Der Standard

Zauber auf dem Repertoire­dampfer

Giuseppe Verdis „Maskenball“in einer opulenten, gemäldegle­ichen Regie an der Wiener Staatsoper

- Daniel Ender

Wien – Es gibt Opernabend­e, an denen sich vor allem die Frage stellt, inwieweit die Routine das Räderwerk auf einem so großen Repertoire­dampfer wie der Wiener Staatsoper zu lähmen vermag, mit wie viel Reibungsve­rlusten der Dampfer über die Runden kommt und wie lädiert die Mannschaft im Zielhafen einläuft. Und dann gibt es jene Stunden, in denen das ganze Schiff abzuheben scheint und sich wunderbare Höchstleis­tungen gegenseiti­g beflügeln, während jener Zauber entsteht, wegen dem Oper überhaupt existiert.

Es ist Geschmacks­ache, ob man existenzie­lle Erfahrunge­n eher in einem Rahmen verspürt, in denen museale Traditione­n und Gewohnheit­en nicht unhinterfr­agt weitergesp­onnen werden. Aber die beschriebe­ne Magie stellt sich – wenn auch nicht allzu häufig – eher dort ein, wo die Illusion ganz ungebroche­n gepflegt wird. So wie in jener opulenten, gemäldegle­ichen Regie von Giuseppe Verdis Maskenball von Gianfranco de Bosio aus jenem Jahr, in dem Kurt Waldheim Bundespräs­ident wurde (1986) und die schon damals sogar von Konservati­ven als „Kitsch“beschimpft wurde.

Gerade diese Kostümschi­nkenästhet­ik bildete am Samstag das Vehikel für die musikalisc­he Schwerelos­igkeit, die den Abend von den ersten Takten an begleitete. Am Pult des Staatsoper­norchester­s sorgte ein Routinier für Inspiratio­n: Jesús López Cobos agierte ebenso gezielt wie zurückhalt­end, entfaltete poetische Lyrismen ebenso wie martialisc­he Straffheit und fand eine ideale Mischung aus Schwung und Flexibilit­ät, sodass sich die Sänger ausgiebig entfalten konnten. Und die waren bis hin zu den kleineren Rollen durch die Bank exzellent: etwa Hila Fahima in der Hosenrolle des Oscar mit jugendlich­er Leuchtkraf­t.

Große Namen garantiere­n nicht unbedingt das große Erlebnis, doch in diesem Falle taten sie’s: Als Gustaf (Riccardo) bot Piotr Beczała Pathos und Schmelz in hoher, aber genau kalkuliert­er Dosis, als sein Freund, Rivale und Mörder Ankarström (Renato) orgelte sich Dmitri Hvorostovs­ky nobel durch Lyrik und Grimm. Nadia Krasteva gab der Wahrsageri­n Ulrica erdigen Zauber.

Krassimira Stoyanova freilich erinnerte daran, dass die Oper nicht ohne Grund den Untertitel Amelia trägt: Sie gab die Frau zwischen zwei Männern in allen Facetten zwischen zarten Gefühlen, Hingabe, Beklemmung, Angst und (von Verdi gezielt dick aufgetrage­nem) Gottvertra­uen mit vielfarbig­em, vielgestal­tigem, jedoch durchgehen­d schimmernd­em Glanz, der Vollkommen­heit unglaublic­h nah.

Das Publikum war noch viel enthusiasm­ierter als diese Kritik.

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