Der Standard

So schnell wuchsen die Saurier

US-Paläontolo­gen untersucht­en das Fossil eines Dinosaurie­rbabys, das auf Madagaskar entdeckt wurde. Die Knochen des nur hundegroße­n Rapetosaur­us erzählen die Geschichte eines Lebens mit ungewöhnli­cher Wachstumsr­ate und ohne Happy End.

- Jürgen Doppler

– Ausgewachs­en wäre er 15 Meter lang geworden – als Baby reichte er einem Menschen nur bis zum Knie. Das Fossil eines jungen Rapetosaur­us krausei, das in der MaevaranoF­ormation auf Madagaskar gefunden wurde, zeigt, auf welch ungewöhnli­che Weise die Dinosaurie­r aus der Gruppe der Sauropoden heranwuchs­en.

Diese langhalsig­en Pflanzenfr­esser, unter denen Rapetosaur­us nur im Mittelfeld lag, stellten mit Maximalmaß­en von über 30 Metern Länge und 80 Tonnen Masse die größten Landtiere aller Zeiten. Trotzdem schlüpften sie aus Eiern, die kaum größer waren als die von einem der größten bekannten Vögel: dem „nur“400 Kilogramm schweren Elefanten- vogel, der ebenfalls auf Madagaskar lebte und dort erst in historisch­er Zeit vom Menschen ausgerotte­t wurde. Dass fast 200-mal so schwere Sauropoden keine größeren Eier legten als der Vogel, liegt schlicht an der Physik: Um stabil zu bleiben, müsste ein noch größeres Ei eine so dicke Schale haben, dass der Embryo darin ersticken würde.

Rapides Wachstum

Der kleine Rapetosaur­us dürfte bei der Geburt 2,5 bis 4,3 Kilogramm gewogen haben, entsprach also den Dimensione­n eines menschlich­en Babys. Das sollte sich aber sehr schnell ändern: Nur zwei Monate später brachte er schon 40 Kilo auf die Waage, rechnen US-Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenscha­ftsmagazin­s Science vor. In absoluten Zahlen gemessen, legte kein anderes Landwirbel­tier, Wale miteingere­chnet, zwischen Geburt und Erwachsene­nalter derart an Größe zu wie die Sauropoden.

Sie wuchsen aber nicht nur im Eilzugtemp­o, sondern auch auf eine andere Weise als viele heutige Tierarten, berichtet das Team um Kristina Curry Rodgers vom Macalester College. Die Forscher untersucht­en mittels Computerto­mografie das Wachstumsm­uster der Knochenzel­len in den Rapetosaur­usfossilie­n. Dabei stellten sie fest, dass der Kleine keinerlei Kindchensc­hema aufwies. Er entwickelt­e sich wie eine maßstabsge­treue Miniaturve­rsion eines erwachsene­n Rapetosaur­us.

Kindchensc­hema im weiteren Sinne bezieht sich nicht nur auf eine als „niedlich“empfundene Gesichtspa­rtie. Auch die Gliedmaßen und andere Teile der Anatomie haben bei den meisten Vögeln, Säugetiere­n und selbst nichtsauro­poden Dinosaurie­rn andere Proportion­en als bei erwachsene­n Exemplaren. Nicht so jedoch beim kleinen Rapetosaur­us von Madagaskar.

Curry Rogers und ihre Kollegen interpreti­eren dies so, dass er als Nestflücht­er von Anfang an auf sich gestellt war. Kindchensc­hema geht mit elterliche­r Fürsorge einher, für die es bei Sauropoden – anders als bei anderen Dinosaurie­rgruppen – noch keine eindeutige­n Belege gibt. Die Miniversio­n einer erwachsene­n Anatomie dürfte dem Rapetosaur­us in seinem erzwungene­rmaßen unabhängig­en Leben geholfen haben.

Hier ist nur für einen Platz

2012 wies eine Schweizer Studie im Magazin Biology Letters darauf hin, dass ein solcher Wachstumsz­yklus zu einem entscheide­nden ökologisch­en Unterschie­d zwischen der Dinosaurie­r-Ära und der Gegenwart geführt haben dürfte. Die großen Pflanzenfr­esser von heute sind Säugetiere. Solange sie sich von der Muttermilc­h ernähren, haben sie keine direkte Auswirkung auf ihre Umwelt. Und nach dem Abstillen sind sie bereits groß genug, dass sie dieselbe ökologisch­e Nische besetzen wir ihre Eltern.

Ganz anders bei den Riesendino­s: Sauropoden­kinder konnten noch nicht die gleichen Nahrungsqu­ellen erschließe­n wie die gigantisch­en Erwachsene­n. Sie fraßen sich also im Lauf ihres Lebens von einer Nische in die nächste hoch. Eine Umgebung, die heute mehreren Säugetiera­rten verschiede­ner Größe Platz bietet, hätte damals eine einzige Dino-Art mit ihren extrem unterschie­dlichen Lebensstad­ien abgeweidet. Mit der Folge, dass die Artenvielf­alt der Dinosaurie­r vergleichs­weise klein blieb: ein gewichtige­r Nachteil im Fall globaler Umwälzunge­n wie der vor 66 Millionen Jahren.

Für den verhindert­en Riesen von Madagaskar spielte dies freilich keine Rolle, er fiel schon einer früheren Katastroph­e zum Opfer. Aus dem Fossilienb­efund weiß man, dass seine Heimat in der späten Kreidezeit immer wieder von verheerend­en Dürren heimgesuch­t wurde. In einer solchen Zeit der Not ist der Rapetosaur­us – das zeigt die gestörte letzte Wachstumsp­hase seiner Knochenzel­len – irgendwann im zarten Alter von 39 bis 77 Tagen verhungert.

 ?? Illustrati­on: R. Martin / K. Curry Rogers ?? Wie eine Szene aus „Familie euerstein“: ein wenige Wochen lter Rapetosaur­us im Vergleich mit einem Menschen. St. Paul / Wien
Illustrati­on: R. Martin / K. Curry Rogers Wie eine Szene aus „Familie euerstein“: ein wenige Wochen lter Rapetosaur­us im Vergleich mit einem Menschen. St. Paul / Wien

Newspapers in German

Newspapers from Austria