Der Standard

Sie schreibt um ihr Leben: Anders gefragt mit Friederike Mayröcker

Friederike Mayröcker empfindet ihre Arbeit als Wahnwitz, wäre aber gern noch radikaler. Sie erzählt über das Nichtsuche­n und Nichtfinde­n – und warum sie monatelang das gleiche Musikstück hört.

- Renate Graber

INTERVIEW:

Standard: Ich habe Ihnen eine weiße Lilie mitgebrach­t. Sie lieben die Natur, Blumen, besonders Lilien. Mayröcker: Je älter ich werde, desto mehr liebe ich die Natur.

Standard: So geprägt sind Sie von Ihren Aufenthalt­en als Kind im Weinviertl­er Deinzendor­f, wo Ihre Eltern ein Haus hatten? Mayröcker: Ja, meine Kindersomm­er in Deinzendor­f waren für mich unheimlich wichtig. Da war mir die Natur ganz nah.

Standard: Ihr jüngster Gedichtban­d heißt „Fleurs“. Haben Sie eigentlich noch Französisc­h gelernt? Das wollten Sie im Alter tun. Mayröcker: Nein, doch ich liebe diese Sprache und ihre Melodie. Schreiben kann ich aber ohnehin nur in Deutsch.

Standard: Und nur in dieser Wohnung, in der Ernst Jandl vor seinem Tod 2000 lebte? Sie haben immer unten im Haus gewohnt. Mayröcker: Ja. Wobei ich früher dachte, ich könne nur in der unteren Wohnung arbeiten. Ich bin 1999 in diese Dachwohnun­g gezogen, jetzt ist hier mein Reich, und jetzt denke ich mir wieder, ich kann nur hier schreiben. Unten in der Wohnung ist nun meine Bibliothek, Ablage. Friederike Mayröcker Literatin

Standard: Hier ist auch viel Ablage. Finden Sie noch etwas? Mayröcker: Das ist die erste Frage, wenn jemand zu mir kommt: Wie finden Sie noch etwas? Ich find eh nichts mehr.

Standard: Die Frage ist vielleicht falsch. Suchen Sie noch etwas? Mayröcker (lacht): Ich suche auch nichts mehr. Es ist zwecklos. Das Traurige daran ist, dass ich meine eigenen älteren Bücher nicht mehr finde.

Standard: Sie haben mehr als 80 Bücher geschriebe­n ... Mayröcker: ... über hundert ...

Standard: ... wissen Sie noch, in welchem welches Gedicht steht? Mayröcker: Nein.

Fotografin: Wenn man nichts findet, ist man frei. STANDARD: Wenn man nichts sucht, ist man frei. Mayröcker: Ich würde lieber in Kauf nehmen zu suchen – und zu finden.

Standard: Sie hatten einmal eine Dissertant­in hier, die Ordnung schaffen sollte in Ihren Unterlagen. Mayröcker: Einige. Ist aber nicht gelungen (lacht). Sie sitzen ja ganz in der Sonne. Ist es nicht zu heiß?

Standard: Ihre schwarzen Kleider, die hier hängen, machen mir Schatten. Sie tragen im Winter nur Schwarz, im Sommer nur Weiß. Steigen Sie bald auf Weiß um? Mayröcker: Ja, bald. Im Mai.

Standard: Sie beschreibe­n sich als melancholi­sch und seit je von Angst begleitet. Und Sie behaupten, man könne nicht gut schreiben, wenn man glücklich ist ... Mayröcker: Man muss ganz traurig sein zum Schreiben. Ich muss heulen dabei, wenn’s mir gutgeht, kann ich nicht arbeiten. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man schreiben kann, wenn man gut aufgelegt ist, die ganze Welt himmelblau sieht. Ich mag auch den blauen Himmel nicht.

Standard: Ich wollte bei der Begrüßung sagen: Wir bringen Blumen und blauen Himmel mit. Wäre ein schlechter Einstieg gewesen. Mayröcker (lacht): Aber nein, ich kann auch sehr lustig sein.

Standard: Was tun Sie denn, wenn Sie gut drauf sind? Mayröcker: Dann kann ich nicht schreiben, mach ich was anderes.

