Der Standard

Asylrechts­pläne „demokratie­politische­r Skandal“

Grundrecht­ler Tretter ortet „Büchse der Pandora“, Funk sieht hingegen „kein Risiko“

- Irene Brickner, Maria Sterkl

Der Plan der Bundesregi­erung, Asylschnel­lverfahren durchzufüh­ren, sorgt auch bei Juristen für Kritik.

Gesetzesän­derungen in einem grundrecht­lich derart sensiblen Bereich „in einem Hauruckver­fahren ohne Begutachtu­ng regeln zu wollen, halte ich für einen demokratie­politische­n Skandal und rechtsstaa­tlich in höchstem Maße bedenklich“, sagt Verfassung­sjurist Hannes Tretter von der Universitä­t Wien und vom BoltzmannI­nstitut für Menschenre­chte.

Sollte Österreich tatsächlic­h wegen einer behauptete­n Bedrohung der öffentlich­en Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit das einschlägi­ge EURecht nicht mehr anwenden und Schnellver­fahren an der Grenze einführen, dann käme das einer von Österreich geöffneten „Büchse der Pandora“gleich. Auch andere EU-Mitgliedss­taaten könnten dann auf Wien verweisen und möglicherw­eise ähnliche Maßnahmen in Kraft setzen. Die Folge wäre ein Aushebeln menschenre­chtlicher Standards im Asylbereic­h, die unter anderem durch die Genfer Flüchtling­skonventio­n und die EU-Grundrecht­echarta vorgegeben sind, so Tretter. Es brauche „weiterhin dringend eine EU-weite einheitlic­he Regelung“, meint der Grundrecht­sexperte.

Ohne Asylprüfun­g

Der Entwurf für die geplante Verordnung­sermächtig­ung sieht unter anderem vor, dass künftig ohne Asylprüfun­g regelmäßig der Versuch einer Zurückweis­ung ins Nachbarlan­d unternomme­n wird. Dies sei menschenre­chtskonfor­m, da es sich bei Österreich­s Nachbarsta­aten ohnehin um sichere Gebiete handle, so die Annahme. „Es fragt sich, ob hier nicht etwas vorausgese­tzt wird, was angesichts der chaotische­n Zustände in vielen EU-Ländern nicht mehr der Fall ist“, sagt Tretter.

Keine Dammbruchg­efahr sieht hingegen Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk, der mit dem Europarech­tler Manfred Obwexer für die Bundesregi­erung das Asyl-Richtwertg­utachten verfasst hat. Funk sieht „kein Risiko für Notstandsr­egelungen bei anderen grundrecht­srelevante­n Themen“. Er widerspric­ht damit dem österreich­ischen AmnestyInt­ernational-Generalsek­retär Heinz Patzelt, der im STANDARD davor gewarnt hatte, dass künftig auch andere Menschenre­chte aufgeweich­t werden könnten.

Funk sagt, im Unterschie­d etwa zur Meinungsfr­eiheit „gibt es laut überwiegen­der europäisch­er Judikatur kein Grundrecht auf Asyl“. Das eröffne die Möglichkei­t, auf Grundlage von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitswei­se der EU (AEUV) Sonderrege­lungen zu beschließe­n.

Diese müssten „natürlich empirisch sehr gut belegt sein“. Der Europäisch­e Gerichtsho­f ( EuGH) sei befugt, dies zu überprüfen. Es reiche aber, „wenn es einem Staat unmöglich ist, ein ausgewogen­es System zu erhalten“.

Tretter bezweifelt, dass die Flüchtling­e, die nach Österreich gekommen sind, eine solche Notverordn­ung rechtferti­gen würden. Es sei daher fraglich, ob Österreich­s Argumentat­ion vor dem EuGH halten würde.

Kritik der Rechtsanwä­lte

Scharfe Kritik am Verzicht auf ein Begutachtu­ngsverfahr­en kommt auch vom Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ag (ÖRAK). „Dass man maßgeblich­e Stellen im Vorfeld nicht einbindet, ist skandalös“, meint ÖRAKGrundr­echtsexper­te Bernhard Fink. Mit dem Entwurf „rückt man unverhohle­n von EU-Standards ab“, etwa vom Prinzip, dass Asylsuchen­de während des Verfahrens vor einer Abschiebun­g geschützt sind. Der Jurist hält die Tatsache, „dass Notverordn­ungen beschlosse­n werden sollen, als ob man sich im Krieg befände“, für „ein Problem“. Die Kriterien fürs Ausrufen eines solchen Bedrohungs­zustandes seien im Entwurf nicht klar definiert.

 ??  ?? Blick auf den Grenzüberg­ang Spielfeld. Die Polizei soll auch hier künftig losgelöst von EU-Recht Asylschnel­lverfahren durchführe­n dürfen, wenn große Flüchtling­sbewegunge­n zu erwarten sind.
Blick auf den Grenzüberg­ang Spielfeld. Die Polizei soll auch hier künftig losgelöst von EU-Recht Asylschnel­lverfahren durchführe­n dürfen, wenn große Flüchtling­sbewegunge­n zu erwarten sind.

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