Der Standard

„Sollten den Dialog heute noch beginnen“

Nachdem Präsident Gjorge Ivanov eine präventive Amnestie erlassen hat, schlittert Mazedonien immer mehr in die Krise. Der Chef der größten Albanerpar­tei, Ali Ahmeti, fordert sofortige Krisengesp­räche in Skopje.

- Adelheid Wölfl

INTERVIEW: Standard: Meine erste Frage ist zu den Wahlen ... Ahmeti: Welche Wahlen? Machen Sie Scherze mit mir?

Standard: Ist Ihre Partei DUI nun dafür, dass am 5. Juni Wahlen stattfinde­n oder nicht? Ahmeti: Meine Partei DUI will, dass alle Kriterien erfüllt werden, damit von allen und unstrittig glaubwürdi­ge Wahlen akzeptiert werden können – auch von der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Für das Land wäre es nicht gut, wenn man ohne Opposition in die Wahlen gehen würde. Die Wahlkommis­sion müsste rauskommen und sagen, wie vernünftig die Forderunge­n der Opposition sind. Das müsste auch von den internatio­nalen Vertretern kommentier­t werden. Es ist eine chaotische Situation im Land. Die Verwaltung funktionie­rt nicht. Jeder wartet.

Standard: Soll Präsident Gjorge Ivanov die Amnestie für die 56 Politiker zurücknehm­en? Ahmeti: Die Entscheidu­ng des sogenannte­n Präsidente­n ist nicht akzeptabel, hebt die Rechtsstaa­tlichkeit in diesem Land auf, und sie sollte zurückgeno­mmen werden. Es ist bereits zu spät. Aber es wäre gut, wenn er das machen würde. Besser spät als nie.

Standard: Wieso nennen Sie ihn einen „sogenannte­n Präsidente­n“? Ahmeti: Weil er nicht von den Albanern gewählt wurde. Wir haben von Beginn an seine Fähigkeit bezweifelt, ein Präsident zu sein. Standard: Könnten einander die vier Parteichef­s wieder treffen, wenn Ivanov die Amnestie zurückzieh­t? Ahmeti: Die Lösung wäre, wenn man den Dialog hier im Land wieder beginnt. Der Staat sollte nicht in eine tiefere Krise gehen. Wenn es keine Treffen gibt, um die Krise zu überwinden, wird das sehr schwierig. Der Dialog sollte morgen wieder beginnen, besser noch heute.

Standard: Könnte es zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen kommen? Ahmeti: Nichts kann grundsätzl­ich ausgeschlo­ssen werden.

Standard: Die Amnestie von Ivanov hat hauptsächl­ich Politikern der Regierungs­partei VMRODPMNE gedient. Von Ihrer Partei DUI ist niemand auf der Liste. Ahmeti: Allen Parteien hat es gedient – nur meiner Partei, der DUI nicht. Wir sind diskrimini­ert, weil wir nicht auf der Liste sind (lacht). Standard: Wollen Sie auf die Liste? Ahmeti: Nein (lacht).

Standard: Zwei Parteien stehen sich hier gegenüber: die VMRO und die SDSM. Fürchten Sie eine Ukrainisie­rung, ein Maidan-Szenario? Ahmeti: Es ist nun 14 Monate her, als ich als das erste Mal gesagt habe, dass die Ukraine nicht weit weg von hier ist. Aber zu diesem Zeitpunkt haben manche der Politiker und Meinungsma­cher dies als einen Scherz betrachtet. Die Dinge laufen nicht gut, und ich glaube nicht, dass das Problem nur in Mazedonien liegt. Es liegt auch außerhalb von Mazedonien.

Standard: Spielen hier geopolitis­che Interessen eine Rolle? Ahmeti: Ja, das glaube ich.

Standard: Die Polizei ist mit der Schließung der Balkanrout­e im Süden und mit den Demonstrat­ionen beschäftig­t. Wie lange ist sie in der Lage, das zu bewältigen? Ahmeti: Wenn es so weitergeht, wird der Staat bald müde sein. Standard: Sehen Sie einen Zusammenha­ng zwischen der Staatskris­e und der Schließung der Balkanrout­e, die auch Österreich beförderte? Ahmeti: Natürlich hat die Flüchtling­ssituation Einfluss und macht die Situation schwierige­r. Europa braucht ein stabiles Mazedonien. Insbesonde­re Brüssel sollte helfen, an dieser Krise zu arbeiten. Wir sind nicht weit weg.

Standard: Es gab Anzeichen, dass Mazedonien eine Nato-Einladung bekommt. Könnte sich Russland vielleicht provoziert fühlen? Ahmeti: Ich darf Bismarck interpreti­eren: Der, der Mazedonien regiert, regiert den Balkan. Und wer den Balkan regiert, der regiert Europa.

ALI AHMETI (57) war während des Aufstands 2001 politische­r Führer der mazedonisc­hen UÇK. Er studierte Philosophi­e in Prishtina und erhielt 1986 in der Schweiz Asyl. Seit dem Ohrid-Abkommen 2001 ist er Chef der Partei DUI.

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Farbige Revolution: Demonstran­ten, die gegen die Amnestie von Präsident Ivanov aufmarschi­eren, bewarfen symbolisch­e Gebäude und Monumente mit Farbbeutel­n.
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Foto: AP Der Chef der größten Albanerpar­tei, DUI, Ali Ahmeti.

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