Schach, Rätsel und Sudoku
Rückblick voraus: Sergej Karjakin ist der nächste Gegner von Magnus Carlsen. Von ruf & ehn
Vor ewigen Zeiten, also vor 13 Jahren, berichtete der STANDARD von einem 13-jährigen Wunderkind aus der Ukraine mit einem Rating von 2575, das beim Wiener Open 2003 für Furore gesorgt hatte. Vorgestellt wurde der Knabe vom Turnierdirektor etwas vollmundig als „der kommende Weltmeister“, was Empörung und Proteste im Team des Hochgelobten auslöste. Man wollte den Schützling nicht auf diese Weise unter Druck gesetzt wissen.
Jahre sind vergangen, und der Mann hat irgendwie recht behalten. Vor zwei Wochen hat Sergej Karjakin das Kandidatenturnier von Moskau gewonnen, er wird im November in New York gegen Weltmeister Magnus Carlsen spielen. Der Norweger hätte sich wohl einen anderen Gegner gewünscht: am liebsten vielleicht den Amerikaner Hikaru Nakamura, dessen Stil brillant und taktisch aufregend ist, der aber zu den treuesten Kundschaften Carlsens zählt. Nakamura konnte noch keine einzige reguläre Turnierpartie gegen den Weltmeister gewinnen. Oder vielleicht nochmals Viswanathan Anand, der schon in zwei Duellen bewiesen hat, dass gegen den um 20 Jahre jüngeren Carlsen nichts auszurichten ist. Tja Wünsche, aber die helfen bekanntlich nicht immer.
Die Realität heißt Sergej Karjakin. Der 26-jährige Großmeister ist der wohl unangenehmste Gegner für Carlsen, und zwar aus vielerlei Gründen: Karjakin ist, wie seine Partien in Moskau bewiesen, äußerst nervenstark, was in WM-Duellen von entscheidender Bedeutung ist. Natürlich beherrscht der in der Ukraine geborene Karjakin, der seit 2009 für Russland spielt, alle Phasen der Partie perfekt. Sein Stil ist dem Carlsens durchaus ähnlich, wenngleich er seinen Positionen im frühen Mittelspiel mehr Dynamik verleiht.
Er hat nun mehr als ein halbes Jahr Zeit und geht nach seinem glänzenden Ergebnis beim Kandidatenturnier selbstbewusst in seine Vorbereitungen. Als Sekundanten bzw. Sparringpartner empfiehlt der erfahrene englische Großmeister und Mathematiker Jon Speelman Wladimir Kramnik oder, da Karjakin ja im November gegen ein wahres Endspielmonster antreten wird, Probepartien gegen einen sogenannten „Kentauren“: einen Großmeister, der im Endspiel auf Computerhilfe zurückgreifen kann. Sein Score gegen den Weltmeister ist fast ausgeglichen. Andererseits spricht für Carlsen, dass Karjakin noch keine Erfahrung in WM-Kämpfen hat und sich dem bekannten Schock, dem jeder Herausforderer in den ersten Partien ausgesetzt ist, nicht vollständig wird entziehen können. Angesichts seiner Erfahrung und der Differenz in der Elozahl von 72 Punkten ist Carlsen Favorit. Der Mathematiker Speelman errechnet die Gewinnchancen mit 59:41 für Carlsen. Man wird sehen. Doch sehen Sie die folgende Glanzpartie des damals zwölfjährigen Sergej Karjakin:
Karjakin – Malinin
Sudak 2002
1.e4 Sc6 2.d4 e5 3.Sf3 Mit
Zugumstellung in die Schottische Partie. 3… exd4
4.Sxd4 Dh4!? Dieser frühe Damenausfall ist eine Erfindung Wilhelm Steinitz’. Der Be4 wird erobert, doch Schwarz vernachlässigt seine Entwicklung sträflich.
5.Sc3 Lb4 6.Le2 Am besten. Weiß gibt den Bauern sofort und treibt seine Entwicklung voran. 6.Dd3 Sf6 7.Ld2 Sg4 bringt hingegen nur Probleme. 6… Sf6 Nimmt Schwarz sofort mit 6... Dxe4, käme 7.Sdb5 Lxc3+ 8.bxc3 Kd8 9.0–0 mit starker weißer Initiative. 7.0–0
Lxc3 Zerstört vor dem Bauerngewinn noch die weiße Bauernstruktur. Gleich 7... Sxe4 8.Sd5 Ld6 9.g3 Dd8 10.Lf3 Sc5 11.Te1+ Se6 12.Sf5 Le5 13.c3 gibt Weiß ausgezeichnetes Spiel.
8.Sf5! Ein bemerkenswerter Zwischenzug, der die Beurteilung des ganzen Abspiels veränderte. Bis dahin kannte man nur 8.bxc3 Sxd4 9.cxd4 Sxe4 10.La3 d5 11.Ld3 Le6 12.c4 0-0-0 13.Da4 Kb8 mit spannender gleichwertiger Stellung. 8...
Dxe4 9.Ld3 Dg4 Falls 9... De5, so hat Weiß nach der forcierten Abwicklung 10.Sxg7+ Kf8 11.Lh6! Sg8 12.Se6+ Ke8 13.Lg7 dxe6 14.Lxe5 Lxe5 15.Le4 Vorteil.
10.f3 Da4 11.bxc3 0–0? Ein plausibler Zug und doch, wie Karjakin nachweist, bereits der entscheidende Fehler. Einzig 11... Kf8! ist spielbar, wonach weiße Figurenopfer nur zum Unentschieden führen: 12.Sxg7!? Kxg7 13.Lh6+! Kxh6 14.Dd2+ Kg7 15.Dg5+ Kf8 16.Dh6+ Kg8 17.Dg5+ Kf8 usw. Auf die e-Linie darf sich der schwarze König wegen Tae1+ nicht wagen.
12.Sxg7!! Ein grandioses Opfer, das den König ins grelle Licht zwingt und das tief berechnet werden musste. 12… Kxg7 Ablehnung ist kaum möglich: 12... Se5 13.Dd2 Sxd3 14.Dg5 h6 15.Dxh6 mit baldigem Ende. 13.Lh6+! Das zweite Figurenopfer ergänzt das erste perfekt. 13…
Kxh6 Wieder muss Schwarz zugreifen. Auf 13... Kh8 folgt 14.Lxf8 und auf 13... Kg8 14.Dd2 Dh4 15.Lg5 Dh5 16.Lxf6 jeweils mit Gewinn. 14.Dd2+ Kh5 Auf 14... Kg7 kommt einfach 15.Dg5+ Kh8 16.Dxf6+ Kg8 17.Dg5+ Kh8 18.Dh6 nebst matt.
15.g4+! Das Tüpfelchen auf dem i! Jetzt muss Schwarz sogar mithelfen, die Stellung gegen seinen exponierten König weiter zu öffnen. 15… Sxg4 Oder 15... Kh4 16.Dh6+.
16.fxg4+ Dxg4+ 17.Kh1
d6 Es ist hoffnungslos. Auf 17... Se5 folgt 18.Tf6! und auf 17... Tg8 18.Le2.
18.Tf6! Gegen die Drohung Th6 matt ist Schwarz hilflos. 18… Dg5
19.Le2+ Lg4 20.Lxg4+ 10 wegen 20.Lxg4+ Kh4 (20... Kxg4 21.Tg1+ Kh3 22.Dxg5) 21.Df2+ Kxg4 22.Tg1+ Kh5 23.Txg5+ Kxg5 24.Df4+ Kh5 25.Th6 matt.