„Tatsache ist doch, dass jeder austauschbar ist“
In seinem Filmdrama „Die Kommune“erzählt Thomas Vinterberg von einem heiklen sozialen Experiment. Der dänische Regisseur über private und berufliche Untreue sowie über die Vergänglichkeit der Liebe.
INTERVIEW: Ein eher bürgerliches Ehepaar entscheidet sich in den 1970erJahren für ein soziales Experiment. Die viel zu große, geerbte Villa soll zur Kommune werden. Gemeinsam mit seiner Frau Anna (Trine Dyrholm) castet Architekt Erik (Ulrich Thomsen) eine bunte Gemeinschaft und lebt hinkünftig die Toleranz. Der basisdemokratische Alltag richtet sich weniger gegen bourgeoise Werte, das Paar tritt insgeheim gegen die gemeinsame Langeweile an. Doch das Experiment erweist sich als heikel: Statt die Verfallserscheinungen der Zweierbeziehung zu vertreiben, treten sie nur noch deutlicher hervor.
Regisseur Thomas Vinterberg hat sein Stück Die Kommune bereits 2011 am Wiener Akademietheater inszeniert. Den nunmehr nachgereichten Film hat der Däne, der selbst in einer Kommune aufwuchs, mit Stammschauspielern realisiert. Trine Dyrholm erhielt für ihre Darstellung einer in die Enge getriebenen Ehefrau den Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale.
STANDARD: Sie wechseln zwischen dänischen und internationalen Filmen. Was macht den Unterschied eines Projekts wie „Die Kommune“aus? Vinterberg: Wenn ich einen dänischen Film mache, erzähle ich Geschichten, die meine eigenen sind – und das macht sie für mich wertvoll. Es erhöht den künstlerischen Druck. Auswärts zu arbeiten ist eine viel gemeinschaftlichere Arbeit. In dänischen Filmen bin ich der König, in US-Filmen nur das Mitglied eines Gremiums. Letzteres verschafft mir durchaus Erleichterung. Ich hab nicht einmal das Recht auf den Final Cut.
STANDARD: Das ist Ihnen egal? Vinterberg: Es ist angenehm. Weil es die Verantwortung einer Gruppe von Leuten in die Hände legt. Mit gefällt der Respekt zwischen Leuten, die sich nicht kennen. Wenn man aus verschiedenen Ländern kommt, strengen sich die Menschen mehr an. Es ist so, als würde man eine neue Frau kennenlernen, anstatt zu seiner Partnerin zurückzugehen.
STANDARD: Beides zu kombinieren ist nicht ganz einfach ... Vinterberg: Nicht innerhalb einer Karriere – da akzeptiert man das! Im Berufsleben darf man untreu sein.
STANDARD: Weil Sie von gemeinsamen Anstrengungen gesprochen haben: Davon erzählt auch „Die Kommune“. Und die trägt auch Züge einer Monarchie. Vinterberg: Unbedingt. Erik versucht eigentlich zu vermeiden, ein König zu werden, ein Patriarch wie sein Vater, wie es lange das traditionelle Familienkonzept war. Er fällt jedoch recht schnell darauf zurück, seine Macht zu demonstrieren, weil die Demokratie gegen seinen Willen eingesetzt wird. Und weil er die Großzügigkeit verliert. Obwohl ich ihn ja recht großzügig finde.
STANDARD: Er bemüht sich zumindest. Vinterberg: Interessanterweise weckt er bei Frauen aggressive Reaktionen. Ich kann das auch verstehen, umgekehrt muss ich ihn verteidigen. Immerhin stimmt er dem Urteil zu, dass er eine sozial unausgereifte Person ist.
STANDARD: Sie sprechen jetzt von Publikumsreaktionen? Vinterberg: Ja, genau. Seine Frau schenkt ihm keine Aufmerksamkeit mehr, also wendet sich Erik einer Frau zu, die das tut. Das ist verständlich. Sie ist jung und hübsch. Er will mehr Zeit für sich haben, um zu arbeiten und zu schlafen – das sind Bedürfnisse, die als provokant empfunden werden.
