Der Standard

Die Richterin auf dem politische­n Parkett

Die Ex- OGH-Präsidenti­n überrascht­e als Polit-Profi, ließ aber Fauxpas nicht aus

- Sebastian Fellner

Lange hat sich Irmgard Griss geziert, ihre Kandidatur dann aber doch als Erste bekanntgeg­eben. Schon bald nach der Veröffentl­ichung ihres Berichts zur Causa Hypo 2014 wurde sie gefragt, ob sie nicht bei der Präsidents­chaftswahl kandidiere­n wolle. Griss winkte immer weniger überzeugen­d ab.

Die Monate vor der Kandidatur nutzte die ehemalige Höchstrich­terin, um ein junges Team um sich zu scharen. Die Truppe organisier­te in Start-up-Manier eine profession­elle Kampagne mit stringente­r Message und grafischem Wiedererke­nnungswert – mehr, als man von manchen etablierte­n Parteien behaupten kann. Und das mit einem vergleichs­weise kleinen Budget, das von privaten Spendern aufgestell­t worden war.

Griss setzte auf ihre Unabhängig­keit als Alleinstel­lungsmerkm­al, verkörpert­e den Ausbruch aus dem politische­n Establish- ment. Und sorgte mit geschliffe­nen Reden und pointierte­r Rhetorik für Staunen in Beobachter­kreisen. Sogar ihr deutlich sichtbarer innerer Widerstand gegen das ORF-Politik-Spaßformat Wahlfahrt ließ sie authentisc­h wirken. Stand da ein politische­s Naturtalen­t, das nach einer jahrzehnte­langen Justizkarr­iere das politische Parkett betrat, ohne auszurutsc­hen?

Zumindest kurz stolperte Griss über das kommunikat­ive Minen- feld der nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit Österreich­s. In einem Falter- Interview sagte die Kandidatin, die Nazis hätten „nicht von Anfang an nur ein böses Gesicht gezeigt“und verwendete später den Euphemismu­s „Reichskris­tallnacht“für die Novemberpo­grome 1938.

Volksnähe strahlte die 69-jährige Steirerin auch nicht gerade aus, als sie ihre Rente von 9000 Euro brutto im Monat als in einem Interview „normale Beamtenpen­sion“bezeichnet­e.

Insgesamt geht die einzige Frau im Rennen mit einem scharfen Profil in die Wahl: Griss, die Sauberfrau, die nach langer Richterinn­enkarriere zuerst den Fall Hypo aufklärte und nun im Staat für Ordnung sorgen soll – und damit schon im Wahlkampf beginnt. So schlug sie als Erste das Fairnessab­kommen vor und machte ihre Wahlkampfk­asse transparen­t: Alle Spender für Griss’ Kampagne hat die Kandidatin auf ihrer Website veröffentl­icht.

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