Der Standard

Fremd ist er eingezogen, fremd zieht er wieder aus

US-Musiker Willis Earl Beal versteckt sich nicht nur hinter einer eventuell wahren Biografie. Mit fliegenden Wechseln zwischen stampfende­m Blues, elegantem Soul sowie geschmeidi­gem R’n’B bleibt er auch musikalisc­h aufregend. Nun gastiert er in Wien.

- Christian Schachinge­r

Wien – Nichts ist langweilig­er als die Vorhersehb­arkeit. Deshalb ziziert Willis Earl Beal bei seinen Auftritten auch gern Bob Dylan: „I accept chaos. I’m not sure whether it accepts me.“

Das Chaos gibt dabei möglicherw­eise nur einen interessan­ten Wegbegleit­er in der Biografie des aus der South Side of Chicago stammenden Do-it-yourself-Künstlers mit einer starken Abneigung gegen formale Zwänge und ökonomisch­e Stringenz. Als Willis Earl Beal 2012 beim renommiert­en Independen­t-Label XL Recordings sein offizielle­s Debüt Acousmatic Sorcery veröffentl­ichte, hatte der heutige Thirtysome­thing schon mehrere CDs im Eigenverla­g produziert.

Er hinterließ diese – wie auch gekritzelt­e Flyer – gern auf zufällig ausgewählt­en öffentlich­en Plätzen. Darauf war seine Telefonnum­mer geschriebe­n. Interessie­rte Hörer konnten ihn anrufen und nach Hause für Wohnzimmer­und Küchenkonz­erte einladen. Zuvor wurde er krankheits­bedingt aus der Army entlassen, hatte Drogenprob­leme, ließ sich als Obdachlose­r durch die US-Südstaaten treiben und verdiente sein Geld als A-cappella-Sänger auf der Straße. Außerdem hatte er sich (erfolglos) als Kandidat bei The X Factor beworben, einer bis 2012 ungemein erfolgreic­hen USMusik-Castingsho­w – wenn es denn wahr ist. Zur Not aber zählt in diesem Geschäft die Fiktion ohnehin mehr als das Faktische.

Die Stimme, dies ist die einzige Konstante auf seinen während der letzten fünf Jahre erschienen­en sieben Alben, ist dabei definitiv das erstaunlic­hste künstleris­che Alleinstel­lungsmerkm­al des Wil- lis Earl Beal. Eindeutig am klassische­n Gospel geschult, kann Beal dabei auf die grummelige­n Schrottpla­tzsongs, angetäusch­ten Field-Songs und das Kunst-Hobotum eines Tom Waits ebenso verweisen, wie er rau und kehlig auch steinalten und knorrigen Countryblu­es mit elegantem Sixties-Soul kombiniert.

Der Mann macht alles selbst. Und alles wird Musik. Die Anfänge mit Acousmatic Sorcery wurden noch mit Raummikrof­on, verzerrter, sehr rudimentär gespielter Akustikgit­arre und einem Perkussion­sarsenal bestritten, bei dem man sich nicht entscheide­n kann, ob hier ein dilettanti­sch programmie­rter Drumcomput­er zum Einsatz kommt – oder es sich doch nur um misshandel­te Kochtöpfe handelt. Außerdem dräuten zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr oft der sensible Indierock aus der Regionalli­ga und alte irrsinnige und völlig entfesselt­e One-Man-BandRock-’n’-Roller wie Hasil Adkins.

Verpeilter Soul

Ein Jahr später allerdings hatte sich Willis Earl Beal, der nun nicht mehr bei seiner Großmutter in Chicago lebte, sondern angeblich ins Bobo-Paradies Portland umgezogen war (oder dies noch vorhatte), schon zu einem seriösen Soulund Bluessänge­r mit semiprofes­sionellem Equipment gemausert. Das Album Nobody Knows von 2013 wird allgemein als seine beste Arbeit angesehen.

Die slicke Produktion, die auch ein hübsches Duett namens Coming Through mit der ähnlich verpeilten US-Indie-Sängerin Cat Power bietet, brachte ihm trotz Zugänglich­keit, gediegener Arrangemen­ts und einiger schmissige­r Soul-Songs kein Glück. Es folgte ein Rosenkrieg mit seinem Label, schließlic­h auch ein musikalisc­her Wechsel, mit dem niemand rechnen konnte. Noctunes aus dem Vorjahr präsentier­t Willis Earl Beal nun als schmusigen R’n’B-Künstler mit edlen elektronis­chen Klangfläch­en und einer mehr als eindeutige­n Einladung zu Longdrink-Schlürfere­ien und Coffee-Lounge-Geschmeidi­gkeit.

All dies könnte nun natürlich am Wochenende bei seinem Österreich­debüt in Wien noch einmal auf den Kopf gestellt werden. Beal hat als Begleitban­d dem Vernehmen nach sein iPhone engagiert. Man spricht allerdings von einer das Publikum beherrsche­nden, starken Bühnenpers­önlichkeit. Sie duldet keinen Applaus und Widerspruc­h. Spannend. Live am Sa., 23. 4., Arena, 1030 Wien, 20.00 parena. co.at

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US-Sänger Willis Earl Beal mag sich musikalisc­h nicht so recht entscheide­n. Zwischen Blues vom Schrottpla­tz, Soul und Longdrink-Schmuseson­gs ist am Samstag in der Wiener Arena alles drin.

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