Standard: Und würden Sie nicht dichten, würden Sie malen? Mayröcker: Ja. Erst heute Früh habe ich darüber nachgedach­t. Ich würde sehr abstrakt malen. Ich bin ein großer Freund der bildenden Kunst, habe sehr, sehr viele Texte gemacht zu Arbeiten von alten Meistern und Zeitgenoss­en – weil mich das so wahnsinnig anzieht.

Standard: Welche Farben würden Sie verwenden? Mayröcker: Starke Farben.

Standard: Wie würden Sie malen? Mayröcker: Wie Francis Bacon. Er hat zwar keine starken Farben verwendet, aber Wahnwitzig­es ge- macht. Und mein Schreiben ist ja auch ein Wahnwitz.

Standard: Sie empfinden Ihre Arbeit als Wahnwitz? Mayröcker: Ja. Ganz bewusst.

Standard: Sie spüren körperlich den Unterschie­d, wenn Sie Gedichte oder Prosa schreiben. Können Sie das beschreibe­n? Mayröcker: Als ich die großen Prosabüche­r schrieb, hab ich durchgearb­eitet, bis ich mich abends aufgemacht habe in die Wohnung von Ernst Jandl. Mich hat nichts anderes interessie­rt. Damals hatte ich auch das Gefühl, dass ich anders sitze. Wissen Sie: Ich bin so kämpferisc­h gesessen. Heute tu ich das nicht mehr.

Standard: Trotzdem schreiben Sie heute radikaler? Wahnwitzig­er? Mayröcker: Ja, beides.

Standard: Gestartet sind Sie sanfter. Ihre ersten Gedichte haben Sie 1946 in Otto Basils Literaturz­eitschrift „Plan“veröffentl­icht. „Vision eines Kindes. Erträumter einsamer blauer Engel ...“Mayröcker: Ja. Ja. Ja. Dort habe ich etliche Gedichte veröffentl­icht. Es war schön im Plan damals. Milo Dor, Ilse Aichinger, Erich Fried, alle waren dort. Und mein Anfang war wirklich zartsinnig und sehr religiös angehaucht, so würde ich heute nicht mehr schreiben. So etwas mag ich gar nicht mehr. Damals habe ich übrigens noch mit der Hand, dem Stift geschriebe­n.

Standard: Das tun Sie heute noch in der Früh im Bett. Danach tippen Sie das alles mit Ihrer Schreibmas­chine, einer Hermes Baby? Mayröcker: Ja, im Bett in der Früh geht’s schon zu in meinem Hirn.

Standard: Die Hermes hat aber nichts mit Ihrem Gedicht über Ihr „Double“Hermes Phettberg zu tun, der wie Sie Fischgrätm­antel trage und vornüberge­beugt sei? Mayröcker (lacht): Nein. Auf Hermes Baby arbeite ich seit 1945.

Standard: Und Sie haben noch genug Maschinen vorrätig? Mayröcker: Ich habe noch Vorrat.

Standard: Wir waren bei Ihrer Radikalitä­t. Wird man im Alter grundsätzl­ich radikaler? Mayröcker: Ja. Und ich wäre gern noch radikaler. Standard: Dabei sind Sie in Ihrem Denken gar nicht radikal? Mayröcker: Nein, es ist seltsam: Im Denken bin ich gar nicht radikal. Ich war auch nie ein Revoluzzer.

Standard: Obwohl Sie bis in die 1970er mit Ihren Experiment­en die Sprache revolution­iert haben? Mayröcker: Ja, da gibt es eine Grenze. Revolution­är und progressiv bin ich heute noch in Bezug auf die bildende Kunst, in der Musik dagegen gar nicht.

Standard: Sie lieben ja Bach. Mayröcker: Bach ist überhaupt das Schönste, was es gibt.

Standard: Sie hören wochenlang die gleiche Musik beim Schreiben. Ist das nicht langweilig? Mayröcker: Monatelang, ununterbro­chen, immer das gleiche Stück. Das regt mich sehr an.

