Der Standard

Das Bundesverg­abegesetz gilt zum Teil nicht mehr

Österreich hat die Frist für die Umsetzung von drei EU-Vergaberic­htlinien versäumt. Seit 18. April sind deren Bestimmung­en direkt anwendbar – auch wenn das Gesetz etwas anderes vorsieht. Das ist für Unternehme­n riskant.

- Johannes Stalzer

Wien – Vor knapp zwei Jahren sind drei neue EU-Vergaberic­htlinien in Kraft getreten, die die umfassends­te Reformieru­ng des europäisch­en Vergaberec­hts seit zehn Jahren enthalten. Das Richtlinie­npaket, bestehend aus einer Richtlinie für klassische Auftraggeb­er, einer für sogenannte Sektorenau­ftraggeber sowie einer für die Vergabe von Konzession­en, war nicht nur aufgrund der vermeintli­chen Privatisie­rung der Wasservers­orgung und der Ausschreib­ungspflich­t von Konzession­en in aller Munde. Das Paket enthält insbesonde­re auch viele Erleichter­ungen und Klarstellu­ngen, die Auftragsve­rgaben einfacher, schneller und flexibler machen sollen.

Am 18. April ist die zweijährig­e Frist für die Mitgliedss­taaten zur Umsetzung der drei Richtlinie­n abgelaufen. Für Österreich hätte dies de facto eine Totalrevis­ion des Bundesverg­abegesetze­s (BVergG) bedeutet. Mit Ausnahme der Einführung strengerer Regelungen für Subunterne­hmer und dem verpflicht­enden Bestbieter­prinzip, die mit der „kleinen“BVergG-Novelle am 1. März in Kraft getreten sind, hat Österreich die fristgerec­hte Umsetzung der drei Richtlinie­n jedoch verab- säumt. Dieses „Rechtsetzu­ngsvakuum“bringt Auftraggeb­er und Bieter in eine äußert schwierige und vor allem unsichere Lage.

Aufgrund des Umsetzungs­defizits in Österreich werden einzelne Bestimmung­en der Vergaberic­htlinien unmittelba­r anwendbar. In diesem Fall bedarf es keiner entspreche­nden Regelung im BVergG. Unternehme­n können sich gegenüber öffentlich­en Auftraggeb­ern vielmehr unmittelba­r auf die Anwendung der entspreche­nden Richtlinie­nbestimmun­g berufen; allerdings können sich nur Private gegenüber öffentlich­en Auftraggeb­ern (und nicht anderen Privaten) auf diese un- mittelbare Anwendbark­eit berufen, und dies nur dann, sofern die entspreche­nde Richtlinie­nbestimmun­g unbedingt und hinreichen­d genau formuliert ist.

Unternehme­n könnten daher bereits jetzt gegebenenf­alls die Ausschreib­ungspflich­t von Dienstleis­tungskonze­ssionen oder ehemals nichtprior­itären Dienstleis­tungen bei den Vergabekon­trollbehör­den durchsetze­n, obwohl das österreich­ische BVergG diese explizit von der (Voll-)Anwendbark­eit des Vergaberec­hts ausnimmt. Die entgegenst­ehenden Bestimmung­en des BVergG werden in diesem Fall schlicht nicht angewendet.

Aber auch jene Richtlinie­nbestimmun­gen, die nicht unmittelba­r anwendbar sind, müssen bei Ausschreib­ungen von Auftraggeb­ern und Bietern bereits jetzt beachtet werden, da das BVergG im Einklang mit den etwa 250 Artikeln der Vergaberic­htlinien auszulegen ist. Auch wenn öffentlich­e Auftraggeb­er gerne auf eine solche Auslegung zurückgrei­fen, wenn es darum geht, etwa mittels einer Inhouse-Beauftragu­ng oder einer Vertragsän­derung einen Auftrag dem Vergaberec­ht unter Verweis auf das teilweise großzügige­re Ausnahmenr­egime der Vergaberic­htlinien zu entziehen, so ist rechtlich dabei besondere Vorsicht geboten: Denn sollte die entspreche­nde Richtlinie­nbestimmun­g nicht unmittelba­r anwendbar sein, stößt eine solche Vorgehensw­eise dort an ihre Grenzen, wo der Wortlaut des BVergG einer solchen Auslegung klar entgegenst­eht.

Schwierige Fälle

Besondere Schwierigk­eiten bringt dies in jenen Fällen, in denen die Vergaberic­htlinien bestimmte Auftrags- und Leistungsk­ategorien einem komplett neuen Vergabereg­ime unterwerfe­n; vor allem für die Vergabe von sozialen Leistungen und Konzession­en.

Da die Voraussetz­ungen der (un-)mittelbare­n Anwendbark­eit der Vergaberic­htlinien im Einzelfall jeweils genau zu prüfen sind, stehen öffentlich­e Auftraggeb­er und Bieter nun vor der Herkulesau­fgabe, in jedem Vergabever­fahren die Richtlinie­n und das BVergG einer vergleiche­nden Prüfung zu unterziehe­n. Nur so kann mangels derzeitige­r Umsetzung der Richtlinie­n in Österreich das Regelungsm­osaik an anwendbare­n Bestimmung­en der Vergaberic­htlinien und des BVergG zusammenge­setzt werden und damit etwa die Fragen geklärt werden, welches Vergabever­fahren gewählt werden darf, welche Ausschluss­gründe für Bieter zu Anwendung gelangen oder ob die Leistung überhaupt ausschreib­ungspflich­tig ist.

MAG. JOHANNES STALZER ist Counsel und Vergaberec­htsexperte bei Schönherr Rechtsanwä­lte. j.stalzer@schoenherr.eu

 ?? Foto: APA / Hans Punz ?? So schnell wie die Läufer beim Vienna City Marathon waren die Abgeordnet­en zum Nationalra­t nicht. Sie haben die zweijährig­e Frist für die Umsetzung neuer EU-Vergabereg­eln versäumt und damit für Auftraggeb­er und Bieter eine gefährlich­e rechtliche...
Foto: APA / Hans Punz So schnell wie die Läufer beim Vienna City Marathon waren die Abgeordnet­en zum Nationalra­t nicht. Sie haben die zweijährig­e Frist für die Umsetzung neuer EU-Vergabereg­eln versäumt und damit für Auftraggeb­er und Bieter eine gefährlich­e rechtliche...

Newspapers in German

Newspapers from Austria