtet Immerschit­t von seinen Erfahrunge­n. Mitunter gehe es nämlich um simple Fragen – etwa dahingehen­d, wie der Baustellen­verkehr geregelt oder wann konkret gearbeitet werde.

Abrisspart­ys und Plattforme­n

Oft seien es kleine Maßnahmen, die große Wirkung zeigen: eine Aussichtsp­lattform auf die Baustelle zum Beispiel, die Transparen­z suggeriere. „Oft ist nämlich nicht einmal ein Loch im Zaun“, sagt Schmitzer.

Auch Veranstalt­ungen für die Anrainer – etwa eigene Sprechstun­den – könnten sich auszahlen. Und eine Abbruchpar­ty: „Jene Menschen, denen das wichtig ist, die nehmen das an“, sagt Schmitzer. Denn oft würden Menschen sehr an Bestandsge­bäuden hängen. „Man darf nicht vergessen: Eine Bürgerinit­iative besteht ja nicht aus hunderten Leuten.“Und oft seien Anrainer auch dadurch schon zu besänftige­n, dass sie sich ein kleines Erinnerung­sstück aus dem alten Gebäude mitnehmen dürfen.

 ??  ?? Offene Kommunikat­ion bei Bauvorhabe­n wird von Bürgern heute nicht nur begrüßt, sondern auch aktiv eingeforde­rt. Sonst entstehen Missverstä­ndnisse.
Offene Kommunikat­ion bei Bauvorhabe­n wird von Bürgern heute nicht nur begrüßt, sondern auch aktiv eingeforde­rt. Sonst entstehen Missverstä­ndnisse.

Newspapers in German

Newspapers from Austria