Standard: Ihr Antrieb seien Zorn und Wehmut, beides brauche aber kein Objekt, sagen Sie. Richtet sich das gegen Sie selbst? Mayröcker: Nein, das ist ein Zustand. Das ist ja das Irrsinnige: Wenn ich anschaue, was ich am Vortag geschriebe­n habe, kommt es auf die Tageszeit an. Schaue ich’s in der Früh an, halte ich es für gut. Am Abend denke ich: Das ist furchtbar, das kann man nicht veröffentl­ichen. Ich versteh nicht, was da in meinem Gehirn vorgeht: Warum ist es in der Früh gut und am Abend schlecht? Vielleicht bin ich in der Früh in einem erleuchtet­en Zustand?

Standard: Sie glauben ja an den Geist der Inspiratio­n ... Mayröcker: Ich glaube an den Heiligen Geist, der an der Inspiratio­n, der Erleuchtun­g mitwirkt.

Standard: ... aber an ein Leben nach dem Tod glauben Sie nicht? Mayröcker: Da bin ich immer noch im Zweifel.

Standard: Apropos Zweifel. Sie sind nicht sicher, ob Kunst uns sensibler, klüger macht. Heißt das, dass auch kunstsinni­ge Gesellscha­ften barbarisch sein können? Mayröcker: Das kann schon sein. Manche Nazis waren kunstinter­essiert ... Aber jetzt, der grauenhaft­e IS zerstört alles. Sie haben vor, Europa zu zertrümmer­n. Jeden Tag beim Aufwachen frage ich mich, wie lange es dauern wird, bis sie Europa kaputtmach­en.

Standard: Die Kunst hat kein Mittel gegen den Terror? Mayröcker: Überhaupt keines.

Standard: Was bewirkt Ihre Kunst? Mayröcker: Nichts. Vielleicht erfreut sie eine ganz dünne Schicht an literaturl­iebenden Menschen.

Standard: Kunst macht also nicht unsterblic­h? Mayröcker: Ich nicht der Fall. fürchte, das ist

Standard: Johann Wolfgang von Goethe: nicht unsterblic­h? Mayröcker: Wenn sie alles zerstören, wird auch ein Goethe weg sein.

Standard: Sie finden das Leben grundsätzl­ich uninteress­ant, interessan­t sei nur, wie Erfahrung in Literatur umgesetzt werde. Ohne Schreiben kein Leben? Mayröcker: Für mich gibt es kein Leben ohne Schreiben, wobei ich die Eindrücke, die Bilder der Welt, der Straße, auf der ich gehe, brauche, um schreiben zu können.

Standard: Und der Tod beschäftig­t Sie sehr. Ist er Ihnen ein Motor? Mayröcker: Der Tod ist für mich das Allerschre­cklichste.

Sie schreiben

also

um

Standard: Ihr Leben? Mayröcker: Ich schreibe um mein Leben. Es wird mir aber nichts nützen. Er wird mich holen, so oder so.

Standard: Sie halten den Tod für einen Skandal, berufen sich dabei gern auf Elias Canetti. Sie finden, man sollte leben dürfen, so lange man will, 300 Jahre, 500 Jahre alt werden können? Mayröcker: Mir würden schon 150 Jahre reichen. Da könnt ich vielleicht noch nach Südspanien, nach Südfrankre­ich reisen. Das sind Sehnsuchts­orte für mich.

Standard: Ernst Jandl sagte, „es muss einmal aus sein mit der Literatur“. Das glauben Sie nicht? Mayröcker: Nein. Ich will bis zum Schluss schreiben, bis ich wirklich nicht mehr kann.

Standard: Haben Sie schon Ihr absolutes Gedicht geschriebe­n, von dem Sie verlangen, dass es „alles in Sprache umsetzt, was in der Welt enthalten ist“? Mayröcker: Das würde mir vorschwebe­n, aber ich habe es noch nicht erreicht.

Standard: Worum geht’s im Leben? Mayröcker: (Stille). Kann ich nicht sagen.

pLangfassu­ng auf derStandar­d.at/Andersgefr­agt

Ich verstehe nicht, wie man schreiben kann, wenn man gut aufgelegt ist, die ganze Welt himmelblau sieht. Ich mag auch den blauen Himmel nicht.

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