Fremd ist er eingezogen, fremd zieht er wieder aus
US-Musiker Willis Earl Beal versteckt sich nicht nur hinter einer eventuell wahren Biografie. Mit fliegenden Wechseln zwischen stampfendem Blues, elegantem Soul sowie geschmeidigem R’n’B bleibt er auch musikalisch aufregend. Nun gastiert er in Wien.
Wien – Nichts ist langweiliger als die Vorhersehbarkeit. Deshalb ziziert Willis Earl Beal bei seinen Auftritten auch gern Bob Dylan: „I accept chaos. I’m not sure whether it accepts me.“
Das Chaos gibt dabei möglicherweise nur einen interessanten Wegbegleiter in der Biografie des aus der South Side of Chicago stammenden Do-it-yourself-Künstlers mit einer starken Abneigung gegen formale Zwänge und ökonomische Stringenz. Als Willis Earl Beal 2012 beim renommierten Independent-Label XL Recordings sein offizielles Debüt Acousmatic Sorcery veröffentlichte, hatte der heutige Thirtysomething schon mehrere CDs im Eigenverlag produziert.
Er hinterließ diese – wie auch gekritzelte Flyer – gern auf zufällig ausgewählten öffentlichen Plätzen. Darauf war seine Telefonnummer geschrieben. Interessierte Hörer konnten ihn anrufen und nach Hause für Wohnzimmerund Küchenkonzerte einladen. Zuvor wurde er krankheitsbedingt aus der Army entlassen, hatte Drogenprobleme, ließ sich als Obdachloser durch die US-Südstaaten treiben und verdiente sein Geld als A-cappella-Sänger auf der Straße. Außerdem hatte er sich (erfolglos) als Kandidat bei The X Factor beworben, einer bis 2012 ungemein erfolgreichen USMusik-Castingshow – wenn es denn wahr ist. Zur Not aber zählt in diesem Geschäft die Fiktion ohnehin mehr als das Faktische.
Die Stimme, dies ist die einzige Konstante auf seinen während der letzten fünf Jahre erschienenen sieben Alben, ist dabei definitiv das erstaunlichste künstlerische Alleinstellungsmerkmal des Wil- lis Earl Beal. Eindeutig am klassischen Gospel geschult, kann Beal dabei auf die grummeligen Schrottplatzsongs, angetäuschten Field-Songs und das Kunst-Hobotum eines Tom Waits ebenso verweisen, wie er rau und kehlig auch steinalten und knorrigen Countryblues mit elegantem Sixties-Soul kombiniert.
Der Mann macht alles selbst. Und alles wird Musik. Die Anfänge mit Acousmatic Sorcery wurden noch mit Raummikrofon, verzerrter, sehr rudimentär gespielter Akustikgitarre und einem Perkussionsarsenal bestritten, bei dem man sich nicht entscheiden kann, ob hier ein dilettantisch programmierter Drumcomputer zum Einsatz kommt – oder es sich doch nur um misshandelte Kochtöpfe handelt. Außerdem dräuten zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr oft der sensible Indierock aus der Regionalliga und alte irrsinnige und völlig entfesselte One-Man-BandRock-’n’-Roller wie Hasil Adkins.
Verpeilter Soul
Ein Jahr später allerdings hatte sich Willis Earl Beal, der nun nicht mehr bei seiner Großmutter in Chicago lebte, sondern angeblich ins Bobo-Paradies Portland umgezogen war (oder dies noch vorhatte), schon zu einem seriösen Soulund Bluessänger mit semiprofessionellem Equipment gemausert. Das Album Nobody Knows von 2013 wird allgemein als seine beste Arbeit angesehen.
Die slicke Produktion, die auch ein hübsches Duett namens Coming Through mit der ähnlich verpeilten US-Indie-Sängerin Cat Power bietet, brachte ihm trotz Zugänglichkeit, gediegener Arrangements und einiger schmissiger Soul-Songs kein Glück. Es folgte ein Rosenkrieg mit seinem Label, schließlich auch ein musikalischer Wechsel, mit dem niemand rechnen konnte. Noctunes aus dem Vorjahr präsentiert Willis Earl Beal nun als schmusigen R’n’B-Künstler mit edlen elektronischen Klangflächen und einer mehr als eindeutigen Einladung zu Longdrink-Schlürfereien und Coffee-Lounge-Geschmeidigkeit.
All dies könnte nun natürlich am Wochenende bei seinem Österreichdebüt in Wien noch einmal auf den Kopf gestellt werden. Beal hat als Begleitband dem Vernehmen nach sein iPhone engagiert. Man spricht allerdings von einer das Publikum beherrschenden, starken Bühnenpersönlichkeit. Sie duldet keinen Applaus und Widerspruch. Spannend. Live am Sa., 23. 4., Arena, 1030 Wien, 20.00 parena. co.at