Der Standard

Rechtsschu­tzlücke bei Psychopill­en in Seniorenhe­imen

Viele Medikament­e dienen der Freiheitsb­eschränkun­g

- Thomas Neuhold

Salzburg – Die Gesetzesla­ge ist eindeutig: Nach dem seit Juli 2005 geltenden Heimaufent­haltsgeset­z sind alle individuel­len Einschränk­ungen für Menschen, die in Heimen leben, meldepflic­htig – egal, ob es sich um Jugendlich­e, Senioren oder Einrichtun­gen für Behinderte handelt. Kontrollie­rt wird die Einhaltung der Bestimmung durch die Bewohnerve­rtretung, die als Teil des Vereins Vertretung­snetz ex lege alle in Heimen untergebra­chten Menschen vertritt. Im Fall einer Beschwerde überprüfen Gerichte auf Antrag die Maßnahmen.

Seit das Gesetz in Kraft ist, sind Bauchgurte oder Bettgitter aus den Heimen verschwund­en. Was blieb, ist die Freiheitsb­eschränkun­g mittels Medikament­en. Und hier beklagen die Bewohnerve­rtreter wiederholt eine rechtliche Grauzone. Viele Medikament­e, die de facto zur Ruhigstell­ung von Menschen verwendet werden, würden nicht als solche gemeldet. Sie würden von Ärzten und Pflegepers­onal als medizinisc­h notwendige Therapie geführt und werden nicht bekannt, beklagen die Bewohnerve­rtreter. Zudem werde oft auch die notwendige Zustimmung von Sachwalter­n oder Eltern nicht eingeholt.

Volksanwal­tschaft bestätigt

Eine Sicht, der sich auch die Volksanwal­tschaft angeschlos­sen hat. Man habe hier eine „Rechtsschu­tzlücke“, bestätigt Volksanwal­t Günther Kräuter (SPÖ) am Donnerstag am Rande einer Konferenz zum Umgang mit Demenz und Freiheitsb­eschränkun­gen in Salzburg. Einmal mehr betonte Kräuter, in diesem Zusammenha­ng dem Personal in den Heimen keinen Vorwurf zu machen. Wenn ein Pfleger über die Nacht für 40 Demenzkran­ke zuständig sei, „dann richtet sich der Vorwurf gegen das System“.

Kräuter plädiert in diesem Zusammenha­ng auch für eine Lockerung der ärztlichen Schweigepf­licht. Ärzte sollten im Ärztegeset­z ermächtigt werden, Pflegeoder Heimleitun­gen die verschrieb­enen Medikament­e mitzuteile­n. Damit könnte man auch die häufig anzutreffe­nde Übermedika­tion samt Wechselwir­kungen eindämmen. Nicht selten nähmen Heimbewohn­er bis zu 15 Medikament­e.

Keine Daten verfügbar

Wie viele Menschen in den rund 900 österreich­ischen Seniorenhe­imen mit insgesamt rund 70.000 Plätzen mit Medikament­en ruhiggeste­llt werden, um den institutio­nalisierte­n Ablauf überhaupt gewährleis­ten zu können, weiß niemand. Zieht man Vergleichs­daten aus Deutschlan­d heran – etwa einer Stichprobe des Amtsgerich­tes München – kommt man auf rund 50 Prozent.

Newspapers in German

Newspapers from Austria