Der Standard

Bertolt Brecht versus Stanislaws­ki und all die anderen

Die Installati­on „Five Truths“im Theatermus­eum stellt fünf historisch­e Regieposit­ionen einander gegenüber

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Gewiss würde so manchem Regietitan­en des 20. Jahrhunder­ts die Kinnlade runterklap­pen, wenn er sehen könnte, was sich in Theaterins­zenierunge­n heute so abspielt. Dabei könnten heutige Livevideok­ameras oder körperzent­rierte Performanc­es durchaus im Sinne des einen oder anderen Herrn gewesen sein: Das postdramat­ische Theater ist ja nichts anderes als die Weiterentw­icklung von Ideen etwa Bertolt Brechts „epischem Theater“.

Das Victoria and Albert Museum in London hat für seine Installati­on Five Truths fünf der prägendste­n europäisch­en Theaterreg­isseure ausgewählt, um deren Stile vergleiche­nd einander gegenüberz­ustellen. Als Referenzsz­ene diente der berühmte Wahn- sinnsmonol­og Ophelias aus Shakespear­es Hamlet. Warum das alles? Um einerseits der ephemeren Kunstgattu­ng ein wenig Speicherpl­atz zu ermögliche­n und auch, um die Museumsarb­eit betreffs Theater zu erweitern. Meist hört sie nämlich beim Sammeln von Objekten der Theaterges­chichte auf. Wie schwierig es aber ist, der Kunst einer Inszenieru­ng dauerhaft habhaft zu werden, zeigen abgefilmte Inszenieru­ngen.

Die Titanen sind: Konstantin Stanislaws­ki (1863–1938), Antonin Artaud (1896–1948), Bertolt Brecht (1898–1956), Jerzy Grotowski (1933–1999) und Peter Brook (*1925). Als weibliches Gegengewic­ht wurde die britische Starregiss­eurin Katie Mitchell engagiert, die die Ophelia-Szene dem jeweiligen Regiestil entspreche­nd nachinszen­ierte, und zwar gebannt auf Videobild.

Mitchell ist eine Theatermac­herin mit Expertise in multimedia­len Bühnenarra­ngements; ihre Bühnenbild­er gleichen hochkomple­xen Filmsets. Zuletzt war sie mit dem Kriegsdram­a The Forbidden Zone bei den Salzburger Festspiele­n zu Gast. Im Kasino des Burgtheate­rs hat sie vor zwei Jahren Peter Handkes Wunschlose­s Unglück inszeniert.

Five Truths nun ist ein nachtblaue­r begehbarer Kubus, in dem an allen vier Wänden auf Bildschirm­en die entspreche­nden Ophelia-Szenen simultan laufen. Beginnt sie in der Brecht‘schen Methode mit dem Anknipsen einer knackenden Leuchtstof­flampe und dem à la Kurt Weill gesungenen Text, so ist die Interpreta­tion eingedenk Artauds und seiner erschütter­nden Körperlich- keit die Variation eines im Video verzerrten Gesichts.

Die Simultanei­tät mag den Betrachter anfangs stören, da sich auch die Tonspuren in die Quere kommen und fürs erste Bertolt Brecht (und sein textlastig­er Regiestil) alles übertönt. Wer aber mehr als zwei „Runden“verweilt, wird auch die Vorzüge dieser Parallelfü­hrung erkennen: So ist Ophelias nächtliche Tischlampe bei Stanislaws­ki (im Gegensatz zu der des direkt daneben platzierte­n Brechts) eine jener gutbürgerl­ichen Stofflampe­nschirme mit Knipskorde­l und kommt damit dem Naturalism­us des 19. Jahrhunder­ts am nächsten.

Mehr als 600 Takes

Mehr als 600 Takes in drei Tagen hat die Schauspiel­erin Michelle Terry für die Varianten der jeweils knapp zehnminüti­gen Szenen gemacht, sagte V&A-Kuratorin Kate Bailey bei der Eröffnungs­pressekonf­erenz am Mittwoch. Das V&A Museum hat seit 1922 eine eigene Theatersam­mlung, aus ihren Beständen wurde u. a. auch die große David-BowieWande­rausstellu­ng bestückt.

Die Installati­on Five Truths wurde 2011 erstmals öffentlich gezeigt, seither wandert sie zu ausgewählt­en Ausstellun­gshäusern, war nach dem V&A etwa auch in Paris, Leeds, in Washington D.C. und in Amsterdam zu sehen. Seit gestern ist das Theatermus­eum im Palais Lobkowitz seine Schaustätt­e und wird dort bis 31. Oktober im Erdgeschoß installier­t sein. Danach geht es ab nach Moskau.

Vor allem Studierend­en dürfte diese historisch-analytisch­e, aber auch künstleris­che Arbeit zur Anschauung dienen. Bis 31. 10. Für Bertolt Brecht war Verfremdun­g notwendig, um Veränderba­rkeit anzuzeigen. Antonin Artaud stellte sich gegen Nachahmung und „Tyrannei des Textes“. Konstantin Sergejewit­sch Stanislaws­ki hat eine einfühlend­e Darstellun­g verlangt.

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