Harte Kerne aus Leoben für „IT- Sorbet“aus China
Die IT-Schmiede AT&S, die seit 15 Jahren in China Leiterplatten baut, stellt neuerdings auch sensible Verbindungsstücke zwischen Leiterplatte und Chip her. Dabei ist man dem Ruf Pekings gefolgt: „Go West!“
Sie sind klein und hart, reisen weder Economy-Class noch Business, sollten aber dennoch, tief im Bauch des Flugzeugs gestapelt, pfleglich behandelt werden. Sonst könnten sie Schaden nehmen, die Leiterplattenkerne aus Leoben. Das ginge empfindlich ins Geld.
Um den Transfer der Rohlinge, im Fachchinesisch „Cores“genannt, an den Bestimmungsort kümmern sich Personen, die ein ausgefeiltes Logistiksystem am Laufen halten – Tag für Tag, Woche für Woche, rund um die Uhr. Lieferadresse der in Harz getränkten Stoffgewebe, die in der Technologieschmiede AT&S in Leoben-Hinterberg als Vorstufe zur Leiterplatte hergestellt werden, ist neuerdings immer öfter eine Straße in Lingjiang, einem Stadtentwicklungsgebiet von Chongqing.
Die am Jangtse-Fluss gelegene Metropole (siehe Grafik), flächenmäßig die größte Stadt der Welt, soll zu einem mit Schanghai vergleichbaren Schwungrad in Zentral- und Westchina werden. Während die Megacity an der Ostküste Chinas seit Jahren unglaublich pulsiert und das halbe Land auf Trab hält, sind die weiter westlich gelegenen Regionen noch vergleichsweise wenig entwickelt.
Die Leiterplattenkerne sind nicht das einzig Steirische und nicht das einzig Österreichische in Chinas Mitte, auch wenn es – zugegeben – dort noch wenig „Made in Austria“gibt. Knapp zwei Dutzend Ingenieure und Leiterplattenspezialisten mit österreichischem Pass arbeiten für AT&S in Chongqing. Sie helfen mit, die technischen Probleme in der Anlaufphase des eben eröffneten Werks möglichst gering zu halten.
Erstmals wird auf chinesischem Boden ein Produkt produziert, das für Server und PCs mit hoher Rechenleistung erforderlich ist. Es handelt sich dabei um sogenann- te IC-Substrate, eine Art Adapter, die den Chip mit der Leiterplatte verbinden. Man könnte auch von einer Art „Sorbet für die IT-Industrie“sprechen. Ob Flugzeug, Auto oder Mobiltelefon, Smartphone, Tablet oder Herzschrittmacher der neuesten Generation: Nichts geht mehr ohne Chips und integrierte Schaltkreise. Ohne Vorprodukt, die „Cores“, geht es aber auch nicht.
Die Produktionshallen im neuen AT&S-Werk gleichen einem OP-Saal. Wer hinein will, muss in einen Reinraumanzug schlüpfen. Kleinste Staubpartikel würden genügen, um aus IC-Substrat Aus- schussware zu machen. AT&S hat dieses Hochleistungsprodukt mit und für den US-Konzern Intel entwickelt. Nur fünf weitere Hersteller beherrschten diese Technologie, sagt AT&S-Chef Andreas Gerstenmayer. Diese stammten aus Japan, Taiwan und Korea. Bis ein Mitbewerber in China Ähnliches produzieren könne wie AT&S, vergingen im Minimum zwei bis drei Jahre.
Mit 480 Millionen Euro ist die Investition der Steirer in den neuen Werkskomplex eine der größten Einzelinvestitionen eines österreichischen Unternehmens in China und die erste im Westen des Landes überhaupt. „Wir müssen dorthin, wo die Musik spielt“, sagte Aufsichtsratspräsident Hannes Androsch bei der Eröffnung des Werks im Beisein von Bürgermeister Huang Qifan. Und die wird, geht es nach der Regierung in Peking, immer mehr im Westen des riesigen Landes spielen.
„Wir konnten die Arbeitsplätze in Österreich nur halten, weil wir rechtzeitig nach Asien gegangen sind“, sagte Androsch. „Die Werke in Leoben-Hinterberg und Fehring sind sicher, solange beide positiv sind“, assistierte Gerstenmayer. Kleinserien werden in Österreich produziert, auch Neuentwicklungen werden im Stammwerk designt. Volumenprodukte hingegen werden längst in Indien, Korea und Schanghai hergestellt.
Mehr Elektroautos
In Chongqing werde man erst mit Anlaufen der vierten Linie profitabel sein, was einige Zeit dauern könne. Ende 2016 soll plangemäß die zweite Linie hochgefahren werden. Zwei weitere Linien, auf denen substratähnliche Leiterplatten produziert werden sollen, sind noch im Aufbau.
Bürgermeister Huang Qifan sieht im AT&S-Werk einen „wichtigen Pfeiler im IT-Sektor von Chongqing“. Dem Nachfolger des über eine Korruptionsaffäre gestürzten und inhaftierten früheren Bürgermeisters Bo Xilai werden höhere Weihen in Peking vorhergesagt. Noch aber hält er in der 33-Millionen-EinwohnerStadt die Zügel fest in der Hand. Bei der Eröffnungsfeier des AT&SWerks wollte er nicht fehlen, ist Androsch doch einer von 35 Mitgliedern im Beratergremium der Stadt, dem sonst nur Chefs der Fortune 500 angehören. Die Hälfte der 500 weltgrößten Unternehmen produziert in Chongqing.
Die Eröffnungsfeier von AT&S musste kurzfristig in ein Innenstadthotel verlegt werden – das starke Verkehrsaufkommen und der eng getaktete Terminplan von Bürgermeister Qifan ließen anderes nicht zu. Der Verkehr soll, wenn schon nicht weniger, zumindest weniger umweltschädlich werden. Eines der strategischen Ziele der Stadtverwaltung von Chongqing heißt Elektromobilität. Auch in Elektroautos stecken jede Menge Leiterplatten und Chips. Die Reise erfolgte auf Einladung von AT&S.