Rot-schwarzer Absturz mit Ansage
Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP ritterten nur um die „Blecherne“: Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol schafften zusammen weniger Stimmen als der Sieger allein.
Kein Festzelt, keine Wahlparty: SPÖ und ÖVP waren gut auf die Niederlage vorbereitet. Die Spatzen – in diesem Fall die Meinungsforscher – hatten schließlich seit Wochen von den Dächern gepfiffen, dass die Stichwahl für die Kandidaten der Regierungsparteien außer Reichweite ist. Doch das Ausmaß der rotschwarzen Erosion bei gleichzeitigem blauen Erdrutsch schockierte dann doch. Von einem „dramatischen Moment“, sprach SPÖBundesgeschäftsführer Gerhard Schmid: „Ja, das ist eine ganz schmerzliche Niederlage.“
Für Spannung sorgte maximal die Frage, wer den Trostpreis davonträgt, stärkster Koalitionskandidat zu sein. Mit Stand vom Sonntagabend, 18.30 Uhr, schien die „Blecherne“dem ÖVP-Mann Andreas Khol sicher: Er lag mit 11,2 Prozent knapp vor SPÖ-Konkurrent Rudolf Hundstorfer (10,9 Prozent); mit den am Montag ausgezählten Wahlkarten kann sich am Ergebnis noch etwas ändern. Fest steht hingegen: Nur der halbe Spaßkandidat Richard Lugner schnitt schlechter ab.
Das Ergebnis riecht nach politischer Zeitenwende: Stellten SPÖ und ÖVP bisher bei Präsidentenwahlen jeweils eigene Kandidaten auf, kamen diese gemeinsam stets über 80 Prozent der Stimmen, nur 1992 blieben sie knapp darunter. Nun erreichten Hundstorfer und Khol keine 25 Prozent, weniger als Wahlsieger Norbert Hofer allein. Die Dominanz der traditionellen Lagerparteien, die in Österreich über Jahrzehnte so stabil wie in kaum einem anderen westeuropäischen Land war, scheint Vergangenheit zu sein.
Weit verbreiteter Frust
Einen Grund für das Debakel glaubten Andreas Schieder und Reinhold Lopatka, Klubchefs von SPÖ und ÖVP, bereits am Wahlabend gefunden zu haben: Themen wie Arbeitslosigkeit und Flüchtlingskrise seien ein schwieriges Terrain für Regierungsparteien. Eine Sora-Umfrage weist auf weit verbreitete Unzufriedenheit hin. Demnach finden 52 Prozent, dass sich Österreich in den letzten Jahren negativ entwickelt hat. Die von der Politik Enttäuschten und Verärgerten haben eine breite Mehrheit. ( siehe Seite 4)
Abgesehen von einem allgemeinen Frust über die rot-schwarze Regierung, schleppten die beiden Kandidaten noch persönliche Handicaps mit. Dass Hundstorfer zwar ein anerkannter Minister war, aber als Kandidat wohl nur bei roten Kernschichten zieht, ahnte so mancher in der SPÖ schon vor dem Wahlsonntag. Laut Wahltagsbefragung des Meinungsforschers Peter Hajek für den TV-Sender ATV hat sich diese Befürchtung bewahrheitet. Das mit Abstand wichtigste Motiv der Hundstorfer-Anhänger lautete: „Ich bin SPÖ-Stammwähler.“
Warum der 64-Jährige trotz aller Zweifel aufgestellt wurde? Die Antwort ergibt sich aus der SP-internen Machtlogik: Einem „Silberrücken“wie Hundstorfer, der die mächtige Gewerkschaft im Hintergrund hat, wird solch ein Wunsch nicht abgeschlagen.
Sowohl Kanzler und SPÖ-Obmann Werner Faymann als auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl hätten den seinerzeitigen Sozialminister vor dessen schlechten Chancen gewarnt, hieß es am Wahlabend in SP-Kreisen. Doch selbst, wenn es so war: Wirklich entschlossen haben die beiden SP-Chefs offenbar nicht versucht, Hundstorfer von seinem Plan abzubringen. Auffällig: Selbst in seiner Heimatstadt Wien wurde Hundstorfer nur vierter.
Dem ÖVP-Kandidaten Khol haftete wiederum von Anfang an das Stigma an, nur Notnagel zu sein: Kandidat erster Wahl war Niederösterreichs Landeshauptmann Er- win Pröll. Erst nach dessen Absage kam Ex-Nationalratspräsident Khol zum Zug.
Doch während dem SP-Konkurrenten Hundstorfer beim letzten großen Auftritt in der „Elefantenrunde“im ORF wohl kaum jemand übertriebene Agilität nachsagen wird, zeigte Khol Kampfgeist. Lohn war viel Applaus bei seinem Besuch am Sonntag in der ÖVP-Zentrale. Er habe gewusst, es werde ein Protestwahlkampf, rief er den Getreuen zu: „Nicht lockerlassen, wir sind dabei – aber nicht beim Bundespräsidenten.“
Was die Stichwahl betrifft, halten sich die Verlierer zurück. Weder Schieder noch Lopatka wollten eine Wahlempfehlung für einen Kandidaten abgeben: Die Wähler seien mündig genug.