STANDARD: Sie schneiden in Ihren Filmen überhaupt gerne Verhaltensweisen an, in denen das liberale Grundverständnis an Grenzen stößt. Warum? Vinterberg: Ich versuche über den „Elefanten im Zimmer“zu sprechen, über das Offensichtliche, das man gerne ausblendet. Tatsache ist doch, dass jeder austauschbar ist. Und dass wir alle sterben werden. Die Vergänglichkeit ist das eigentliche Thema dieses Films. Die 70er-Jahre, das Zeitalter des Gebens und Teilens, wurde durch etwas ganz anderes ersetzt. Das Leben verlässt den Körper eines Kindes – das ist in meiner Kommune tatsächlich passiert. Die Liebe verflüchtigt sich. Oder noch konfrontativer: Die Haut verändert sich. Den Unterschied sieht man in den Gesichtern der beiden Frauen.
STANDARD: Wie schwierig war es, diesen herausfordernden Part mit Trine Dyrholm zu realisieren? Vinterberg: Wir kennen uns sehr lange. Daher vertraute sie mir, obwohl das Drehbuch am Anfang Schwächen hatte. Ihre Figur hatte Schwächen. Sie war zu eindeutig das Opfer. Jetzt ist sie ein starkes, mutiges und kämpfendes Opfer. Wir haben diese Darstellung Schritt für Schritt erweitert, indem wir unsere Gedanken, uns selbst eingebracht haben. STANDARD: Im Film hat man den Eindruck, dass Sie sich mit der Tochter identifizieren, die alles ein wenig aus Distanz mitverfolgt. Vinterberg: Es lag viel Verantwortung auf den Schultern der Kinder, denn wir wurden wie Erwachsene behandelt. Ein sehr respektabler Bestandteil dieses Experiments war es ja, Kindern mehr Raum zu gewähren – vielleicht sogar zu viel. Aber ich habe mich wie Erik auch scheiden lassen und eine jüngere Frau geheiratet, die, nebenbei bemerkt, die Darstellerin der jüngeren Frau im Film ist. Ich habe also mehrere Rollen in diesem Film.
STANDARD: Ziemlich befrachtet ... Vinterberg: Nun, es ist ja nicht nur privat. Als Wiener wissen Sie, dass das Stück auf Matthias Hart- manns Wunsch entstanden ist. Joachim Meyerhoff, der damals mitwirkte, und noch andere Jungs machten gerade dieselbe Erfahrung durch wie ich. Wir hatten alle eine jüngere Frau. Das war brutal und zynisch, zugleich ist es Teil unseres gesellschaftlichen Miteinanders.
STANDARD: Was ändert sich, wenn man dies in die Vergangenheit projiziert? Die Individualisierung ist weiter vorangeschritten. Vinterberg: Ich war von diesem Yuppietum der Verhältnisse fasziniert. Aber das ging mit einem gewissen Zynismus einher, mit einem Mangel an Kameraderie. Ich wurde so erzogen, dass Kontinuität wichtig ist. Daher war es mit einem immensen Gefühl von Scheitern verbunden, durch eine Scheidung zu gehen. Der Film ist in gewisser Hinsicht eine Beichte.
STANDARD: Welchen Effekt hatte es auf Sie, sich damit noch einmal zu befassen? Eine Art Exorzismus? Vinterberg: Der heilende Teil war der Exorzismus meiner Schuld. Doch die Grausamkeit der Liebe liegt darin, dass sie aufhört. Das meine ich mit Zumutung. Wenn man sich nicht um sie kümmert – was Menschen normalerweise eben tun –, dann geht sie verloren. Doch es blieb auch Wehmut zurück: Ich habe die Kommune geliebt und wollte wahrhaftig von ihrer Wirkung erzählen. Vielleicht war ich kein guter Geschäftsmann, weil die Menschen nun sagen, sie hätten nicht so leben wollen. Doch zur ihrer Verteidigung muss man auch das sehen: Alle haben alles überlebt, sogar den Tod eines Kindes, weil sie in einer Gemeinschaft waren. Jetzt im Kino
THOMAS VINTERBERG, geb. 1969 in Frederiksberg, Dänemark, war Mitbegründer von Dogma 95 und erlangte mit „Das Fest“(1998) Bekanntheit. Er inszenierte das Drama „Die Jagd“(2012) über einen erfundenen Kindesmissbrauch und die Thomas-Hardy-Verfilmung „Am grünen Rand der Welt“(2015).