Die Richterin auf dem politischen Parkett
Die Ex- OGH-Präsidentin überraschte als Polit-Profi, ließ aber Fauxpas nicht aus
Lange hat sich Irmgard Griss geziert, ihre Kandidatur dann aber doch als Erste bekanntgegeben. Schon bald nach der Veröffentlichung ihres Berichts zur Causa Hypo 2014 wurde sie gefragt, ob sie nicht bei der Präsidentschaftswahl kandidieren wolle. Griss winkte immer weniger überzeugend ab.
Die Monate vor der Kandidatur nutzte die ehemalige Höchstrichterin, um ein junges Team um sich zu scharen. Die Truppe organisierte in Start-up-Manier eine professionelle Kampagne mit stringenter Message und grafischem Wiedererkennungswert – mehr, als man von manchen etablierten Parteien behaupten kann. Und das mit einem vergleichsweise kleinen Budget, das von privaten Spendern aufgestellt worden war.
Griss setzte auf ihre Unabhängigkeit als Alleinstellungsmerkmal, verkörperte den Ausbruch aus dem politischen Establish- ment. Und sorgte mit geschliffenen Reden und pointierter Rhetorik für Staunen in Beobachterkreisen. Sogar ihr deutlich sichtbarer innerer Widerstand gegen das ORF-Politik-Spaßformat Wahlfahrt ließ sie authentisch wirken. Stand da ein politisches Naturtalent, das nach einer jahrzehntelangen Justizkarriere das politische Parkett betrat, ohne auszurutschen?
Zumindest kurz stolperte Griss über das kommunikative Minen- feld der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs. In einem Falter- Interview sagte die Kandidatin, die Nazis hätten „nicht von Anfang an nur ein böses Gesicht gezeigt“und verwendete später den Euphemismus „Reichskristallnacht“für die Novemberpogrome 1938.
Volksnähe strahlte die 69-jährige Steirerin auch nicht gerade aus, als sie ihre Rente von 9000 Euro brutto im Monat als in einem Interview „normale Beamtenpension“bezeichnete.
Insgesamt geht die einzige Frau im Rennen mit einem scharfen Profil in die Wahl: Griss, die Sauberfrau, die nach langer Richterinnenkarriere zuerst den Fall Hypo aufklärte und nun im Staat für Ordnung sorgen soll – und damit schon im Wahlkampf beginnt. So schlug sie als Erste das Fairnessabkommen vor und machte ihre Wahlkampfkasse transparent: Alle Spender für Griss’ Kampagne hat die Kandidatin auf ihrer Website veröffentlicht.