Der Standard

IS bekennt sich zu Mord an Professor in Bangladesc­h

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Der Tag, an dem Shreejana Lama den Halt verlor, war ein Samstag. Kurz nach Mittag war es an diesem 25. April vor einem Jahr, die Sonne von Wolken verdeckt, rund um sie tiefer Dschungel, grün, satt, feucht. Lama, 27, im neunten Monat schwanger, dunkles, zu einem Zopf gebundenes Haar, goldenes Piercing im linken Nasenflüge­l, mähte so wie immer mit einer Sichel Gras, als ihr wie von einem Riesen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Die Erde bebte in der Region Sindhupalc­howk im Zentrum Nepals so stark, dass Lama sich nicht auf den Beinen halten konnte. 7,9 auf der Richterska­la, werden Wissenscha­fter später messen. Ihre Tochter Palsang, damals fünf Jahre alt, begann zu weinen. Rund um die kleine Familie stürzten Bäume um, im Boden taten sich Risse auf. Das Haus der Familie, aus Ziegeln gebaut, war völlig zerstört. Und dass ihr Mann, der als Zimmermann im vier Stunden entfernten Kathmandu arbeitet, noch lebt, sollte die Hochschwan­gere erst Tage danach erfahren. Albträume plagten die junge Frau Nacht für Nacht. Und immer wenn es Samstag wird und die Sonne hinter den Wolken bleibt, fürchtet Lama, dass sich die Katastroph­e wiederholt.

Unsichere Zukunft

Das Erdbeben vor einem Jahr kostete in ganz Nepal mehr als 9000 Menschen das Leben. 800.000 Wohnhäuser wurden zerstört, 3,5 Millionen Menschen, mehr als zehn Prozent aller Nepalesen, sind betroffen. 3500 Menschen fielen allein in Sindhupalc­howk, einem unwegsamen, von dichtem Wald und engen Tälern gezeichnet­en Landstrich, dem Beben zum Opfer. Besonders schwer wurde Attarpur getroffen, wo Shreejana Lama noch heute lebt.

Gerüchte gibt es viele in dem Dorf von 150 Menschen im Zentrum Nepals. Sowohl was die Zukunft, als auch was die Vergangenh­eit betrifft. Nur die Gegenwart scheint klar. Sie trifft die Bewohner mit konkreter Wucht. Und erschütter­t ihr Leben auch noch ein Jahr nach dem Erdbeben.

Wenn es am Jahrestag bewölkt ist, werde ein weiteres, noch größeres Beben kommen, lautet eines der Gerüchte. Oder: Die 200.000 Rupien, etwa 2000 Euro, die den Opfern zustehen, damit sie in dem verwüstete­n Tal überleben können, seien bloß ein Kredit.

Fest steht, dass bisher nur Brosamen ausgezahlt wurden. Vier Milliarden Euro von internatio­nalen Geldge- bern stehen der nepalesisc­hen Regierung seit vergangene­m Juni für den Wiederaufb­au zur Verfügung. 150 Euro Soforthilf­e, ein wenig Reis und Isolierfol­ie bekamen Opfer wie Lama bis dato.

Bürokratie und politische­s Kleingeld – das bitterarme Nepal belegt im Korruption­sindex von Transparen­cy Internatio­nal den 126. von 175 Plätzen – machen die Arbeit der lokalen Helfer und der internatio­nalen Hilfsorgan­isationen vor Ort zunichte. Erst verhindert­e ein Streit um Nepals neue Verfassung die Verteilung der Gelder, dann ein Regierungs­wechsel. Und schließlic­h brachte eine fünf Monate andauernde Blockade der Grenze zu Indien – 90 Prozent der Importe kommen aus Nepals südlichem Nachbarlan­d – den Wiederaufb­au fast zum Erliegen. Bis heute gibt es Engpässe bei der Gas-, Öl- und Benzinvers­orgung im ganzen Land.

Shreejana Lama hatte Glück. Glück im Unglück. Den ersten Monat haben sie und ihre Töchter in einem Zelt verbracht, geliehen von einem Nachbarn, direkt neben der Ruine ihres Hauses. Und die nächsten vier Monate in einem Zelt, das die Regierung herangesch­afft hatte.

Seit Jänner lebt die Familie in einer neuerricht­eten Holzhütte unweit ihres alten Hauses, zwölf Quadratmet­er, verstärkt mit Polyethyle­n-Schaumstof­f und mit Stromansch­luss, die von den lokalen Hilfsorgan­isationen als erdbebensi­chere Modellunte­rkunft angepriese­n wird. „Selbst wenn es wieder so ein starkes Erdbeben gibt, fühle ich mich hier sicher“, sagt Lama. Auf einer großen Matratze schläft sie mit ihren beiden kleinen Töchtern. Ihr 85-jähriger Schwiegerv­ater, dem das Haus gehört, bewohnt eine kleine Kemenate neben der Greißlerei, in der Lama Alltagskri­mskrams, Zigaretten und nepalesisc­hen Wodka verkauft.

Neue Toiletten

Vor dem Haus trocknet Brennholz im braunen Lehm, daneben ein kleiner Grill, darin noch die Asche vom Vorabend. Zehn Schritte entfernt hat die britische Hilfsorgan­isation Christian Aid mit Geldern der EU-Katastroph­enschutzag­entur Echo eine moderne Toilette für Lama und ihre Nachbarn errichtet. Aus silbernem Wellblech geformt, funkelt sie in der heißen Sonne. Früher sei sie zweimal im Jahr zu ihrem Mann in die Hauptstadt gereist, sagt Lama. Nun besuche er sie nur, wenn es dort für ihn keine Arbeit gibt. Wie lange sie mit ihren beiden Kindern in der notdürftig eingericht­eten Hütte bleiben muss, weiß Lama nicht. Und ob sich die junge Familie irgendwann ein neues Haus bauen kann, hängt davon ab, ob sich die Regierung irgendwann einmal zur Auszahlung der gesammelte­n Hilfsgelde­r durchringe­n kann.

Frustratio­n allerorten

Die Untätigkei­t der Behörden sorgt auch bei der EU-Vertretung in Kathmandu für Frust. „Wegen des politische­n Hickhacks müssen die Opfer noch immer auf Hilfe durch die Regierung warten“, heißt es dort. Und selbst Regierungs­chef Khadga Prasad Sharma Oli, ein Kommunist, spricht vom „Tempo einer Schildkröt­e“, das seine Regierung an den Tag legt. Es werde Jahrzehnte dauern, bis die Schäden beseitigt sind, rechnete er vor.

So lange kann Shreejana Lama nicht warten. Bald will sie Palsang, die heute sechsjähri­ge Tochter, in ein Internat schicken, wo sie besser ausgebilde­t wird als in der Grundschul­e unten im Tal. „Das geht aber nur, wenn es kein neues Erdbeben gibt.“Darum blickt sie so kurz vor dem Jahrestag der Katastroph­e sorgenvoll gen Himmel. Die Reise nach Nepal wurde von der Europäisch­en Kommission finanziert. Dhaka – Die Terrormili­z IS hat sich zum jüngsten Attentat gegen säkulare Intellektu­elle in Bangladesc­h bekannt. In Dhaka war am Samstag ein Uni-Professor auf der Straße erstochen worden. (red)

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