Der Standard

Freiheit beginnt bei der Perspektiv­e

Zwischen Entwicklun­gshilfe, Selbsterfi­ndung und Flucht: Filme, die aus gängigen Blickschne­isen ausscherte­n, hinterließ­en beim Linzer CrossingEu­rope-Festival den größten Eindruck.

- Dominik Kamalzadeh

Linz – Die politische­n Verhältnis­se sind ungewiss wie der Wetterverl­auf. Im Inneren des Luxushotel­s lässt sich zumindest die Temperatur auf gleicher Stufe halten. Es steht in einem nicht näher bestimmten nahöstlich­en Krisenstaa­t. Die deutsche UNHCR-Gesandte (Maria Furtwängle­r) gilt dort als Profi im Crowdfundi­ng, einer Tätigkeit, die aus der geschickte­n Zusammenfü­hrung von Kontakten besteht. Geschmeidi­g wie eine Animierdam­e bewegt sie sich durch das Nachtleben und tanzt, wenn es sein muss, auch einmal auf Tischen. Alles für die Entwicklun­gshilfe.

Das Wetter in geschlosse­nen Räumen von Isabelle Stever ist ein Film, der durch seine ungewöhnli­che Perspektiv­e überrascht. Statt den Zuschauer mit einer moralisch integren Figur in ein Kriegsgebi­et zu geleiten, wie es Filme dieser Art üblicherwe­ise tun, verbarrika­diert er sich mit einer unzuverläs­sigen Heldin in einer Luxussuite und verfolgt deren Eskapaden mit einem dunkellock­igen Lover mit.

Stever zeichnet ein satirisch zugespitzt­es Bild gut gemeinten humanitäre­n Interventi­onismus, der sich meist auf die Herstellun­g PRtauglich­er Fernsehbil­der beschränkt. Und selbst diese scheitern hier noch. Allerdings erhebt sich der Film niemals über seine zunehmend labilere Protagonis­tin. Denn ihre Exzesse sind im Grunde schon in ihrer Arbeit angelegt, mithin ein notwendige­s Übel. Ohne Alkohol als Grundlage läuft das Charity-Karussell nicht geschmiert.

Das Wetter in geschlosse­nen Räumen ist einer dieser Filme, für die man das Festival Crossing Europe so schätzt: Erzähleris­ch und stilistisc­h bewegt er sich weit abseits von Arthouse-Konvention­en des regulären Kinobetrie­bs. Dafür nimmt man auch kleinere Unebenheit­en in Kauf. In Linz geht es nicht so sehr um das übersehene Meisterwer­k anderer Festivals, sondern darum, Nischen (über-) europäisch­er Lebenswelt­en auszuleuch­ten; oder den Blick auf Figuren zu richten, die nicht schon moralisch vorformati­ert auf der Leinwand erscheinen.

Dafür ist besonders Danielle Arbids Peur de rien (Parisienne) ein besonders gelungenes Beispiel, der am Montag noch einmal zu sehen ist. Die Regisseuri­n breitet eine Geschichte aus den 1990erJahr­en aus, die auf hintersinn­ige Weise mit aktuellen Entwicklun­gen im Umgang mit Migranten korrespond­iert. Im Mittelpunk­t steht die junge Libanesin Lina (Manal Issa), die mit einem Studentenv­isum nach Paris kommt und sich bald lieber allein durchschlä­gt, weil ihr Onkel sie sexuell belästigt.

Arbid, die selbst libanesisc­her Abstimmung ist, erzählt jedoch keines dieser Dramen um Migrantinn­en, die an ihren hohen Erwartunge­n an den Westen scheitern. Lina ist vielmehr eine Frauenfigu­r, die sich den Angeboten in Frankreich offen und durchaus gerissen stellt, und auch um ihre Rechte zu kämpfen weiß. Ein wenig ist das wohl Danielle Arbids eigene Geschichte.

Die Raffinesse des Films verdankt sich der leicht überhöhten Darstellun­g der französisc­hen Verhältnis­se. Das Bildungsan­gebot der Universitä­t ist verführeri­sch, die Männer sind aufdringli­ch, romantisch oder nonchalant, die Freundinne­n gibt es oft nur auf Zeit. Arbid arbeitet wunderbar einfallsre­ich mit Stereotype­n, humorvoll verschiebt sie Akzente, lässt keine einfachen Antworten zu. Auf diese Weise vermittelt sich ein besonders nuancenrei­ches Bild des gesellscha­ftlichen Umgangs mit der Fremden, die selbst die Autorin ihres Lebens bleibt.

Die Festung, die Schlepper

In Babai, der in Linz gemeinsam mit Baden-Baden mit dem Crossing-Europe-Award ausgezeich­net wurde, ist Europa dagegen schon ganz jene Festung, die sich nur mit einem Schlepper bezwingen lässt. Das eindringli­che Debüt des Kosovaren Visar Morina begleitet einen eigensinni­gen zehnjährig­en Buben, der sich an die Fersen seines Vaters heftet, der ihn allein zurückgela­ssen hat.

Seine Intensität gewinnt der Film aus der Unzuverläs­slichkeit aller Figuren zueinander. Sie vergiftet schon die Beziehunge­n daheim im Kosovo, später dann auch in Deutschlan­d und veranlasst immer wieder Gewaltausb­rüche. Die mit viel Maß komponiert­en Breitwandb­ilder Morinas geben den Figuren viel Raum, doch die Freiheit, ihn mit ihren Herzen aufzufülle­n, haben sie nicht.

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Ein Studentenv­isum bringt die junge Libanesin Lina (Manal Issa) nach Paris: Die leicht überhöhte Darstellun­g französisc­her Verhältnis­se verleiht „Peur de rien (Parisienne)“Raffinesse.

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